Chemikalien könnten globalen Plastikvertrag untergraben

Plastikverschmutzung: Wissenschaftler schlagen Alarm

Vom 28.11. bis 02.12.2022 trifft sich das „Intergovernmental Negotiating Committee“ (INC) der UNEP in Uruguay, um ein internationales rechtsverbindliches Instrument gegen die Plastikverschmutzung zu entwickeln. Wissenschaftler befürchten, dass bei den Verhandlungen die Vielfalt und Komplexität der in Kunststoffen enthaltenen Chemikalien übersehen wird. Dies würde die Wirksamkeit des Abkommens stark beeinträchtigen, so eine neue Studie, die in der jüngsten Ausgabe der „Environmental Science & Technology Letters“ open access veröffentlicht wurde.

Plastikmüll am Strand in Havanna – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

Historischer Tag im Kampf gegen die Plastikverschmutzung: Nationen verpflichten sich zur Ausarbeitung eines rechtsverbindlichen Abkommens.
Die Resolution kommt inmitten einer zunehmenden Plastikkrise, die nach Ansicht von Experten die Umwelt, die menschliche Gesundheit und die Wirtschaft bedroht. Untersuchungen zeigen, dass die Menschheit jährlich rund 460 Millionen Tonnen Plastik produziert, und wenn nicht dringend gehandelt wird, wird sich diese Menge bis 2060 verdreifachen. Einer UNEP-Studie zufolge gelangen jährlich mehr als 14 Millionen Tonnen Kunststoff in aquatische Ökosysteme und schädigen diese, und die mit Kunststoffen verbundenen Treibhausgasemissionen werden bis 2050 voraussichtlich 15 Prozent der zulässigen Gesamtemissionen ausmachen, wenn die Menschheit die globale Erwärmung auf 1,5°C begrenzen will.

„Die Wissenschaft ist eindeutig: Wir brauchen schnelle, ehrgeizige und sinnvolle globale Maßnahmen zur Eindämmung der Plastikverschmutzung“, sagt Jyoti Mathur-Filipp, Exekutivsekretärin des INC-Sekretariats für Plastikverschmutzung. „Auf der INC-1 können wir die Grundlagen für die Umsetzung eines Lebenszykluskonzepts für die Plastikverschmutzung schaffen, das wesentlich dazu beitragen würde, die dreifache planetarische Krise – Klimawandel, Verlust von Natur und biologischer Vielfalt sowie Verschmutzung und Abfall – zu beenden.“
Auf dem Weg zu einem Lebenszyklus-Ansatz: Experten sind der Meinung, dass Recycling allein die Plastikverschmutzung nicht beenden kann und dass die Menschheit weniger von diesem Material verbrauchen und produzieren muss. Dies hat zu dem so genannten Lebenszykluskonzept geführt. Neben der Bewirtschaftung von Kunststoffabfällen und der Förderung der Wiederverwendung wird untersucht, wie Produkte entworfen, hergestellt und vertrieben werden, und es wird versucht, die Menge des verwendeten Kunststoffs auf diesem Weg zu verringern. „Wir werden die Krise der Plastikverschmutzung nicht durch Recycling oder Verbote lösen“, sagt Sheila Aggarwal-Khan, Direktorin der Wirtschaftsabteilung des UNEP. „Abfallsammlung und Recycling sind extrem wichtig, aber sie müssen Teil eines integrierten Ansatzes sein.“
Einem UNEP-Bericht zufolge kann ein Lebenszyklus-Ansatz die Menge an Kunststoffen, die ins Meer gelangen, um mehr als 80 Prozent reduzieren und den Regierungen bis 2040 70 Milliarden US-Dollar einsparen. Außerdem können dadurch die Treibhausgasemissionen um 25 Prozent reduziert und 700.000 Arbeitsplätze geschaffen werden.

Kunststoffe sind komplexe Materialien. In einer kürzlich durchgeführten Studie wurden mehr als 10.000 chemische Substanzen identifiziert, die bei der Kunststoffherstellung verwendet werden können, was dazu führt, dass Kunststoffe eine Vielzahl von chemischen Substanzen enthalten können. Auch wenn viele dieser Chemikalien dieselbe Funktion erfüllen, hat ein Mangel an Koordination zwischen den Herstellern dazu geführt, dass Kunststoffe verschiedener Hersteller für dieselben Anwendungen oft unterschiedliche chemische Zusammensetzungen aufweisen.

Diese Vielfalt und Komplexität der Kunststoffformulierungen bringt verschiedene negative Auswirkungen und Herausforderungen mit sich. So haben Wissenschaftler und verschiedene Organisationen zunehmend ihre Besorgnis über die negativen Auswirkungen vieler in Kunststoffen enthaltener Chemikalien auf die Gesundheit von Menschen und Ökosystemen geäussert, die während der Lebensdauer des Produkts aus diesem herausgelöst werden können.

Chemische Vielfalt als Problem zur Lösung der Plastikverschmutzung

Ebenso wichtig, aber oft übersehen: Die Vielfalt der Chemikalien in Kunststoffen kann die aktuellen und die geplanten technologischen Lösungen zur Bekämpfung der Kunststoffverschmutzung vor zahlreiche Herausforderungen stellen. „Die enorme Vielfalt der Chemikalien in verschiedenen Kunststoffprodukten macht die unterschiedlichen Abfallströme inkompatibel. Diese Inkompatibilität kann die Qualität von Recycling-Produkten erheblich beeinträchtigen, was zu „Downcycling“ und zu giftigen Abfällen führt, die zusätzliche Sicherheitsmassnahmen erfordern“, so Empa-Wissenschaftler Zhanyun Wang, einer der Autoren der Studie.

Antonia Praetorius, Assistenzprofessorin an der Universität Amsterdam und Mitautorin der Studie, ergänzt: „Eine vorgeschlagene Lösung, um dem durch Einwegplastik verursachten Plastikmüll entgegenzuwirken, ist die verstärkte Verwendung von haltbareren Kunststoffen, um etwa eine mehrfache Wiederverwendung von Plastikbehältern für Lebensmittel zum Mitnehmen zu ermöglichen. Je komplexer die chemische Zusammensetzung dieser langlebigen Kunststoffe ist, desto schwieriger ist es, ihre Unversehrtheit und Sicherheit über ihre längere Produktlebensdauer zu gewährleisten.“

Vorsichtig optimistisch

Dennoch gibt es auch Grund für Optimismus, um globale Lösungen für die Plastikverschmutzung voranzutreiben. Die Autoren empfehlen politischen Entscheidungsträgern und Wirtschaftsführern, die einmalige Gelegenheit zu nutzen, die sich durch die Verhandlungen über das Kunststoffabkommen bietet, um die Kräfte zu bündeln und Kunststoffe neu zu gestalten. Durch die Festlegung einer Liste sicherer chemischer Zusatzstoffe, die bestimmte Schlüsselfunktionen erfüllen, können einfachere und standardisierte Kunststoffformulierungen erreicht werden. Insbesondere geben die Forschenden konkrete Empfehlungen, wie Mechanismen zur Verringerung der Vielfalt und Komplexität von Chemikalien in der Kunststoffproduktion im Vertrag aufgenommen werden können. Dies würde nicht nur den schrittweisen Verzicht auf gefährliche Chemikalien in der Kunststoffproduktion ermöglichen, sondern auch den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe.

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