Europäische Umweltagentur mahnt transformativere EU-Politik an

Nachhaltiges Ernährungssystem soll gefördert werden

Die konventionelle Produktion und der Konsum von Lebensmitteln sei weltweit für ein Drittel der Treibhausgasemissionen verantwortlich, sie trage maßgeblich zum Verlust der biologischen Vielfalt bei und wirke sich schädlich auf die menschliche Gesundheit aus. Vielfach gewährleiste sie keine fairen wirtschaftlichen Erträge und Lebensgrundlagen für die Akteure der Branche – so zitiert das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) einen neuen Bericht der Europäischen Umweltagentur.

Die Europäische Kommission hat mit der „Farm to Fork“-Strategie als Teil des Europäischen Green Deals ein Programm für ein nachhaltiges Ernährungssystem vorgelegt und will in diesem Jahr den EU-Rechtsrahmen ehrgeizig weiterentwickeln. Ein neuer Bericht der Europäischen Umweltagentur zeige, dass diese Umstellung auf ein nachhaltiges Ernährungssystem enorme Veränderungen erfordere, wie Lebensmittel produziert und konsumiert würden.

Transforming Europe’s food system – © EEA

Der Bericht „Transforming Europe’s food system – Assessing the EU policy mix“ (s.u.) betont, dass es einer ehrgeizigen und kohärenten EU-Politik bedarf, die Innovationen fördert und Verhaltensänderungen unterstützt, schädliche Praktiken ersetzt und einen gerechten Übergang zu einem nachhaltigen Ernährungssystem gewährleistet. Die AutorInnen analysieren die verschiedenen EU-Politiken, die derzeit das europäische Ernährungssystem gestalten, im Lichte der neuesten Forschungsergebnisse zur Dynamik und Steuerung von nachhaltigen Verhaltens- und Produktionsänderungen. Untersucht wurden die verschiedenen Ziele und Maßnahmen der „Farm to Fork“-Strategie sowie zentrale Ziele und Maßnahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und der Gemeinsamen Fischereipolitik. Die Studie wurde verfasst vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), dem Dutch Research Institute for Transitions (DRIFT) und dem Finnish Environment Institute (SYKE) im Auftrag von und in enger Zusammenarbeit mit der Europäischen Umweltagentur.

Wie der Policy Mix der EU für ein Lebensmittelsystem aussehen sollte

Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass trotz der Fortschritte, die im Rahmen der europäischen „Farm to Fork“-Strategie erzielt wurden, der bestehende EU-Politikmix durch Lücken und Unstimmigkeiten gekennzeichnet ist, die das Potenzial für einen transformativen Wandel begrenzen. Der Bericht zeigt Möglichkeiten auf, den Policy Mix transformativer zu gestalten.

„Ein zentrales Problem des Policy Mix ist bisher, dass die ‚Farm to Fork‘-Strategie sehr ambitionierte Ziele hat und sinnvolle Maßnahmen enthält, aber die Gemeinsame Agrar- und Fischereipolitik konventionelle, nicht nachhaltige Praktiken weiterhin mit Milliarden fördert und damit ein Umdenken konterkariert. Wir empfehlen daher weitgehende Änderungen in der Förderlogik der Gemeinsamen Agrarpolitik und mittelfristig den Ausstieg aus Praktiken, die nicht nachhaltig sind“, so Transformationsforscher Florian Kern vom IÖW, der die Studie geleitet hat.

„Zentral ist es, den Widerstand von Interessengruppen, die sich nachhaltigen Lebensmittelsystemen entgegenstellen, zu überwinden. Sie müssen an Prozessen, die den Weg in die Zukunft weisen, beteiligt werden, zudem sollten konkrete Anreize und Ausgleichszahlungen geboten werden“, ergänzt Sabine Hielscher, die am IÖW zu sozialen Innovationen forscht. „Auch die Gesellschaft sollte in die Formulierung gemeinsamer Visionen für ein nachhaltiges Lebensmittelsystem einbezogen werden.“

