EU einigt sich auf Verbrenner-Aus ab 2035

Synthetische Kraftstoffe noch offen

Die EU-Gesetzgeber haben sich am späten Donnerstagabend (27.10.2022 kurz vor 21 Uhr Brüsseler Zeit) auf eine Vereinbarung verständigt, die ab 2035 ein Ende des Verkaufs von Autos mit Verbrennungsmotoren vorsieht – „eine bedeutsame Entscheidung, mit der Europa in eine weitgehend abgasfreie, elektrische automobile Zukunft steuert“, so die EURACTIV-Autoren Jonathan Packroff und Sean Goulding Carroll. Obwohl ursprünglich als einer der umstrittensten Legislativvorschläge der EU im Rahmen des Green Deals angesehen, machte das Dossier über CO2-Normen rasche Fortschritte und wurde zum ersten der ersten Dossiers des Klimapakets „Fit for 55“, auf das sich die Mitgliedstaaten und das Parlament einigen konnten.

In 13 Jahren keine Neuzulassungen mehr: Diesel-Auspuff – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

In Erwartung einer förmlichen Verabschiedung einigten sich die Mitgesetzgeber auf:

  • Reduzierung der CO2-Emissionen um 55 % für neue Pkw und um 50 % für neue Lieferwagen bis 2030 gegenüber dem Stand von 2021
  • das Ziel einer 100-prozentigen Reduzierung der CO2-Emissionen für neue Pkw und Kleintransporter bis 2035.

Der regulatorische Anreizmechanismus für emissionsfreie und emissionsarme Fahrzeuge (ZLEV) wird bis 2030 beibehalten. Im Rahmen dieses Mechanismus kann ein Hersteller, der bestimmte Benchmarks für den Verkauf von emissionsfreien und emissionsarmen Fahrzeugen erreicht, mit weniger strengen CO2-Zielen belohnt werden. Die Mitgesetzgeber einigten sich darauf, den Richtwert bis 2030 auf 25 % für Pkw und 17 % für Lieferwagen zu erhöhen.

Die Einigung enthält eine Formulierung zu CO2-neutralen Kraftstoffen, wonach die Kommission nach Konsultation der Interessengruppen einen Vorschlag für die Zulassung von Fahrzeugen unterbreiten wird, die nach 2035 ausschließlich mit CO2-neutralen (synthetischen) Kraftstoffen betrieben werden, und zwar im Einklang mit dem EU-Recht, außerhalb des Geltungsbereichs der Flottenstandards und im Einklang mit dem EU-Ziel der Klimaneutralität. Jahren vor demAus

Die Vereinbarung enthält weiter eine Überprüfungsklausel, die sicherstellt, dass die Kommission im Jahr 2026 die Fortschritte bei der Erreichung der Zielvorgaben für eine 100-prozentige Emissionsreduzierung und die Notwendigkeit einer Überprüfung dieser Zielvorgaben unter Berücksichtigung der technologischen Entwicklungen, auch im Hinblick auf Plug-in-Hybridtechnologien, und der Bedeutung eines tragfähigen und sozial gerechten Übergangs zu Nullemissionen gründlich bewertet.

Darüber hinaus beinhaltet die Vereinbarung eine Verschärfung anderer Bestimmungen in den Verordnungen, wie z.B.:

  • Senkung der Obergrenze für Emissionsgutschriften, die Hersteller für Öko-Innovationen erhalten können, die nachweislich die CO2-Emissionen auf der Straße verringern, auf bis zu 4 g/km pro Jahr von 2030 bis 2034 (derzeit 7 g/km pro Jahr).
  • Die Kommission wird bis 2025 eine gemeinsame EU-Methode für die Bewertung der CO2-Emissionen von in der EU in Verkehr gebrachten Pkw und Kleintransportern über den gesamten Lebenszyklus sowie für die von diesen Fahrzeugen verbrauchten Kraftstoffe und Energie entwickeln. Auf der Grundlage dieser Methodik können die Hersteller der Kommission auf freiwilliger Basis über die Lebenszyklusemissionen der von ihnen in Verkehr gebrachten Neufahrzeuge berichten. Die Vereinbarung sieht eine Ausnahmeregelung für Kleinserienhersteller bis Ende 2035 vor.

Hintergrund und nächste Schritte

Mit dem Vorschlag werden die bestehenden, zuletzt 2019 geänderten Vorschriften überarbeitet. Die in Trilog-Verhandlungen erzielte vorläufige politische Einigung muss nun vom Rat und vom Parlament förmlich angenommen werden. Nach der Verordnung muss jeder Hersteller sicherstellen, dass die durchschnittlichen CO2-Emissionen seiner Flotte von neu zugelassenen Fahrzeugen in einem Kalenderjahr sein spezifisches jährliches Emissionsziel nicht überschreiten. Die Hersteller können weiterhin Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren auf den Markt bringen, aber wenn sie in einem bestimmten Jahr ihr Emissionsziel überschreiten, müssen sie eine Prämie von 95 € pro Gramm CO2/km über dem Zielwert pro zugelassenem Fahrzeug zahlen. Mit den neuen Zielvorgaben werden emissionsfreie Fahrzeuge also letztendlich billiger als Fahrzeuge, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden.

