Atlas der Internetüberwachung

Kontrolle der Internet-Provider

Wie Autokraten das Internet über staatliche Provider kontrollieren: Ein deutsch-amerikanisches Forschungsteam unter Leitung der Universität Konstanz kartierte weltweit die Besitzverhältnisse von Netzwerkinfrastrukturen in demokratischen und nicht-demokratischen Staaten. Wenn von einer staatlichen Überwachung des Internets die Rede ist, denken wir häufig zunächst an die Manipulation oder Zensur von digitalen Informationen. Autokratische Staaten können die Überwachung des Internets jedoch auf einer viel tiefliegenderen Ebene erreichen. Dazu eine Untersuchung der Uni Konstanz.

Gleaming Lights of the Souls, Yayoi Kusama, Museum Lousiana, Kopenhagen – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

Indem sie die Netzwerkinfrastruktur ihres Landes kontrollieren, durch die alle Daten fließen. Bildlich gesprochen: Um den digitalen Datenverkehr zu überwachen, ist es entscheidend, die „Verkehrswege“ des Internets zu besitzen. In der Praxis geschieht dies, indem der Staat die Internet-Provider kontrolliert.

Ein Forschungsteam aus Deutschland und den USA unter Leitung der Universität Konstanz ermittelte in einer weltweiten Studie, wie sich die Internet-Infrastruktur in demokratischen und autokratischen Staaten unterscheidet. Die Studie kartierte die weltweiten Besitzverhältnisse von Internet-Providern und bildet damit zugleich eine Art „Atlas der Internetüberwachung“ ab. Dabei zeichnen sich charakteristische Muster ab: In autokratischen Staaten sind einflussreichere Internet-Provider überwiegend in staatlicher Hand, in Demokratien sind sie hingegen größtenteils privatisiert. Und: Wenn Autokratien auf ausländische Internetprovider zurückgreifen, dann stammen diese in aller Regel aus ebenfalls autokratischen Staaten.

Was die Besitzverhältnisse von Internet-Provider über einen Staat verraten

Der große Beitrag der Studie liegt in der Vermessung sogenannter Transit-Netzwerke, die den Datenverkehr von anderen Netzwerken weiterleiten. Die Forschenden untersuchten sowohl die staatliche Kontrolle von individuellen Internetzugängen als auch die Einflussnahme auf diese Transit-Netzwerke. „Da Transit-Netzwerke für die gewöhnlichen Nutzer*innen unsichtbar sind, bieten sie Möglichkeiten für staatliche Überwachung und Zensur, ohne ihnen gegenüber rechenschaftspflichtig zu sein”, so die Konstanzer Politikwissenschaftlerin Eda Keremoglu.

Die Auswertungen zeigen in der Tat, dass in autokratischen Staaten ein signifikant höherer Anteil des Datenverkehrs durch Transit-Netzwerke geleitet wird, die in staatlichem Besitz liegen. In demokratischen Ländern ist es umgekehrt: Hier sind die einflussreichen Transit-Netzwerke mehrheitlich im Besitz von privaten Internet-Providern.

Technologische Kooperation zwischen nicht-demokratischen Staaten

Die Dienstleistungen von Internet-Providern erstrecken sich häufig über Landesgrenzen hinaus, viele von ihnen operieren international. Es ist somit nicht ungewöhnlich, dass ausländische Firmen einen signifikanten Anteil der Provider in einem Land ausmachen, die den Anschluss einzelner Haushalte ans Internet – also die „letzte Meile“ – übernehmen. Das gilt gleichermaßen für demokratische wie auch für autokratisch regierte Staaten. In der Analyse dieser Zugangsnetzwerke zeichnet sich jedoch ein charakteristischer Unterschied ab: „Einflussreiche ausländische Internetprovider, die in Autokratien im Einsatz sind, stammen fast durchgehend aus anderen autokratischen Staaten. Dies zeigt, dass die internationale Tätigkeit von Internetanbietern einer politischen Logik folgt“, schlussfolgert der Konstanzer Politikwissenschaftler Nils B. Weidmann.

Die Forschenden sprechen von erkennbaren Clustern der technologischen Kooperation zwischen nicht-demokratischen Staaten. Dadurch können freiheitlichere Standards in Privatsphäre, Anonymität und Datenschutz umgangen werden; selbst in der länderübergreifenden Zusammenarbeit wird das autokratische Modell zementiert.

Die Forschenden weisen abschließend darauf hin, dass die Internetüberwachung in autokratischen Ländern vermutlich sogar noch umfassender ist, als die Studie ohnehin schon aufzeigt. Zwar bietet die staatliche Inbesitznahme von Internet-Providern ein sehr direktes Mittel, um den Datenfluss zu kontrollieren, aber sie ist nicht die einzige Methode. Auch private Internet-Provider können vom Staat unter Druck gesetzt werden, was Autokratien eine indirekte Möglichkeit eröffnet, um auf den Datenverkehr Einfluss zu nehmen.

  • Die Politikwissenschaftlerin Dr. Eda Keremoglu ist Forscherin in der Arbeitsgruppe „Communication, Networks and Contention“ an der Universität Konstanz und Projektleiterin am Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“ sowie Mitglied des Zentrums für sozialwissenschaftliche Bildanalyse (ZESOB). Ihre Forschung kreist um die komparatistische Untersuchung von Autokratien und die politische Rolle neuer Informations- und Kommunikationstechnologien in demokratischen und nicht-demokratischen Staaten.
  • Prof. Dr. Nils B. Weidmann ist Professor für Vergleichende Politikwissenschaft nicht-demokratischer Staaten und Leiter der Arbeitsgruppe „Communication, Networks and Contention“. Er ist Mitglied des Exzellenzclusters „The Politics of Inequality“. Wichtige Forschungsfelder seiner Arbeitsgruppe sind die Rolle von Informations- und Kommunikationstechnologie bei politischer Mobilisierung, die Erforschung von Ungleichheit und politischer Gewalt sowie neue Methoden der Datensammlung in den Sozialwissenschaften. Nils B. Weidmann ist Leiter des Zentrums für sozialwissenschaftliche Bildanalyse (ZESOB) an der Universität Konstanz.

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