Afrikanische Entwicklungsbank lässt Wüstenstrom-Idee wieder aufleben

Neuer Anlauf für Desertec 3.0

Die Afrikanische Entwicklungsbank (AfDB) will die Wüstenstrom-Idee Desertec neu aufleben lassen – mit Power-to-X – der Umwandlung von Strom in feste oder flüssige Materialien auf dem Umweg über die Elektrolyse. Die vor zehn Jahren gegründete Desertec Industrie-Initiative (Dii – siehe: solarify.eu/desertec-dii-gmbh) wollte genau das, allerdings mittels Stromleitungen unter dem Mittelmeer. Seitdem Wind- und Solarenergie aus Nordafrika konkurrenzfähig sind (trotz der in Deutschland extrem gesunkenen Grünstrompreise), ist die Vision erneut in den Bereich des Mach- (und Finanzier-)baren gerückt.

„Desertec reloaded 1“ lautete am 15.11.2015 ein Artikel auf Solarify, mit dem Untertitel „Neustart im Wüsten-Emirat“ (siehe: solarify.eu/2015/desertec-reloaded). „Desertec reloaded 2“ folgte am 18.04.2016 („Fraunhofer-Superstudie ‚Supergrid‘: Integration von Erneuerbaren Energien in Europa und Afrika“, siehe: solarify.eu/2016-desertec-reloaded). Im Dezember 2017 hat das DLR eine neue Untersuchung angestellt: Regelbarer Strom aus thermischen Solarkraftwerken in Nordafrika eigne sich nach wie vor ideal für den Export nach Europa und würde das deutsche Stromnetz entlasten. 40 Prozent weniger Netzausbau seien nötig.

Entgegen aller Behauptungen – wie jetzt wieder im VDI-Portal ingenieur.de („…das ambitionierte Projekt scheiterte…“) ist die Dii nicht gescheitert. Die 2009 in Deutschland gegründete Desertec Industrie-Initiative sollte um das Potenzial erneuerbarer Energien in den Wüstengebieten Nordafrikas und des Nahen Ostens erforschen, die Marktbedingungen verbessern und die Synergien prüfen, die durch die Verbindung des europäischen und des MENA-Energiemarktes zu nutzen sind. In zehn Jahren ist die Dii aus einer rudimentären „Desertec Vision“ herausgewachsen, die sich zunächst hauptsächlich auf Strom aus den Wüsten für Europa konzentrierte (Desertec 1.0) und sich (nach Verkleinerung zu „Desert Energy“ und Umzug 2014) auf die Bedingungen der Erneuerbaren Energien in den lokalen Märkten fokussierte (Desertec 2.0) zu einem hoch anerkannten Marktteilnehmer für „grüne Elektronen“ und „grüne Moleküle“ (Power-to-X) aus den Wüsten von MENA für die eigene Bevölkerung und für MENA, um Energieversorger für die Weltmärkte zu werden (Desertec 3.0). Heute betrachtet Dii Desert Energy das gesamte Stromsystem, angefangen bei verschiedenen Formen der Erzeugung erneuerbarer Energien, Netzausbau, neuen Technologien und Innovationen, Energiespeicherung, E-Mobilität, Smart Cities, bis hin zum langfristigen Ziel von „Energie ohne Emissionen“.

Paul van Son – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Desert-Energy-CEO Paul van Son erklärt, die Industrieplattform sei „die erste und (nach wie vor) einzige Initiative in MENA und der Türkei, welche die Branche zu einer völlig emissionsfreien Stromversorgung führen will“. Bis 2014 hätten Solar und Wind allgemein als „exotisch“ gegolten, als zu teuer, zu volatil, PV nur tagsüber produzierend, um sie ernst zu nehmen. Das habe sich seitdem dramatisch verändert, da die nicht subventionierten Kosten für Solarstrom (CSP) und Wind unter das Kostenniveau für fossile und nukleare Alternativen gesunken seien: „Rekordpreise für PPA für PV liegen bei 1,8€ct/KWh in KSA, für CSP 7,3 €ct/KWh in Dubai und 2,5 €ct/KWh für Wind in Marokko. Diese extrem niedrigen Kosten werden die Märkte schnell revolutionieren. Man kann sogar fragen: ‚Wer würde es von nun an noch wagen, in nicht erneuerbare Energien zu investieren‘?“ Vollständig erneuerbar sei technisch und wirtschaftlich machbar und biete enormes Potenzial für lokale Industrien und Arbeitsplätze. Aber das sei nicht in jedem Land einfach.

Wasserstoff

Van Son weiter: „Alle BIG 4-Elemente des Marktes – (1) dezentrale/zentrale Erzeugung, (2) Verbundnetze/Energietransport, (3) Speicherung und (4) flexible Nachfrage – werden lokal und grenzüberschreitend vollständig mobilisiert, um die Sicherheit einer emissionsfreien Versorgung zu niedrigsten Kosten zu gewährleisten. Das wird vor allem die intelligente Nachfrage und Speicherung in den Mittelpunkt stellen, z.B. intelligente Stadtlösungen, intelligente Kühlung oder Heizung, PV-basierte Entsalzung, Elektrofahrzeuge, Massendatenverarbeitung usw. Auch Speicher- und Transportmedien wie Wasserstoff werden am Markt teilnehmen. Auf jeden Fall werden die Strommärkte in den kommenden Jahren auf jeden Fall völlig auf den Kopf gestellt.“ Van Son prophezeit, das werde sehr schnell gehen. Die Treiber für Erneuerbare Energien, vernetzte Märkte und intelligente Städte, darunter die aktuellen Dii-Gesellschafter ACWA Power, State Grid Corporation of China und Innogy, sowie die beratenden Partner Saudi Al Gihaz und Alfanar, Masdar, DEWA, ABB, Siemens, First Solar, TSK, Noor trieben auch Dii Desert Energy voran.

Karte der möglichen Wüstenstromflüsse nach Europa – © dii

Künftig werden – gemäß dem vom Weltenergierat erstellten Fahrplan für synthetische Kraftstoffe – E-Fuels und grüner Wasserstoff aus den Wüsten importiert. Für Europa kommen hauptsächlich Algerien, Tunesien und Marokko mit ihren riesigen Flächen als Exportländer infrage. In beiden Ländern produzieren Photovoltaikanlagen in den Wüsten schon heute Grünstrom für rund 2 ct/kWh – konkurrenzlos günstig. Ingenieur.de: „Sobald die europäische Nachfrage steigt, werden die Projekte im Nahen Osten und Nordafrika schneller vorangetrieben. In einem solchen Fall wäre auch die ambitionierte Idee vom grünen Wasserstoff, der in der Sahara produziert wird, realistisch. Somit ist der der Traum vom einem Erfolg der Desertec Industrial Initiative noch längst nicht ausgeträumt.“

Entsprechend optimistisch ist Mustapha Bakkoury, Vorstandsvorsitzender der marrokanischen Solaragentur Masen: „Mit der Dii haben wir eine gemeinsame Vision vom Potenzial der Solarenergie und ihrer Fähigkeit, sowohl auf Energie- als auch auf Umweltbelange zu reagieren, die wir mit der Europäischen Union teilen. Daher sind wir fest davon überzeugt, dass sich kurzfristig eine Win-Win-Situation einstellen kann. Marokko mit seinem kühnen und proaktiven Solarplan von Masen bekennt sich zu dieser Vision.“

Desert-to-Power-Initiative soll Sahelländern Strom bringen

UN-Generalsekretär Antonio Guterres sagte vor einem Jahr: „Es ist klar, dass wir Zeugen einer globalen Revolution der erneuerbaren Energien sind.“ Diese Revolution findet (einer IPS-Meldung zufolge) auch unter der Führung der Afrikanischen Entwicklungsbank (AfDB) statt, die ein sehr ehrgeiziges Solarprojekt gestartet hat, um Afrika unter dem Titel „Desert to Power (DtP) Initiative“ zu einem Versorger mit Erneuerbaren Energien zu machen. Das im Rahmen eines Gipfels für Solarenergie in Burkina Faso am 13.09.2019 unterzeichnete Projekt soll sich über die ganze Sahelzone erstrecken und die reichlich vorhandenen Solarressourcen der Region nutzen. Bis 2025 sollen 10 GW Solarenergie entwickelt und bereitgestellt werden – 250 Millionen Menschen sollen in einigen der ärmsten Länder der Welt mit Ökostrom versorgt werden. Mindestens 90 Millionen Menschen werden dann zum ersten Mal an Strom angeschlossen und damit aus der Energiearmut befreit.

Derzeit leben 64% der Sahelzone – darunter Senegal, Nigeria, Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger, Tschad, Sudan, Äthiopien, Dschibuti und Eritrea – ohne Strom, ein großes Entwicklungshindernis mit Folgen für Bildung, Gesundheit und Wirtschaft. Die AfDB hat zu Recht darauf hingewiesen, dass Energiemangel nach wie vor ein erhebliches Hindernis für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung Afrikas darstellt.

So betonte AfDB-Präsident Akinwumi Adesina beim Gipfel in Ouagadougougou die Bedeutung des politischen Willens für den Erfolg der Initiative „Desert to Power“. Er machte auf das Paradoxon aufmerksam, dass eine der sonnenreichsten Regionen der Welt keinen Zugang zu Strom hat: „Zusammenarbeit und grenzüberschreitender Energiehandel sind heute mehr denn je unerlässlich, um angesichts der Herausforderungen des Klimawandels eine langfristig sichere Versorgung zu gewährleisten“.

Schätzungen zufolge verfügt Afrika über nahezu unbegrenzte Solarkapazität (10 Terawatt), mehr als genügend Wasserkraft (350 Gigawatt), über 110 Gigawatt Windenergie, dazu geothermische Energiequellen (15 Gigawatt) – eine Gesamtkapazität von 310 Gigawatt. Mit diesem vorhandenen Potenzial an Erneuerbaren Energien könnte Afrika bald  weltweit an erster Stelle der Energieerzeuger stehen (nach ingenieur.de).

Ex-UNEP-Chef Klaus Töpfer sagte am 29.09.2019 der Süddeutschen Zeitung, man müsse den Menschen in Afrika helfen, ihre Gesellschaft ökonomisch und technologisch zu entwickeln. Dort könnten in wenigen Jahren zwei Milliarden Menschen leben. Diese Länder hätten viel Kohle, Gas, Öl und seltene Rohstoffe. „Wenn wir denen sagen: Okay, wir haben in den letzten Jahrzehnten mit diesen Energien unseren Wohlstand erarbeitet, dummerweise ist dabei das Klima kaputtgegangen, deswegen müsst ihr diese Rohstoffe bitte in der Erde lassen – dann ist das unglaubwürdig. Es sei denn, wir kooperieren mit diesen Ländern beim Einsatz alternativer Energien.“

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