Petersberger Dialog: „Klimakrise wirkt wie Brandbeschleuniger“

Bundesaußenministerin Baerbock ruft zu schnellem Umstieg auf erneuerbare Energien auf

Zum Abschluss des Petersberger Klimadialogs im Berliner Auswärtigen Amt am 19.07.2022 sagte Bundesaußenministerin Baerbock, einen weiteren Aufschub und Kompromisse könnten wir uns nicht mehr leisten. Die alte fossile Welt sei unaufhaltsam am untergehen. Deutschland werde zwar angesichts der Energiekrise für einen kurzen Zeitraum mehr Kohle nutzen. Trotzdem werde man nicht von den eingegangenen Verpflichtungen abweichen und strebe bis 2045 Klimaneutralität an.

Auswärtiges Amt, Berlin – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

Hochrangige Vertreterinnen und Vertreter aus rund 40 Staaten hatten sich im Vorfeld der UN-Klimakonferenz COP27 im Auswärtigen Amt getroffen, um Schritte zur Bewältigung der Klimakrise zu diskutieren. UN-Generalsekretär António Guterres forderte zu Beginn mehr internationale Zusammenarbeit gegen die Klimakrise: „Was mich am meisten beunruhigt, ist, dass wir angesichts dieser globalen Krise nicht in der Lage sind, als multilaterale Gesellschaft zusammenzuarbeiten“, sagte Guterres in einer Videobotschaft. Statt Verantwortung zu übernehmen, zeigten Staaten weiter mit dem Finger auf andere. „So können wir nicht weitermachen.“ Um die vereinbarten Klimaziele am Leben zu erhalten und klimaresiliente Gemeinschaften zu schaffen, müsse man Vertrauen wiederherstellen und zusammen aktiv werden. Guterres erwartet von den G7- und G20-Staaten, dass sie in diesem Punkt eine Führungsrolle übernehmen. „Wir haben die Wahl. Entweder handeln wir zusammen oder wir begehen kollektiven Suizid“, so Guterres.

NGO enttäuscht

Nichtregierungsorganisationen zeigten sich enttäuscht von dem Treffen. Man habe sich mehr Initiative erhofft, sagte etwa der Greenpeace-Klimaexperte Neuwirth dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Olaf Scholz ist so weit von einem Klimakanzler entfernt wie der Nord- vom Südpol. Auch unter Kanzler Scholz bleibt weiter unklar, wie Deutschland seinen lange versprochenen fairen Beitrag zur Klimafinanzierung erfüllt. Schlimmer fast: Während Südeuropa brennt und die jährlichen Schäden durch die Klimakrise in Deutschland selbst nach Regierungsangaben in die Milliarden gehen, macht der Bundeskanzler den Weg frei für weitere klimaschädliche Gasprojekte etwa im Senegal. Wenn es Olaf Scholz ernst damit meint, keine neuen fossilen Abhängigkeiten zu schaffen, muss er die deutsche Beteiligung an diesem Projekt stoppen. Die Zeitenwende in der Energieversorgung braucht einen klaren Kurs statt fossiler Sackgassen.”

Trittin/Henneberger: „Teurer als Maßnahmen gegen die Klimakrise sind keine Maßnahmen“

Zum Abschluss des Petersberger Dialogs in Berlin erklärten Jürgen Trittin, Sprecher für Außenpolitik, und Kathrin Henneberger, Obfrau im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: „Deutschland trägt gemeinsam mit den weiteren Industriestaaten eine historisch gewachsene Verantwortung: Über 60 Prozent der seit dem Beginn der Industrialisierung ausgestoßenen Treibhausgase gehen allein auf das Konto Nordamerikas und Europas. Dieser Verantwortung müssen wir als Industriestaaten gerecht werden. Geplant waren 100 Milliarden US-Dollar für die Finanzierung von Klimaprojekten in Ländern des Globalen Südens. Dieses Ziel wurde in den letzten Jahren verfehlt – umso wichtiger ist es, diese 100 Milliarden US-Dollar zur Klimafinanzierung schnellstmöglich zu erreichen und die nun getroffenen Zusagen auch einzuhalten. Am Klimaschutz darf nicht gespart werden – das zeigte zuletzt die am gestrigen Montag veröffentlichte und vom BMWK in Auftrag gegebene Studie: Durch die Klimakrise verursachte Hitze, Dürre und Fluten haben von 2000 bis 2021 mindestens 145 Milliarden Euro allein in Deutschland gekostet – in Ländern des Globalen Südens, die besonders von klimabedingten Wetterextremen betroffen sind, wird diese Summe noch höher sein. Das zeigt erneut: Teurer als Maßnahmen gegen die Klimakrise sind keine Maßnahmen.

