Erderwärmung treibt viele in die Städte

Stadtbevölkerung in armen Ländern in heißen Regionen seit 1960 zum Teil verdreifacht

Der Klimawandel führt langfristig dazu, dass mehr Menschen aus ländlichen Regionen in Städte ziehen. Das zeigt eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), für die Marc Helbling und Daniel Meierrieks Daten von 118 Ländern zwischen 1960 und 2016 auswerteten, so eine Medienmitteilung vom 19.12.2022. In diesem Zeitraum sei die Temperatur durchschnittlich um ein Grad Celsius gestiegen, während sich der Anteil der in Städten lebenden Bevölkerung fast verdoppelt habe: von 33 auf 59 Prozent. Aufgrund der Beständigkeit der klimabedingten Landflucht im Untersuchungszeitraum erwarten die Autoren, dass sich dieser Trend fortsetzt.

Armenviertel in Lima – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

Das größte Städtewachstum beobachteten die Forscher in armen Ländern, die in heißen Regionen liegen und zudem stark abhängig von der Landwirtschaft sind. Hier habe sich der Anteil der Stadtbevölkerung zum Teil verdreifacht, in Nigeria zum Beispiel von 15,4 Prozent (1960) auf 48,7 Prozent (2016).

Abstract der Untersuchung

„Bei der Analyse von 118 Ländern zwischen 1960 und 2016 stellen wir fest, dass höhere Temperaturen langfristig mit höheren Urbanisierungsraten korrelieren, wobei diese Beziehung viel ausgeprägter ist als jeder kurzfristige Zusammenhang. Der langfristige Zusammenhang zwischen globaler Erwärmung und Verstädterung hängt auch von den länderspezifischen Bedingungen ab. Dieser langfristige Zusammenhang ist besonders relevant in ärmeren und stärker von der Landwirtschaft abhängigen Ländern mit einer städtischen Ausrichtung sowie in ursprünglich nicht städtischen Ländern in heißeren Klimazonen. Wir liefern auch Hinweise darauf, dass die Erwärmung zu Produktivitätsverlusten in der Landwirtschaft und zu stadtfreundlichen Verschiebungen bei der Bereitstellung öffentlicher Güter beiträgt und dass der Zusammenhang zwischen globaler Erwärmung und Urbanisierung teilweise über diese Kanäle vermittelt wird. Folglich argumentieren wir, dass die geschätzte langfristige Beziehung zwischen Temperatur und Verstädterung die potenziellen Auswirkungen steigender Temperaturen auf die Verstädterung teilweise durch einen ländlichen Push (durch Beeinträchtigung der Landwirtschaft) und einen städtischen Pull (durch eine erhöhte Nachfrage nach öffentlichen Gütern, die hauptsächlich in Städten bereitgestellt werden) erfasst.“

Landflucht finde also verstärkt statt, wenn die Landwirtschaft etwa durch Ernteausfälle beeinträchtigt ist oder der Bedarf der Menschen an öffentlicher Gesundheitsversorgung zunimmt, weil sich Krankheiten durch den Temperaturanstieg stärker ausbreiteten. So befänden sich in den betroffenen Ländern zum Beispiel Fachärzte oder Krankenhäuser fast ausschließlich in Städten. Dadurch entstehe eine Dynamik, die für ein andauerndes Wachstum der Städte sorge und zum Problem für arme Länder werden könne. Die Forscher stellen in fast allen afrikanischen Ländern südlich der Sahara (z. B. Burkina Faso und Nigeria), aber auch in Entwicklungsländern in Lateinamerika und Asien (z. B. Paraguay und Indonesien) fest, dass die volkswirtschaftlichen Nachteile wie Slumbildung oder eine Überlastung der Infrastruktur die Vorteile der Verstädterung wie die örtliche Ballung von Arbeitskräften und geringere Transportkosten überwiegen.

Nach Einschätzung der Autoren kann eine anhaltend starke Landflucht in ärmeren Ländern die internationale Migration in reichere Länder verstärken, da Städte in ärmeren Ländern hierfür wichtige Drehscheiben seien. Reichere Länder sollten daher Entwicklungs- und Technologiehilfe leisten, um eine anhaltende Verstädterung in diesen Ländern zu verringern und die Menschen in den ländlichen Regionen zu unterstützen. Die Forscher empfehlen, vor allem den Zugang zu öffentlichen Gütern wie etwa zur Gesundheitsversorgung in den ländlichen Regionen betroffener Länder zu verbessern. Darüber hinaus müssten weltweit die Treibhausgasemissionen erheblich reduziert werden, um die Auswirkungen der globalen Erwärmung einzudämmen.

->Quellen: