Höher, schneller, breiter

Untersuchung „Autos und Stadtraum“ beschreibt Fehlentwicklungen in der Autoindustrie

43 Prozent der im Jahr 2019 neu zu gelassenen Pkw waren großvolumig – ihre umweltfeindlichen und sozial ungerechten Auswirkungen auf die Nutzung des öffentlichen städtischen Raums sind stark angestiegen. Jeder fünfte davon war ein SUV und jeder zehnte ein Geländewagen. Nur ein Fünftel waren Kleinwagen/Minis oder zählten zur Kompaktklasse. Zudem sind die Pkw seit 1950 immer länger geworden. Die maximale Länge beträgt gegenwärtig 6,80 Meter. Das sind circa 60 Prozent mehr als vor 70 Jahren. Auch sind die Autos seit damals in die Breite gegangen – auf über 2,10 Meter mit Spiegel – eine Steigerung um fast 35 Prozent – so eine Arbeit an der TU München vom 08.11.2022.

'Ruhender' Verkehr in Berlin - Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

„Ruhender“ Verkehr in Berlin – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Die Zahlen haben Prof. Felix Huber und Prof. Oliver Schwedes in ihrer Studie „Autos und Stadtraum“ erhoben. Sie spiegeln für die beiden Verkehrswissenschaftler ein Bewusstsein in der deutschen Autoindustrie wider, das weder den Erfordernissen des Klimawandels gerecht wird, noch eine Stadt- und Verkehrsplanung im Blick hat, die den städtischen Verkehr für alle Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer – Fußgänger, Radfahrende, Kinder, ältere Menschen und den ÖPNV – gerechter und die Städte lebenswerter und umweltfreundlicher machen will.

„Olympische“ Idee

„Es ist, als ob sich die deutsche Automobilindustrie der olympischen Idee verschrieben hätte – höher, schneller, weiter, im Fall der Autos – breiter. Nur ist es nicht das, was in der Stadt- und Verkehrsplanung gegenwärtig und künftig notwendig ist – nämlich kleine, leichte, sparsame und vor allem auch flächensparende Modelle zu bauen“, sagt Prof. Oliver Schwedes, Leiter des Fachgebiets Integrierte Verkehrsplanung der TU Berlin. „Und auch bei den Elektroautos konstatieren wir diesen Trend. Das ist fatal, konterkariert es doch die Grundidee des E-Autos, für eine Energie-, also ressourcensparende Mobilität zu stehen“, so Schwedes. Eine weitere Fehlentwicklung sehen er und Huber, der an der Bergischen Universität Wuppertal „Umweltverträgliche Infrastrukturplanung. Stadtbauwesen“ lehrt, auch in dem ungebrochenen Trend zum Zweit- und Drittwagen.

Immer mehr und immer größer werdende Autos beanspruchen naturgemäß immer mehr öffentlichen städtischen Raum und das ist zunehmend mit Konflikten behaftet und in vielerlei Hinsicht problematisch. Denn die geradezu von den Autofahrerenden als Grundrecht apostrophierte Inbesitznahme des öffentlichen Raums in Form von Parkplätzen, Parkhäusern und Stellflächen stehe immer vehementer in Frage, so Schwedes: Die Dominanz des Autos gegenüber ÖPNV, Fußgängern und Radfahrenden werde von Fußgängern und Radfahrenden als ungerecht empfunden und die Forderung nach einer neuen, für alle Verkehrsteilnehmenden gerechten Aufteilung des Stadtraums lauter. „Diese Rückeroberung des städtischen Raums durch Nicht-Autofahrer und der damit einhergehende Entzug eines öffentlichen Stellplatzes oder das Verbot etwa von Stellflächen am und auf dem Gehweg erleben Autofahrer dann wiederum als eine Art Enteignung“, sagt Schwedes und verweist auf das an seinem Fachgebiet entstandene vielzitierte Paper „Die Privatisierung öffentlichen Raums durch parkende Kfz“.

Angesichts der Tatsache, dass Städte vor der Herausforderung stehen, sich gegen Trockenheit und Starkregenereignisse zu wappnen als Folge des Klimawandels, ist eine weitere Versiegelung von Flächen durch Autoparkplätze auch anachronistisch. Höhere und breitere Autos stellen laut Huber und Schwedes zudem ein Sicherheitsrisiko für Fußgänger und Radfahrende dar, da sie die freie Sicht auf den Verkehr versperren.

Aufgrund ihrer Analysen, die auf der Auswertung von Datensätzen des ADAC sowie des Statistischen Bundesamtes basiert, plädieren beide Wissenschaftler für einen Paradigmenwechsel in der Verkehrsplanung. „Die einseitige funktionale Besetzung des öffentlichen Raums durch den fließenden und ruhenden Verkehr beschränkt die Möglichkeiten der Nutzung für Fußgänger, Radfahrende und den ÖPNV massiv oder anders ausgedrückt: Das Gewohnheitsrecht ‚freie Fahrt und freies Parken für freie Bürger‘ beschneidet die Rechte Dritter. Alle Nicht-Autofahrer sehen sich gezwungen, sich den städtischen Raum zurückerobern zu müssen. Das ist nicht sozial und nicht gerecht“, betont Oliver Schwedes. Verkehrs- und Stadtplanung müssen der Gleichberechtigung aller Mobilitätsformen verpflichtet sein. Paradigmenwechsel in der Verkehrspolitik bedeute vor allem, diese nicht mehr einseitig aus dem Blickwinkel des motorisierten Individualverkehrs zu denken.

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