Das verdeutlicht auch die Bedeutung der Einsetzung einer Loss and Damage Finance Facility, die auf der COP27 existenziell sein wird. Länder, die massiv von Wetterextremen wie Wirbelstürmen, Fluten und Dürren betroffen sind, brauchen jetzt die Möglichkeit, im Katastrophenfall auf internationale Gelder zurückgreifen zu können. Versicherungsmodelle, geplant mit dem globalen Klimarisiko Schutzschirm, können hierbei nur eine von unterschiedlichen Möglichkeiten sein, um Regionen nicht mit den entstehenden Schäden alleine zu lassen.

Die COP in Ägypten bietet die Chance, Perspektiven aus den am meisten Betroffenen Regionen in den Mittelpunkt der Verhandlungen zu stellen. Gleichzeitig wird es keine gerechten Lösungen gegen die Klimakrise geben, wenn die Einhaltung der Menschenrechte und demokratisches Engagement nicht möglich sind. In Ägypten sind zehntausende Menschen inhaftiert, weil sie sich zivilgesellschaftlich und politisch engagieren. Wir befürchten, dass sich die Situation der Gefangenen als auch derer, die noch in Freiheit aktiv sind, sowohl vor als auch nach der COP massiv verschärfen werden. Die politischen Gefangenen wie beispielsweise Menschenrechtsaktivisten und Journalisten müssen frei gelassen werden und zivilgesellschaftliches Engagement ohne die Furcht vor Repressionen möglich sein. Dafür werden wir uns in den nächsten Wochen und Monaten bis zur COP klar einsetzen.

Pressestimmen:

Frankfurter Rundschau: „Gegen die Krisen, die die globale Erwärmung etwa in Afrika erzeugt, sind unsere Probleme Peanuts. Und da die CO2– Aufladung der Atmosphäre historisch vor allem auf das Konto der Industriestaaten geht, ist klar: Letztere müssen Hilfen für die Anpassung zahlen. 100 Milliarden Dollar jährlich sind dafür seit langem versprochen. Das Petersberg-Format zur Vorbereitung des UNO-Klimagipfels im Herbst hätte genutzt werden müssen, um mit neuen Zusagen endlich in die Nähe der 100 Milliarden zu kommen. Doch selbst Gastgeber Deutschland hielt sich zurück, erneuerte nur die bereits gemachte Ansage der Merkel-Regierung“.

Hessische Allgemeine: „Es gibt kaum ein Jahr, in dem nicht irgendwo auf der erwärmten Welt eine Klimakonferenz stattfindet, die den nächsten Klimagipfel vorbereitet, auf dem dann wieder über Temperaturreduktionsziele für den Sankt-Nimmerleins-Tag debattiert wird. Um diese zu erreichen, wird dann, nun ja, appelliert und gemahnt und sich übereinander beschwert – und so dreht sich das Klimapolitik-Karussell endlos im Kreis. Auch die Petersberger Konferenz hat nicht auf den Stoppschalter gedrückt. Unterm Strich blieben erneut vor allem Klagen darüber, wie viel schlimmer sich der aktuelle Klimazustand gegenüber dem letzten Gipfel ausnehme, sowie die vage Aussicht auf den nächsten Gipfel im Herbst in Ägypten, der es dann aber gewiss richten werde“.

Mitteldeutsche Zeitung: „Es ist bitter, dass der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine die Welt im Kampf gegen den Klimawandel zurückwirft und neue Hungersnöte provoziert. Und es ist verständlich, dass nach Aufschub beim Klimaschutz gerufen wird, weil jetzt unter anderem eine Energiekrise droht, die vor allem ärmere Schichten treffen wird, die sich die steigenden Preise nicht leisten können. Es ist aber vielmehr so, dass gerade wegen des Kriegs die Anstrengungen noch verstärkt werden müssen“.

Allgemeine Zeitung Mainz: „Es wäre vermessen, von einem zweitägigen Treffen mit Vertretern aus rund 40 Staaten den großen Durchbruch zu erwarten. Der Durchbruch kann nur auf den großen UNO-Klimakonferenzen gelingen, und hier muss Scharm el Scheich im November liefern. Das erneute Bekenntnis der Bundesregierung zur Klimaneutralität bis 2045 klingt ein bisschen hohl angesichts der aktuellen Krisenpolitik mit dem Wiederanfahren alter Kohlekraftwerke. Für diese Maßnahme gibt es nachvollziehbare Gründe, doch bleibt sie klimapolitisch eine Sünde. ‚Einen weiteren Aufschub und Kompromisse können wir uns als Welt insgesamt nicht leisten‘, sagte Außenministerin Baerbock zum Abschluss des Klimadialogs. Stimmt. Die Botschaft sollte nicht nur in der Welt gehört werden, sondern auch zu Hause, wo wir uns gerade wieder eine absurde Debatte über ein Tempolimit leisten“.