Der Bericht zeigt zahlreiche Möglichkeiten auf, wie die EU-Politik einen stärkeren Wandel bewirken kann. Um ihr Potenzial voll auszuschöpfen, ist ein strategischer und kohärenter Ansatz erforderlich, so das Fazit des Berichts. Dazu zählt zum Beispiel, eine geteilte Vision zu entwickeln, wie ein nachhaltiges Ernährungssystem aussehen könnte. Diese Vision gilt es, gemeinsam mit Akteuren, die den Wandel voranbringen möchten, regional auszudifferenzieren. Die Europäische Kommission muss im Rahmen ihrer Möglichkeiten mehr tun, um den Verzehr von nachhaltigeren Lebensmitteln zu fördern und gleichzeitig solche Praktiken im Anbau, in der Produktion und Verarbeitung unter Druck zu setzen, die nicht nachhaltig sind. So sollten etwa durch Regulierung von Werbung und Verfügbarkeit der übermäßige Fleischkonsum oder der Verzehr von Milchprodukten, die sowohl aus gesundheitlicher wie auch aus ökologischer Perspektive bedenklich sein können, reduziert werden, empfiehlt der Bericht.

Klare Richtung für Innovation und Systemwechsel

Die WissenschaftlerInnen haben in dem Forschungsprojekt untersucht, inwiefern der derzeitige Policy Mix, mit dem die EU das europäische Lebensmittelsystem steuert, mit den transformativen Zielen des Europäischen Green Deal vereinbar ist und wie er den Wandel gestalten kann. Die Forschenden bewerteten, ob und wie der gegenwärtige Politikmix neue Formen der Lebensmittelproduktion und des Lebensmittelkonsums fördert und die Abschaffung nicht nachhaltiger Praktiken vorantreibt. Hierbei ging es vor allem darum, zu analysieren, wie sozial gerechte Übergänge ermöglicht werden können und ob die EU-Politik kohärent ist sowie eine klare Richtung für Innovation und Systemwandel vorgibt.

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Die Umgestaltung des europäischen Lebensmittelsystems – Bewertung des EU-Politikmixes – Zusammenfassung

Die Notwendigkeit einer Umgestaltung des europäischen Lebensmittelsystems

Die Lebensmittelsysteme in Europa und der ganzen Welt sind derzeit nicht nachhaltig. Weltweit sind sie für fast ein Drittel der Treibhausgasemissionen verantwortlich, treiben den Verlust der biologischen Vielfalt und schädliche Gesundheitsauswirkungen voran und sorgen nicht für faire wirtschaftliche Erträge und Lebensgrundlagen für alle Akteure. Laut der EAT-Lancet-Kommission ist zur Behebung dieser Mängel und zur Erreichung einer gesunden Ernährung innerhalb der planetarischen Grenzen nichts Geringeres als eine „große Nahrungsmitteltransformation“ erforderlich. In Anerkennung des Ausmaßes des erforderlichen Wandels hat die EU im Jahr 2020 die Strategie „Vom Bauernhof auf den Tisch“ (F2F) verabschiedet, mit dem Ziel, den „Übergang zu einem fairen, gesunden und umweltfreundlichen Lebensmittelsystem“ zu ermöglichen und zu beschleunigen (EC, 2020c).

Während die Notwendigkeit einer Umgestaltung des europäischen Lebensmittelsystems sowohl in der Forschung als auch in der EU-Politik klar anerkannt wird, sind die Herausforderungen ebenso offensichtlich. Europas Lebensmittelsystem ist äußerst komplex und mit seinen Gesellschaften, Volkswirtschaften, Kulturen und Landschaften verwoben. Diese Interdependenzen schaffen vielfältige Hindernisse und Widerstände gegen Veränderungen, die oft durch den Einfluss mächtiger Interessengruppen noch verstärkt werden.

In denvergangenen zwei Jahrzehnten ist ein wachsender Bestand an Forschungsarbeiten zu „Nachhaltigkeitsübergängen“ entstanden, die Erkenntnisse darüber liefern, wie Gesellschaften diese Hindernisse überwinden und weitreichende systemische Veränderungen erreichen können. Nach diesen Forschungen erfolgen Nachhaltigkeitsübergänge durch einen doppelten Prozess, der die Entstehung und Verbreitung innovativer neuer Wege zur Erfüllung gesellschaftlicher Bedürfnisse (z. B. Technologien, soziale Praktiken, Geschäftsmodelle) und die Unterbrechung und das Auslaufen etablierter Produktions- und Verbrauchsweisen kombiniert

Um Übergänge zu erreichen, bedarf es mutiger und umfassender politischer Maßnahmen Nachhaltigkeitsübergänge sind zwangsläufig mit Kompromissen verbunden, die Gewinner und Verlierer hervorbringen. Übergänge sind zudem von Natur aus komplexe und unsichere Prozesse, die von Regierungen nicht einfach modelliert, geplant und umgesetzt werden können. Dennoch spielen öffentliche Politiken und Institutionen eine wesentliche Rolle, wenn es darum geht, Innovationen und Ausstiegsprozesse anzustoßen und zu gestalten, Wechselwirkungen zwischen Systemen zu berücksichtigen und Übergangsprozessen eine Richtung zu geben. Das Erreichen von Nachhaltigkeitsübergängen erfordert kohärente Beiträge aus verschiedenen Politikbereichen und Verwaltungsebenen, die von internationalen Handelsregeln und EU-Politiken bis hin zu Rechtsvorschriften auf mitgliedstaatlicher, regionaler und lokaler Ebene reichen.

Dieses Verständnis der Rolle der Politik bei der Ermöglichung von Übergängen ist nun im strategischen Denken der EU verankert. Der wichtigste strategische Rahmen der Europäischen Kommission, der European Green Deal (EGD), kombiniert politische Maßnahmen, die auf die Umgestaltung der zentralen Produktions- und Verbrauchssysteme abzielen (wie die F2F-Strategie), mit einem spezifischen Fokus auf Querschnittsthemen wie Innovation, Finanzen und den „gerechten Übergang“. Der EGD erkennt eindeutig an, dass gut durchdachte Kombinationen von politischen Zielen und Instrumenten (d. h. Policy-Mixes) erforderlich sind, um den Systemwandel voranzutreiben, und bekräftigt, dass „die politische Reaktion mutig und umfassend sein muss… . Sie wird eine intensive Koordinierung erfordern, um die verfügbaren Synergien in allen Politikbereichen zu nutzen“. Darüber hinaus wird die EGD „alle politischen Hebel konsequent nutzen: Regulierung und Normung, Investitionen und Innovation, nationale Reformen, Dialog mit den Sozialpartnern und internationale Zusammenarbeit“ (EK, 2019).

In der Praxis ist der Policy-Mix, der die Produktions- und Verbrauchssysteme steuert, jedoch stets durch Unstimmigkeiten gekennzeichnet. Auch wenn transformative politische Rahmenwerke wie die EGD und die F2F-Strategie auf eine stärkere Angleichung abzielen, bauen sie zwangsläufig auf zahlreichen Politiken auf, die sich über Jahrzehnte hinweg in verschiedenen Bereichen (Landwirtschaft, Innovation, Umwelt, Gesundheit usw.) und mit gegensätzlichen Zielen entwickelt haben. Selbst die einzelnen sektoralen politischen Rahmenwerke werden im Laufe der Zeit uneinheitlich, da sich ihre Ziele weiterentwickeln und neue Instrumente auf die alten aufgesetzt werden. Diese Inkohärenz kann zu widersprüchlichen Signalen über die Richtung der Entwicklung führen, den Fortschritt verlangsamen und die für den Übergangsprozess erforderlichen Investitionen verhindern.

Bewertung des EU-Policy-Mix für das Lebensmittelsystem

Angesichts des Ausmaßes und der Dringlichkeit der europäischen Umwelt- und Klimaprobleme ist es notwendig, die Lücken und Unstimmigkeiten im derzeitigen EU-Policy-Mix zu verstehen und herauszufinden, wie man sie überwinden kann (EC, 2022e). Der vorliegende Bericht zielt darauf ab und konzentriert sich dabei auf das europäische Lebensmittelsystem. Das Hauptziel des Berichts besteht darin, den EU-Policy-Mix im Lichte der Erkenntnisse aus der Übergangsforschung über die Dynamik und Steuerung von Nachhaltigkeitsübergängen zu bewerten. Der Bericht befasst sich mit zwei Kernfragen.

  1. Ist der derzeitige EU-Policy-Mix zur Steuerung des europäischen Lebensmittelsystems mit den transformativen Zielen des EGD vereinbar?
  2. Wenn nicht, wie könnte er wirklich transformativ gestaltet werden? Zur Beantwortung dieser Fragen ist es zunächst erforderlich, den zu analysierenden Policy-Mix abzugrenzen.

Im Falle des europäischen Lebensmittelsystems ist der relevante Policy-Mix sehr umfangreich und umfasst zahlreiche Ziele und Instrumente in einer Reihe von Politikbereichen und auf verschiedenen Verwaltungsebenen. In der Praxis muss daher jede Policy-Mix-Analyse ihren Fokus eingrenzen, damit sie praktikabel und dennoch aufschlussreich ist. Der Ansatz in diesem Bericht geht von der strategischen Absicht der EU aus, die Lebensmittelsysteme fair, gesund und umweltfreundlich zu gestalten, wie in der F2F-Strategie dargelegt. Er betrachtet horizontal alle EU-Politikbereiche, die das Lebensmittelsystem der EU stark beeinflussen, und befasst sich zunächst mit der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) und der F2F-Strategie, bevor er die Analyse auf andere ausgewählte Politikbereiche ausweitet. Dies stellt zwar keine umfassende Analyse aller EU-Politiken dar, die die Lebensmittelsysteme beeinflussen, soll aber einen recht breiten und genauen Überblick über die relevanten Politiken geben.

Die Konzentration der Bewertung auf die EU-Politik hat natürlich auch einige wichtige Einschränkungen. So hat die EU-Politik zwar einen erheblichen Einfluss auf Bereiche wie Landwirtschaft und Fischerei, doch sind die Aufgaben der EU in anderen relevanten Bereichen, wie der Steuerpolitik, begrenzt. Außerdem werden einige Rechtsvorschriften, die das Lebensmittelsystem beeinflussen, auf nationaler oder regionaler Ebene entwickelt und/oder erlassen, und vieles hängt davon ab, wie die EU-Politik in den Mitgliedstaaten umgesetzt wird. Die globale Handelspolitik ist ebenfalls sehr wichtig für die Gestaltung der Lebensmittelsysteme in der EU, wird aber nicht im Detail behandelt und sollte in künftigen Studien weiter analysiert werden.

Trotz dieser Vorbehalte bietet der Bericht wertvolle Einblicke in das Ausmaß, in dem die EU-Politik mit den Erkenntnissen über die Steuerung von Übergängen übereinstimmt, und in dem es wichtige Einschränkungen und Lücken gibt. Er bildet auch die Grundlage für künftige umfassendere Bewertungen, die sich mit anderen Governance-Ebenen und dem Zusammenspiel zwischen verschiedenen Governance-Ebenen befassen.

Kartierung und Bewertung der GAP, der GFP und der „Farm to Fork“-Strategie

Der Bewertungsprozess umfasste zwei Phasen. Die erste Phase konzentrierte sich auf die Kategorisierung und Kartierung der Instrumente der wichtigsten EU-Politiken, die sich auf die Steuerung des Lebensmittelsystems auswirken, d. h. auf die GAP und die GFP, die in den vergangenen Jahrzehnten die wichtigsten sektoralen Politiken waren, die die europäische Lebensmittelproduktion beeinflussten, sowie auf die F2F-Strategie, die einen Wechsel zu einem systemischeren, integrierten Politikansatz darstellt. Als etablierte Politiken unterscheiden sich die GAP und die GFP eindeutig von der F2F-Strategie, die einen strategischen Fahrplan für zusätzliche Politiken und Initiativen bietet. Für die Zwecke der Bewertung ist dies jedoch unproblematisch, da das Ziel darin besteht, die Ziele und Instrumente dieser politischen Rahmenwerke zu untersuchen – und dort, wo es Lücken oder Fehlanpassungen gibt, nicht ihre Umsetzung oder ihre Auswirkungen.

Die drei politischen Rahmenwerke wurden nach dem Teil der Lebensmittel-Wertschöpfungskette, auf den sie abzielen, nach der Art der eingesetzten Instrumente und nach ihrem Beitrag zur Übergangsdynamik kategorisiert. Der Kartierungs- und Bewertungsprozess lieferte eine Reihe von Erkenntnissen über potenzielle Lücken und Grenzen im EU-Politikmix. Diese ersten Ergebnisse wurden zu einer Reihe von fünf vorrangigen Fragen zusammengefasst, die in internen und externen Workshops der EUA erörtert und anschließend weiter verfeinert wurden.

Die zweite Phase der Bewertung konzentrierte sich auf diese fünf Fragen und stützte sich auf eine umfassendere Analyse der EU-Politik, die auch Bereiche wie Innovation, Umwelt, Unternehmensführung, Ernährung usw. umfasste, um ein vollständigeres Bild möglicher Lücken oder Schwachstellen im EU-Policy-Mix zu zeichnen. Sie untersuchte auch einige Aktivitäten der Mitgliedstaaten, z. B. nationale GAP-Strategiepläne und Beispiele für stärker transformative Politikansätze.