Die damit zusammenhängende Überarbeitung des Aufbaus einer Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (AFIR), die derzeit zwischen dem Rat und dem Parlament erörtert wird, wird es den Fahrern ermöglichen, in allen Mitgliedstaaten eine Infrastruktur zum Aufladen ihrer Fahrzeuge aufzubauen.

Der für die EU-Umwelt- und Klimaziele zuständige Kommissionsvize Frans Timmermans erklärte, die Vereinbarung sei ein starkes Signal an Industrie und Verbraucher:innen. „Europa ist auf dem Weg zur emissionsfreien Mobilität. Die europäischen Automobilhersteller haben bereits bewiesen, dass sie bereit sind, mit immer mehr und immer erschwinglicheren Elektroautos auf den Markt zu kommen“, sagte er.

Der tschechische Industrie- und Handelsminister Jozef Síkela erklärte, die Vereinbarung werde den Weg für eine moderne und wettbewerbsfähige Automobilindustrie in der EU ebnen. Neben der Abschaffung von Benzin- und Dieselfahrzeugen sieht die Vereinbarung auch eine neue Methodik für die Berichterstattung über die sogenannten Lebenszyklus-Emissionen von Fahrzeugen vor, welche die Kommission bis 2025 vorlegen wird.

In Übereinstimmung mit den Wünschen der Mitgliedstaaten wird die Kommission ab 2025 außerdem alle zwei Jahre einen Bericht über die Fortschritte auf dem Weg zu einer emissionsfreien Straßenmobilität veröffentlichen. Darin werden auch die Auswirkungen auf die Beschäftigten der Automobilindustrie und die Verbraucher:innen behandelt. Auch die Frage der sogenannten „Ferrari-Klausel“ wurde geklärt: Die Verhandlungsführer einigten sich darauf, dass Fahrzeughersteller, die bis zu 10.000 Pkw und 22.000 Transporter pro Jahr produzieren, von dem Zwischenziel ausgenommen werden, obwohl sie bis Ende 2035 die Emissionsfreiheit erreichen müssen.

Jan Huitema, Chefunterhändler des Europäischen Parlaments, lobte die Einigung, die „Klarheit für die Autoindustrie schafft und Innovationen und Investitionen für die Autohersteller anregt. Ich freue mich, dass wir mit dem Rat eine Einigung über eine ehrgeizige Überarbeitung der Ziele für 2030 erzielt und uns für eine 100-prozentige Emissionsreduktion im Jahr 2035 eingesetzt haben. Dies ist entscheidend, um bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen und sauberes Autofahren für unsere Bürger:innen erschwinglicher zu machen“, sagte er.

Deutsche Handschrift im nichtbindenden Teil

Trotz der Kritik der Autoindustrie und konservativer Abgeordneter hatten sowohl das Europäische Parlament als auch die Mitgliedstaaten zuvor das Ziel für 2035 befürwortet. Hauptstreitpunkt war ein Satz im nicht verbindlichen Teil der Gesetzgebung, den sogenannten Erwägungsgründen, den die deutsche Bundesregierung ursprünglich vorgeschlagen hatte. Darin wird die Europäische Kommission aufgefordert, einen Vorschlag zu unterbreiten, um Fahrzeuge, die „ausschließlich mit CO?-neutralen Kraftstoffen betrieben werden“, auch über das Jahr 2035 hinaus zuzulassen. Der Erwägungsgrund wurde in die endgültige Vereinbarung aufgenommen, wie der Rat mitteilte.

Die Ausnahmeregelung soll „außerhalb des Geltungsbereichs der Flottenstandards“ gelten, wie es im Erwägungsgrund heißt. Dies sorgte für Verwirrung darüber, ob sie nur für spezielle Fahrzeuge wie Krankenwagen gelten oder einen breiteren Anwendungsbereich von Verbrennungsmotoren zulassen würde, die mit sogenannten E-Fuels betrieben werden. Dabei handelt es sich um synthetische Kraftstoffe, welche mit grünem Strom erzeugt werden.

Konservative warnen vor „Havanna-Effekt“

Die Europäische Volkspartei (EVP), die Mitte-Rechts-Fraktion im EU-Parlament, ist der Ansicht, dass das Abkommen selbst mit dem Erwägungsgrund keine ausreichende Technologieoffenheit zeige. „Mit der heutigen Einigung wird die Tür für neue technologische Entwicklungen zugeschlagen und alles auf eine Karte gesetzt. Das ist ein Fehler“, sagte Jens Gieseke, der Verhandlungsführer der EVP-Fraktion, in einer Erklärung nach der Einigung. „Mit der heutigen Einigung wird ein ‚Havanna-Effekt‘ realistischer. Nach 2035 könnten unsere Straßen voller Oldtimer sein, weil neue Autos nicht verfügbar oder nicht bezahlbar sind“, warnte Gieseke.

Die Grünen hingegen begrüßten das Abkommen. „Europa wird der erste Kontinent sein, der den Verkauf von Neuwagen mit Verbrennungsmotor bis 2035 auslaufen lässt. Diese Art von Ehrgeiz zeigt, dass die EU beim Klimaschutz vorangehen kann, und wird andere Regionen ermutigen, ihre Anstrengungen zur Reduzierung der Emissionen im Straßenverkehr zu beschleunigen“, sagte Bas Eickhout, Verhandlungsführer der Grünen.

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