EU-Kommission verliert Klima-Chef und Vizepräsidenten

Timmermans Rückzug schwächt EU-Klimapolitik

Frans Timmermans (62) hat als Vizechef der EU-Kommission und europäischer Klimakommissar wichtige Entscheidungen vorbereitet. Nun will er sein EU-Amt aufgeben, wird Brüssel für den Parteivorsitz der Arbeiterpartei verlassen und kehrt in die niederländische Politik zurück. Die Arbeiterpartei (PvdA) und die Grüne Linke (GroenLinks) haben beschlossen, bei der Wahl am 22. November gemeinsam anzutreten, um den Rückgang der Unterstützung für linke Parteien aufzuhalten, berichten Euractiv und die Zeitung De Volkskrant am 20.07.2023 berichtete. Sein Rückzug schwächt die Klimapolitik der EU, fürchten viele. Denn mit Timmermans verliert die EU ein politisches Schwergewicht. (Foto: Frans Timmermans – © Lukasz Kobus, EC – Audiovisual Service)

Frans Timmermans – Foto © Lukasz Kobus, EC – Audiovisual Service

Timmermans, Mitglied der niederländischen Arbeiterpartei, wird die Europäische Kommission voraussichtlich Mitte August verlassen. Timmermans erhält breite Unterstützung für seine Kandidatur und strebt als Listenführer der neuen Kombination PvdA/GroenLinks bei den kommenden Parlamentswahlen das Amt des Ministerpräsidenten an, „um die Spaltung der Niederlande zu beenden. Es ist an der Zeit, dass wir in den Niederlanden wieder zusammenwachsen, statt auseinander“, sagte Timmermans dem niederländischen Radio NOS über seine Motivation. Bereits Anfang der Woche hatte er
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen über seine Pläne informiert.

Timmermans Kandidatur wurde sofort von von prominenten Persönlichkeiten aus beiden Parteien begrüßt. Die PvdA-Parteivorsitzende Attje Kuiken sagte ihm ihre „große Unterstützung für seine Kandidatur“ zu. Ihr Kollege von GrünLinks, Jesse Klaver, lobte Timmermans als „den perfekten Premierminister“, um den Kurs der Niederlande zu ändern. Nach Ansicht des Grün-Linken Bas Eickhout ist der EU-Vizechef „die geeignete Person, um die grüne und die rote Geschichte auf eine gute Weise zusammenzubringen“.

Selbst potenzielle Gegenkandidaten, wie die Amsterdamer PvdA-Stadträtin Marjolein Moorman und der Rotterdamer Bürgermeister Ahmed Aboutaleb, stellten sich sofort hinter Timmermans. Das machte ihn zum Wunschkandidaten der Parteivorstände. Timmermans verwies auf die großen Probleme, mit denen die Niederlande und Europa konfrontiert seien: die Klimakrise, die Zerstörung der Natur, der Krieg in der Ukraine und die wachsende Ungleichheit. Er wünscht sich eine bessere Regierung, welche die Probleme anpacke und der man vertraue, „und eine Gesellschaft, in der die Menschen gemeinsam anpacken“. Wenn sein Versuch, Premierminister zu werden, scheitere, werde er im Parlament bleiben, sagte er gegenüber NOS.

Mit dem EU-Kommissar und Vize-Kommissionschef geht der EU im internationalen Betrieb ein erfahrener und gut vernetzter Klimaschützer verloren. Einem Nachfolger fehlen Wissen und Verbindungen. Und die spanische Ratspräsidentschaft könnte die Probleme noch verschärfen.(Bernd Pötter auf TableClimate)

Timmermans ist als Vizepräsident der Europäischen Kommission verantwortlich für den „Green Deal“ der EU – ein umfassendes Paket von Strategien in den Bereichen Klimawandel und Umwelt. Er ist auch in den Niederlanden eine bekannte Persönlichkeit, da er von 2012 bis 2014 dem vorherigen Kabinett des scheidenden Ministerpräsidenten Mark Rutte als Außenminister angehörte. Nachdem seine Kampagne für die europäischen Sozialdemokraten bei den Europawahlen 2019 weitgehend als Erfolg gewertet worden war, wurde er bereits als Spitzenkandidat für die Führung der niederländischen Oppositionsparteien gehandelt. Timmermans, der neben seiner Muttersprache Niederländisch auch Englisch, Deutsch, Französisch, Italienisch und Russisch spricht, ist als geschickter Verhandlungsführer bei internationalen Klimaverhandlungen bekannt. Einer Umfrage zufolge trauen 39 Prozent der niederländischen Wähler ihm zu, die nächste Regierung zu führen.

Michael Bloss, klimapolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament, lobte Timmermans für seine Rolle bei der Ausgestaltung des europäischen Green Deals. „Mit Timmermans‘ Wechsel an die Spitze von PvdA-GroenLinks verliert die EU-Kommission den visionären Baumeister des Green Deals. Er hat unermüdlich gegen die Fossil-Lobby und die Gegner des europäischen Klimaschutzes gekämpft. Die Erfolge des Green Deals sind historisch. Er hat viel für eine grünere und gerechtere Zukunft getan. Das kann man sich für die Niederlande nur wünschen.“

Auch Laurence Tubiana, CEO der European Climate Foundation, hatte nur lobende Worte für den Niederländer übrig: „Frans Timmermans war eine Schlüsselfigur im Kampf gegen den Klimawandel, sowohl auf EU-Ebene mit dem Green Deal als auch auf internationaler Ebene bei den wichtigen Diskussionen über Loss and Damage. Ich bin dankbar für seine Arbeit und seine Führungsrolle – der europäische Green Deal ist stark und zeigt seine Vorteile im Kampf gegen den Klimawandel. Sein Vermächtnis wird in der Kommission für die europäischen Bürger fortbestehen.“

Niels Fuglsang, dänischer Abgeordneter des Europäischen Parlaments für die Sozialisten und Demokraten (S&D), sprach ebenfalls ein großes Lob aus: „Timmermans hat das größte Paket von Klimagesetzen auf den Weg gebracht, das die Welt je gesehen hat. Dies ist ein bemerkenswertes Vermächtnis und wird in den kommenden Jahrzehnten grüne Ergebnisse liefern. Er wird ein hervorragender Kandidat für die Niederlande sein und kann sich als zukünftiger Ministerpräsident für die europäischen Klimaambitionen einsetzen.“

Das Ausscheiden von Timmermans lässt die Frage seiner Nachfolge in der Europäischen Kommission offen. Sollte ein EU-Kommissar für nationale Wahlen kandidieren, würde man von ihm erwarten, dass er sich „beurlauben“ lasse, ohne formell das Amt in der EU-Kommission niederzulegen, sagte ein Sprecher der Kommission während einer regulären Pressekonferenz am 20.07.2023. Sollte Timmermans zurücktreten, müsste im Prinzip ein neuer Kommissar derselben Nationalität von der niederländischen Regierung nominiert werden, um ihn zu ersetzen, erklärte der Sprecher.

Schrille Reaktion der Rechten auf Timmermans Pläne

Die mögliche Kandidatur von EU-Klimachef Frans Timmermans für die gemeinsame Liste der Arbeiterpartei (PvdA/S&D) und GroenLinks (GL/Grüne) sorgte am Donnerstag für Aufregung unter den Rechten, auch in den Niederlanden. „Frans Timmermans ist das Schlimmste, was den Niederlanden passieren kann. Für maximalen Klima- und Stickstoffwahnsinn, für mehr EU, für mehr Vielfalt, Woke und Asyl. Der totale Untergang der Niederlande. […]“, twitterte Geert Wilders, Vorsitzender der Partei für die Freiheit (PVV/ID).

Auf die Äußerungen von Timmermans, dass „Europa vielfältig sein wird“, reagierte die Partei Forum für Demokratie (FvD/ID) mit den Worten: „Wir erleben die schrecklichen Folgen dieser ‚Vielfalt‘ jeden Tag. Schützen Sie unser Land vor diesem Wahnsinn.“

Die Entscheidung von Timmermans, seinen Posten als EU-Klimachef aufzugeben, löste unterdessen unter Rechtsextremen im Ausland freudige Reaktionen aus: „Er wird nicht vermisst werden. Wir zählen darauf, dass die niederländischen Wähler ihn so behandeln werden, wie er es verdient“, spottete der italienische Vizepremierminister und Lega (ID)-Führer Matteo Salvini auf Twitter.

Timmermans war lange Zeit mit konservativen und rechten EU-Gruppen zerstritten, weil er sich für das EU-Naturschutzgesetz eingesetzt hatte, das verbindliche Ziele für die EU-Länder zur Wiederherstellung ihrer natürlichen Lebensräume einführen wollte und auf den heftigen Widerstand der EVP, der größten Fraktion im Europäischen Parlament, stieß.

Während eine abgeschwächte Version des ursprünglichen Vorschlags im Juni den Rat passierte, lehnten mehrere EU-Länder – darunter Italien und die Niederlande – das Gesetz ab, da sie Bedenken in Bezug auf die Nahrungsmittelproduktion, erneuerbare Energien und den Wohnungsbau äußerten. Die mögliche Auswirkung des Gesetzes auf die anhaltende Stickstoffkrise ist den rechtsgerichteten niederländischen Gesetzgebern und den Vertretern der Landwirte ein Dorn im Auge, die befürchten, dass die ehrgeizigen Ziele die derzeitige Situation weiter verschärfen könnten.

In der Vergangenheit war Timmermans öffentlich mit der Vorsitzenden der aufstrebenden Agrarprotestpartei Bauern-Bürger-Bewegung (BBB), Caroline van der Plas, aneinandergeraten, als die beiden sich darüber stritten, wie das Land bei der Senkung seiner Stickstoffemissionen vorankommen sollte. Van der Plas plädiert für eine „Naturpolitik“ anstelle einer Stickstoffpolitik und ist gegen Zwangsabgaben an Landwirte. Als sich die beiden Politiker im April zu einem Gespräch trafen, erklärte Timmermans, dass die BBB „nicht um das Stickstoffproblem herumkommt“.

„Sie [Van der Plas] wird zeigen müssen, dass der von ihr gewählte Weg auch zum Schutz der Natur führen wird“, sagte Timmermans, lobte Van der Plas jedoch für ihr Versprechen, sich an die EU-Vorschriften zu halten. Unterdessen fanden andere Parteimitglieder mehr Worte, um die Entscheidung des EU-Klimachefs zu kritisieren.

Johan van Utrecht, Leiter von BBB Europa und verantwortlich für das Europawahlprogramm der Partei, bezwifelte via Twitter, dass Frans Timmermansins niederländischen Parlament gehen werde, wenn er nicht regiere: „Ich kann Ihnen sagen: Nein. Ein Kandidat für seine eigene Agenda ist das Letzte, was die Niederlande brauchen“.

Die Wahlen lassen ein enges Rennen zwischen der gemeinsamen PvdA/GL-Liste, der VVD (Erneuerung) des ehemaligen Ministerpräsidenten Mark Rutte und der Bauern-Bürger-Bewegung erwarten, wobei jüngste Umfragen einen sehr geringen Abstand in der Unterstützung für alle drei Lager anzeigen.

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