Diese Analyse stützte sich auf eine Reihe von Workshops und Gesprächen mit Experten aus Forschung und Politik sowie auf eine Literaturstudie. Diese Aktivitäten zielten darauf ab, die Erkenntnisse aus der ersten Phase zu vertiefen und ein besseres Bild von den Stärken und Grenzen des EU-Policy-Mix zu gewinnen. Die Ergebnisse dieser detaillierteren Bewertung werden im Folgenden zusammengefasst und in den Kapiteln 5-9 ausführlich dargestellt.

  1. Frage 1: Fördert der EU-Policy-Mix eine Umstellung auf nachhaltigen Lebensmittelkonsum? Die Entscheidungen der Verbraucher darüber, welche Lebensmittel sie essen, wie sie produziert werden, woher sie kommen, wie sie zubereitet und verzehrt werden und wie viel davon verschwendet wird, spielen eine wesentliche Rolle bei der Gestaltung der Ergebnisse und Auswirkungen des Lebensmittelsystems, sowohl in Europa als auch weltweit. Wie in der Übergangsforschung hervorgehoben wurde, erfordert die Änderung etablierter Konsummuster Maßnahmen der Akteure entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Die Bewertung des EU-Policy-Mix zeigt jedoch, dass sich die Politik derzeit ungleichmäßig und in einer Weise an die Verbraucher und andere wichtige Akteure wendet, die wahrscheinlich nicht zu wesentlichen Veränderungen führen wird. Die Verbraucher werden überwiegend mit Informationsinstrumenten wie der Etikettierung angesprochen, während Preisinstrumente kaum eingesetzt werden. Strategien und Maßnahmen, die auf die Hauptakteure im mittleren Teil der Lebensmittelwertschöpfungskette abzielen, wie z. B. Lebensmittelhersteller und Einzelhändler, sind im Entstehen begriffen, sind aber derzeit hauptsächlich freiwillig.
    Um den Übergang zur Nachhaltigkeit zu erreichen, müssen die politischen Maßnahmen mit der Realität der Verbraucherentscheidungen in Einklang gebracht werden. Informationsbasierte Instrumente sind nach wie vor wichtig, um eine rationale Entscheidungsfindung zu ermöglichen, und müssen so gestaltet werden, dass ihre Wirkung maximiert wird. Viele Entscheidungen beruhen jedoch auf gewohnheitsmäßigen Verhaltensweisen und Faktoren des Lebensmittelumfelds, wie der Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von Lebensmitteln. In Anbetracht dieser Tatsachen können politische Maßnahmen noch weiter gehen, indem sie auf Akteure wie Einzelhändler abzielen und deren Marketing- und „Wahlbeeinflussungs“-Aktivitäten beeinflussen. Preisgestaltungsinstrumente können die relative Erschwinglichkeit nachhaltiger Optionen beeinflussen. Die öffentliche Beschaffungspolitik kann die Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von Lebensmitteln in wichtigen Mikroumgebungen wie Schulen, Arbeitsplätzen und Kantinen beeinflussen. Solche Maßnahmen können in Kombination mit Kommunikation und Marketing dazu beitragen, soziale Normen zu verändern und nachhaltige Entscheidungen wünschenswert zu machen – vor allem, wenn sie mit anderen Verbrauchermotivationen, wie etwa gesundheitlichen Zielen, in Einklang stehen. Schließlich kann die Politik auch Möglichkeiten für die Bürger schaffen, neue Praktiken zu entwickeln, zum Beispiel durch lokale lebensmittelpolitische Beiräte oder alternative Lebensmittelnetze.
  2. Frage 2: Schafft die EU-Lebensmittelpolitik nicht nachhaltige Technologien, Praktiken und Systeme aktiv ab? Die Forschung zu nachhaltigen Übergängen unterstreicht die Notwendigkeit, schädliche Technologien, Stoffe und Praktiken und sogar ganze soziotechnische Systeme zu unterbrechen und auslaufen zu lassen. Strenge Vorschriften und marktwirtschaftliche Instrumente können auch Anreize für Innovationen schaffen und die Verbreitung nachhaltigerer Alternativen fördern. In der Praxis ist die EU-Lebensmittelpolitik jedoch uneinheitlich, was Maßnahmen zur schrittweisen Einstellung nicht nachhaltiger Aktivitäten angeht. Die F2F-Strategie und die GFP enthalten eine Reihe von Instrumenten, die darauf abzielen, nicht nachhaltige Aspekte des derzeitigen Lebensmittelsystems auslaufen zu lassen, aber einigen dieser Maßnahmen mangelt es an Ehrgeiz und Stringenz. Andere EU-Politiken, wie z. B. Teile des gemeinschaftlichen Besitzstandes im Umweltbereich, beginnen, echte systemische Auswirkungen zu haben, aber sie stehen neben zahlreichen Maßnahmen in der GAP und der GFP, die „Business-as-usual“-Praktiken begünstigen. Um dies zu korrigieren und schädliche Praktiken im Lebensmittelsystem schrittweise abzuschaffen, ist eine erhebliche Neuausrichtung der GAP-Ausgaben sowie eine breite Palette von Maßnahmen erforderlich, um die Verfügbarkeit und den Preis nicht nachhaltiger Produkte zu senken. Die Erfahrungen in den EU-Mitgliedstaaten zeigen auch, dass ergänzende Maßnahmen erforderlich sind, um einen gesellschaftlichen Konsens über die Notwendigkeit von Veränderungen herzustellen und eine gerechte Verteilung der Kosten zu gewährleisten. Ausstiegsmaßnahmen sind politisch schwierig, wenn sie einigen Gruppen unverhältnismäßig hohe Kosten aufbürden und auf den Widerstand von Interessengruppen stoßen. Ein erfolgreicher Ausstieg erfordert daher eine Kombination von Maßnahmen, die Innovationen fördern, etablierte Systeme aufbrechen, Widerstände überwinden, einen Konsens herbeiführen und eine faire Verteilung von Kosten und Nutzen gewährleisten.
  3. Frage 3:Bietet die EU-Politik ausreichende Unterstützung für transformative Innovationen? Die Umgestaltung der Lebensmittelsysteme hängt von der Entstehung und Verbreitung radikaler Innovationen ab, die von neuen Technologien bis hin zu neuartigen sozialen Praktiken und Steuerungsmechanismen (z. B. gemeinschaftsgestützte Landwirtschaft oder lebensmittelpolitische Räte) reichen. Radikale Innovationen stoßen jedoch auf große Hindernisse, und öffentliche Politiken und Institutionen spielen daher eine entscheidende Rolle bei der Schaffung von Nischen für Experimente und Lernprozesse, beim Aufbau von Koalitionen zwischen den Akteuren in Innovationssystemen, bei der Entwicklung von Visionen und Missionen, die die Richtung von Innovation und Investitionen vorgeben, und bei der Beschleunigung der Verbreitung von Nischeninnovationen, beispielsweise durch Direktinvestitionen, Subventionen oder Steuerpolitik. In der Praxis bietet die EU-Politik für das Lebensmittelsystem eine gemischte Unterstützung für Innovationen. Die GAP, die GFP und die F2F-Strategie unterstützen eher inkrementelle, technologische Innovationen und richten sich an eine begrenzte Anzahl etablierter Akteure. Andere EU-Politiken, wie die Forschungs- und Innovationspolitik, bieten jedoch eine starke Unterstützung für transformative Innovationen und helfen dabei, verschiedene Interessengruppen in Living Labs, soziale Innovationen und Bürgerwissenschaften einzubinden und die Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft zu stärken. Die politische Unterstützung könnte jedoch noch weiter gehen, indem gesellschaftliche Akteure in die Entwicklung von Lösungen eingebunden werden, die an bestimmte Orte angepasst sind, und indem Missionen zur Koordinierung und Beschleunigung von Nischenaktivitäten genutzt werden. Entscheidend ist, dass die hohen Investitionen in Forschungsprojekte noch nicht durch ein vergleichbares Maß an Unterstützung für die Beschleunigung und Ausweitung radikaler Innovationen ergänzt werden, z. B. durch finanzielle Hilfe oder die Schaffung von Märkten. Eine Verbesserung der Synergien zwischen den EU-Politiken und -Programmen könnte dazu beitragen, die Verbreitung und Nutzung von transformativen Innovationen weiter zu beschleunigen.
  4. Frage 4: Ermöglicht die EU-Politik einen gerechten Übergang des Lebensmittelsystems? Das Konzept des gerechten Übergangs ist in den letzten zehn Jahren in der Forschung zu Nachhaltigkeitsübergängen in den Vordergrund gerückt und spiegelt die Notwendigkeit wider, sich mit den sozialen Dimensionen von Übergängen zu befassen und unbeabsichtigte Schäden zu bewältigen. Die EU hat versucht, einige der negativen sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Energiewende durch den Mechanismus und den Fonds für gerechte Übergänge anzugehen. Gegenwärtig gibt es zumindest auf EU-Ebene keinen vergleichbaren Mechanismus für die Umstellung der Agrar- und Ernährungswirtschaft. Mechanismen, die einen gerechten Übergang gewährleisten, sind für die soziale Akzeptanz und die politische Durchführbarkeit der Bemühungen um ein Upscaling von Innovationen, die Umsetzung strenger Ausstiegsmaßnahmen und die Sicherstellung einer breiten gesellschaftlichen Unterstützung für ehrgeizige Visionen und Ziele unerlässlich. Instrumente wie der Just Transition Fund können einen Ausgleich schaffen, aber es sind auch Maßnahmen erforderlich, die auf kulturelle und soziale Blockaden reagieren und eine wirksame Beteiligung der Interessengruppen an Entscheidungsprozessen erleichtern. Dies bedeutet, dass ein mehrdimensionales Verständnis von Gerechtigkeit zugrunde gelegt werden muss, das die Verteilung (von Nutzen und Schaden), die Anerkennung (der Interessen der verschiedenen Interessengruppen) und die Verfahren (z. B. faire und transparente Entscheidungsfindung) umfasst. In der Praxis bedeutet dies die Anwendung von Governance-Ansätzen, um den betroffenen Gruppen bei der Entwicklung von Visionen und der Planung auf regionaler Ebene eine Stimme zu geben, Ungerechtigkeit im gesamten System zu bekämpfen, die unterschiedlichen Werte und Identitäten von Gemeinschaften und Interessengruppen anzuerkennen und antizipatorische Methoden anzuwenden, um ein gemeinsames Verständnis des Systems und künftiger Veränderungen zu entwickeln.
  5. Frage 5: Bietet die EU-Lebensmittelpolitik einen kohärenten Rahmen und eine Ausrichtung auf ein nachhaltiges Lebensmittelsystem? Die Bewältigung des Übergangs zum Lebensmittelsystem erfordert koordinierte Maßnahmen in verschiedenen Politikbereichen und in der Gesellschaft im weiteren Sinne. Kohärente und konsistente politische Ziele und Instrumente in Verbindung mit langfristigen Visionen, Aufgaben und Zielvorgaben sind unerlässlich, um diese gemeinsame Ausrichtung zu schaffen und Regierungen und Unternehmen in die Lage zu versetzen, ihre Ressourcen auf spezifische Innovations- und Übergangspfade zu konzentrieren. Obwohl es einige Synergien zwischen den Zielen der GAP, der GFP und der F2F-Strategie gibt, sendet der gesamte EU-Lebensmittelpolitik-Mix aufgrund von Inkohärenzen zwischen den politischen Zielen gemischte Signale. Der Policy-Mix ist auch hinsichtlich der gewünschten Richtung des Wandels unklar. So wird in der F2F-Strategie häufig auf eine „nachhaltige Landwirtschaft“ verwiesen – ein Konzept, das sehr unterschiedlich interpretiert werden kann.

Im Einklang mit der F2F-Strategie entwickelt die Europäische Kommission einen Vorschlag für einen Rechtsrahmen für ein nachhaltiges Lebensmittelsystem, der „die politische Kohärenz auf EU- und nationaler Ebene fördern und die Nachhaltigkeit in alle lebensmittelbezogenen Politikbereiche einbeziehen wird“ (EC, 2020a). Ein ehrgeiziger Rahmen könnte die Richtungsweisung und Kohärenz erheblich stärken. Die Fortschritte auf dem Weg zu transparenten Aufgabenplänen und einem kohärenten Policy-Mix müssen unterstützt sowie regelmäßig überprüft und überwacht werden. Die Maßnahmen und Aktivitäten, die zur Verwirklichung nachhaltiger Lebensmittelsysteme erforderlich sind, werden in den einzelnen EU-Ländern und ihren Regionen und Städten unterschiedlich sein. Die Entwicklung ehrgeiziger Strategien, Ziele und Vorgaben auf EU-Ebene kann jedoch die Entwicklung von Strategien für Lebensmittelsysteme auf nationaler und lokaler Ebene unterstützen, die die gemeinsamen Ziele der EU ergänzen und vorantreiben.

Fenster der Gelegenheit

Dieser Bericht kommt zu einem entscheidenden Zeitpunkt. Der EGD und die F2F-Strategie sind entscheidende Fortschritte bei der Übernahme des Denkens über systemische Übergänge in die EU-Politik. Dennoch sind sie eindeutig nur erste Schritte. Wie in diesem Bericht dargelegt, ist der EU-Politikmix, der das europäische Lebensmittelsystem regelt, durch Lücken und Unstimmigkeiten gekennzeichnet, die sein Transformationspotenzial begrenzen. Die in diesem Bericht identifizierten Maßnahmen könnten den Policy-Mix transformativer gestalten. Ihre starke Interdependenz bedeutet jedoch, dass ihr Potenzial nur durch einen strategischen und kohärenten Ansatz voll ausgeschöpft werden kann.

Die geplante Entwicklung eines EU-Rechtsrahmens für ein nachhaltiges Lebensmittelsystem im Jahr 2023 bietet eine wichtige Gelegenheit, die erforderliche Kohärenz und den nötigen Ehrgeiz zu erreichen. Während einige Interessengruppen die Krise in der Ukraine als Grund für eine Verzögerung oder Entgleisung der Umsetzung der F2F-Strategie und der Entwicklung des Rechtsrahmens für ein nachhaltiges Lebensmittelsystem angeführt haben, ist klar, dass die Umgestaltung des europäischen Lebensmittelsystems für die Gewährleistung der Ernährungssicherheit und die Verwirklichung der umfassenderen ökologischen, klimatischen, sozialen und wirtschaftlichen Ziele der EU unerlässlich ist.

Wie der Vizepräsident der Europäischen Kommission Timmermans argumentiert hat: Den Krieg in der Ukraine zu nutzen, um Vorschläge zu verwässern und den Europäern Angst zu machen, dass Nachhaltigkeit weniger Lebensmittel bedeutet, ist, offen gesagt, ziemlich unverantwortlich“ (EK, 2023b). Ein ehrgeiziger Rechtsrahmen für ein nachhaltiges Lebensmittelsystem hat das Potenzial, die Richtung für umfassendere Veränderungen in der EU-Politik vorzugeben, auch unter der nächsten Europäischen Kommission und im Finanzzeitraum nach 2027. Auf diese Weise kann ein solcher Rahmen einen entscheidenden Beitrag zu den Bemühungen der EU leisten, ein gerechtes und nachhaltiges europäisches Lebensmittelsystem zu schaffen.

Das Potenzial kann nur durch einen strategischen und kohärenten Ansatz voll ausgeschöpft werden. Die geplante Entwicklung eines EU-Rechtsrahmens für ein nachhaltiges Lebensmittelsystem im Jahr 2023 bietet eine wichtige Gelegenheit, die erforderliche Kohärenz und den nötigen Ehrgeiz zu erreichen. Während einige Interessengruppen die Krise in der Ukraine als Grund für eine Verzögerung oder Entgleisung der Umsetzung der F2F-Strategie und der Entwicklung des Rechtsrahmens für ein nachhaltiges Lebensmittelsystem angeführt haben, ist klar, dass die Umgestaltung des europäischen Lebensmittelsystems für die Gewährleistung der Ernährungssicherheit und die Verwirklichung der umfassenderen ökologischen, klimatischen, sozialen und wirtschaftlichen Ziele der EU unerlässlich ist. Wie der Vizepräsident der Europäischen Kommission Timmermans argumentiert hat: Den Krieg in der Ukraine zu nutzen, um Vorschläge zu verwässern und den Europäern Angst zu machen, dass Nachhaltigkeit weniger Lebensmittel bedeutet, ist, offen gesagt, ziemlich unverantwortlich“. Ein ehrgeiziger Rechtsrahmen für ein nachhaltiges Lebensmittelsystem hat das Potenzial, die Richtung für umfassendere Veränderungen in der EU-Politik vorzugeben, auch unter der nächsten Europäischen Kommission und im Finanzzeitraum nach 2027. Auf diese Weise kann ein solcher Rahmen einen entscheidenden Beitrag zu den Bemühungen der EU um ein gerechtes und nachhaltiges europäisches Lebensmittelsystem leisten.

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