Erderwärmung bedrohlicher als befürchtet

Schmilzt jeder zweite Gletscher weg?

Die weltweite Gletscherschmelze ist nicht mehr umzukehren: Mindestens die Hälfte der Gletscher auf der Welt verschwindet bis zum Ende des Jahrhunderts, befürchtet eine Untersuchung von ForscherInnen unter anderem der Universität Innsbruck. Doch noch es gebe Handlungsspielraum. Für die deutschen Gletscher sehen die Autoren jedoch keine Hoffnung. Die Klimakrise wird einer in Science veröffentlichten Studie zufolge rund die Hälfte der Gletscher auf der Welt bis zum Ende des Jahrhunderts abtauen. Selbst wenn die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter begrenz werden könnte, dürften nach Schätzungen der Forscherinnen und Forscher 49 Prozent aller 215.000 Gletscher bis zum Jahr 2100 abschmelzen.

Eisberge, Grönland vor dem Schmelzen - Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Eisberge, Grönland vor dem Schmelzen – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Ein internationales Forscher-Team beschreibt gemeinsam mit dem Innsbrucker Glaziologen Fabien Maussion beschreibt mit bisher einzigartiger Genauigkeit das Schicksal aller Gletscher weltweit je nach Temperaturszenarien zwischen +1,5°C und +4°C Erwärmung. Aktuell steuert die Welt in Richtung +3°C – das würde bis 2100 zum Verlust von drei Viertel aller Gletscher führen. Die Forscherinnen und Forscher appellieren: Jedes Zehntelgrad weniger zähle, um das Abschmelzen einzudämmen.

Science: Gebirgsgletscher, ganzjährige Eismassen mit Ausnahme der grönländischen und antarktischen Eisschilde, sind eine kritische Wasserressource für fast zwei Milliarden Menschen und werden durch die globale Erwärmung bedroht. Rounce et al. prognostizierten, wie diese Gletscher bei einem globalen Temperaturanstieg von 1,5° bis 4°C betroffen sein werden, und kamen zu dem Ergebnis, dass sie bis zum Jahr 2100 ein Viertel bis fast die Hälfte ihrer Masse verlieren werden (siehe die Perspektive von Aðalgeirsdóttir und James). Ihre Berechnungen deuten darauf hin, dass die Gletscher wesentlich mehr Masse verlieren und mehr zum Anstieg des Meeresspiegels beitragen werden, als derzeit angenommen wird.

Die mehr als 215.000 Gletscher weltweit sind von den Folgen der Erderhitzung aufgrund der Klimakrise längst massiv betroffen. Die zunehmenden Schmelzraten führen nicht nur zu einer Zunahme von Naturgefahren in den entsprechenden Gebieten, sondern auch zu einem Anstieg des Meeresspiegels und zu einer Gefährdung der Wasserversorgung von etwa zwei Milliarden Menschen weltweit. Im jüngsten Bericht des Weltklimarates IPCC haben tausende Forschende auf die dramatischen Folgen der Erderhitzung – besonders für Gletscher bereits jetzt und in naher Zukunft – hingewiesen.

„Wir sind aufgrund des aktuellen Niveaus der Emissionen leider auf dem Weg in Richtung einer Temperaturzunahme von +2,7°C. Das hätte ein Verschwinden von zwei Drittel aller Gletscher weltweit bis 2100 zur Folge“, erklärt Fabien Maussion vom Institut für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften der Universität Innsbruck, Co-Autor der Science-Studie. Wie genau sich diese Entwicklung in den kommenden Jahrzehnten fortsetzen wird und was noch zu retten ist, hat das große Klimaforscher*innen-Team unter der Leitung von David Rounce von der Carnegie Mellon University in Pennsylvania nun neu berechnet und dabei die Methodik im Vergleich zu bisherigen Studien deutlich verbessert.

Der Glaziologe Maussion steuerte Projektionen der potenziellen Veränderungen der Gebirgsgletscher bei, basierend auf dem an der Universität Innsbruck mitentwickelten Gletscherentwicklungsmodell Open Global Glacier Model OGGM. Dabei handelt es sich um das erste offen zugängliche globale Modell zur Simulation der Entwicklung aller Gletscher weltweit, für diese Studie wurde es mit einem Modell der Carnegie Mellon University kombiniert. „Wir haben in dieser Studie die Methodik prinzipiell verbessert, da wir Satelliten-Beobachtungen und Modelle miteinander kombiniert haben und somit auch regionale Besonderheiten und die dynamische Entwicklung genau berücksichtigen können“, so Maussion.

Vier Szenarien für alle Gletscher

Da auf gesellschaftspolitischer Entscheidungsebene wie etwa kürzlich bei der UN-Klimakonferenz COP27 häufig mit Temperaturszenarien gearbeitet wird, haben sich die Klimaforscher*innen dazu entschieden, die Folgen für die Gletscherentwicklung anhand von vier Annahmen zu berechnen. Die Projektionen zeigen die Reaktion auf globalen Temperaturänderungen von +1,5°Celsius (C), +2°C, +3°C und +4°C bis zum Jahr 2100 im Vergleich zum vorindustriellen Niveau für jeden einzelnen Gletscher der Welt. Die Ergebnisse zeigen einen dramatischen Verlust, aber auch große Schwankungsbreiten im Ausmaß:

  • Zwischen 26 und 41 Prozent der Gesamtmasse der Gletscher wird bis Ende des Jahrhunderts verloren sein.
  • Im „Best-Case-Szenario“ von +1,5°C würde ein Viertel der Gesamtmasse und damit 50 Prozent der Gletscher komplett abschmelzen.
  • Ein Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur von +2,7°C, von dem angesichts der aktuellen Übereinkünfte zur Emissionsreduktion ausgegangen werden muss, hätte laut der Studie eine fast vollständige Entgletscherung ganzer Regionen in den mittleren Breitengraden mit Mitteleuropa, Westkanada, USA sowie Neuseeland zur Folge.
  • Das würde einen höheren Anstieg des Meeresspiegels zur Folge haben als bisher angenommen. „Für sehr viele Gletscher ist es leider schon zu spät, aber das heißt nicht, dass wir nichts mehr tun können. Jede Reduktion der Treibhausgasemissionen und damit die Abkehr von fossilen Brennstoffen trägt dazu bei, noch bestehende Eismassen zu retten und den Anstieg des Meeresspiegels einzugrenzen“, so Fabien Maussion.

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