BUND-Vorsitzender Olaf Bandt: Bundeskanzler Scholz mit Sonntagsrede zum Klimaschutz

„Der Petersberger Klimadialog bleibt hinter den Erwartungen zurück, jetzt schon Meilensteine für die Klimaverhandlungen im November zu setzen. Von einem selbsternannten Klimakanzler muss mehr kommen. Sonntagsreden zum Klimaschutz reichen nicht. Die Regierung Scholz muss in der internationalen Klimapolitik vorangehen und mit Taten zeigen, dass sie es beim Kampf gegen die Klimakrise ernst meint. Seit 2020 sind 100 Milliarden internationaler Klimafinanzierung für den Globalen Süden zwar beschlossen, doch niemand zahlt fair. Es hätte Scholz gut angestanden konkrete Geld-Zusagen zu geben, um der Verantwortung gegenüber dem Globalen Süden gerecht zu werden. Außenministerin Baerbocks Verdopplung der Anpassungsfinanzierung reicht bei Weitem nicht. Die Hitzewelle in Europa zeigt uns deutlich, dass wir mitten in der Klimakrise angekommen sind. Daher muss die fossile Energieversorgung weltweit ein Ende finden. National darf der deutsche Kohleausstieg 2030, wie auch der Atomausstieg, nicht internen Machtspielchen zum Opfer fallen. Die Regierung Scholz ist die letzte Regierung, die das Ruder im Kampf gegen die Klimakrise noch rumreißen kann. Herr Scholz muss der FDP die rote Karte zeigen: Die Klimaschutzbremser in der Koalition dürfen beim Kampf gegen die Klimakrise nicht den Ton vorgeben.“

BEE-Präsidentin Simone Peter: Der Verantwortung gerecht werden

„Der diesjährige Klimadialog stand ganz im Zeichen der Solidarität mit den Ländern des globalen Südens. Außenministerin Baerbock sprach zurecht von der Klimakrise als dem größten Sicherheitsproblem für alle Menschen der Erde. Bundeskanzler Scholz bekräftigte die Absicht, bis spätestens 2025 sechs Milliarden Euro jährlich für die Klimafinanzierung in ärmeren Ländern bereitzustellen. Diesen Worten müssen nun auch Taten folgen, damit Industrienationen ihrer Verpflichtung als größte CO2-Emittenten und ihrer Verantwortung gerecht werden. Die Zusagen des Pariser Klimaabkommens sind einzuhalten.

Als Gastgeber erscheint Deutschland diese Woche in einem guten Licht, denn es zeigt Initiative bei einem der wichtigsten Treffen zur Vorbereitung auf die Weltklimakonferenz. Nun muss Deutschland aber auch selbst wieder Vorreiter beim Klimaschutz werden. Als eines der reichsten Industrieländer der Erde hat Deutschland, das viele Jahrzehnte massiv von der Ausbeutung fossiler Ressourcen profitiert und damit pro Kopf überproportional zum Klimawandel beigetragen hat und beiträgt, eine besondere Verantwortung auf internationaler Ebene. Andererseits hat Deutschland mit der Energiewende schon früh gezeigt, dass ein Umstieg auf Erneuerbare Energien möglich ist, und es hat mit seiner Energiepolitik (maßgeblich dem Erneuerbare-Energien-Gesetz) die Kosten für Wind- und Sonnenstrom global auf wenige Cent je Kilowattstunde gedrückt.

Deswegen sind folgende drei Punkte für die internationale Klimapolitik Deutschlands wichtig:

  1. Finanzierung – Die Bundesregierung sollte weiter entschlossen vorangehen, die Finanzierungslücke bei kleinen und mittleren Projekten schließen und sich an die Spitze der Initiativen zur Klimafinanzierung und der Einrichtung eines globalen Schutzschirms gegen Klimarisiken setzen.
  2. Technologietransfer – Die Erneuerbaren Branche hat die Technik, das Knowhow und jahrelange Erfahrung im Lösen von Problemen bei der klimafreundlichen, dezentralen Energiegewinnung. Mit diesem Wissen können wir anderen Ländern mit Rat und Tat zur Seite stehen und beispielsweise die Qualifizierung von Fachkräften sowie Capacity Building vorantreiben oder Standardisierungen umsetzen.
  3. Vorbildfunktion – Die Erneuerbaren Energien sind das Wohlstandsversprechen des 21. Jahrhunderts, sie bedeuten Arbeitsplätze, Innovation und nachhaltiges Wachstum. Deutschland hat jetzt die einmalige Chance, das zu zeigen und die Erneuerbaren vor Ort zu entfesseln.

Die Bundesregierung bringt nach Jahren der Stagnation wieder Schwung in die Energiewende. Wenn sie ihrer internationalen Verantwortung gerecht wird, ist Deutschland beim nächsten Klimadialog nicht nur Gastgeber, sondern auch wieder Vorbild für andere Länder.“

->Quellen: