Die Machiavellis der Wissenschaft

„Merchants of doubt“ endlich auf Deutsch

Der Name des florentinischen Philosophen Nicolo Machiavelli ist verbunden mit einer Vorstellung von Politik ohne ethische Einflüsse von Moral und Sittlichkeit, der Machiavellismus seit 500 Jahren gemeinhin Inbegriff skrupelloser Machtpolitik. Die findet auch in der Wissenschaft statt, wie die amerikanischen Wissenschaftshistoriker Naomi Oreskes, University of California, und Erik M. Conway, California Institute of Technology, in ihrem Buch „Die Machiavellis der Wissenschaft“ (amerikanisches Original „Merchants of Doubt„) am Beispiel der Raucherlobby und Klimaleugner in den USA zeigen.

Thomas Prinzler vom Berliner RBB-inforadio hat mit Oreskes gesprochen: „Es ist nicht das erste Mal, dass die schmale Mitfünzigerin Naomi Oreskes, Professorin für Wissenschaftsgeschichte an der Harvard University, sich mit dem schwierigen Verhältnis ihrer amerikanischen Landsleute zum Klimawandel auseinandersetzt. Schon vor zehn Jahren hatte sie im Essay ‚Jenseits des Elfenbeinturms‘ nachgewiesen, dass es einen wissenschaftlichen Konsens über die Ursachen des Klimawandels gibt.

Nun fragt sie, warum die Amerikaner den Klimawandel für nicht real halten: ‚Wir wollten die Paradoxa verstehen, warum die Menschen denken, dass die Wissenschaftler darüber noch diskutieren, uns interessierte, woher diese Desinformation kam.‘

Oreskes stieß bei der Recherche auf das 1984 gegründete Marshall Institute. Namensgeber war George Marshall, der mit dem Marshall-Plan zum Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg beitrug. Gründer des Think Tanks waren renommierte Physiker wie Edward Teller, ‚Vater‘ der Wasserstoffbombe, und Frederick Seitz, Vorsitzender des Raketenprogramms SDI von Präsident Ronald Reagan. Was sie einte, war ihr Antikommunismus, und am Ende des Kalten Krieges sahen sie in der Umweltbewegung der 80er Jahre den Kommunismus durch die Hintertür Amerika erobern:

‚Für sie ist das so eine Art Sozialismus, Umweltaktivisten sind für sie wahre Kommunisten, die den Kommunismus durch die Hintertür der Marktregulation bringen. Und so sehen sie ihr Werk an als Verteidigung der freien Marktwirtschaft, als Kapitalismus des freien Marktes und letztlich auch als Verteidigung der Freiheit generell.‘

Die Gründer des Marshall-Institutes waren früher seriöse Wissenschaftler, die in der Rüstungs- und Raketenforschung führend waren. Sie hatten einflussreiche Positionen inne, kannten die Senatoren und den Präsidenten, Generäle und Admiräle, finanzierten sich durch Spendengelder der Tabakindustrie, später auch der Ölkonzerne:

‚Das Buch erzählt die Geschichte einer Gruppe von Wissenschaftlern‘, sagt Oreskes, ‚die gemeinsame Sache machten mit der Ölindustrie, um nicht nur den Klimawandel in Frage zu stellen, sondern auch das Ozonloch, den Sauren Regen oder die Schädigungen durch Tabak. Es ist eine Geschichte von Wissenschaft und Politik, und es ist die Geschichte der politischen Infragestellung wissenschaftlicher Information.‘

Doch sie beeinflussten die Öffentlichkeit nicht direkt – sie benutzen Journalisten. ‚Und im Rahmen des Instituts haben sie Berichte geschrieben, Pressemitteilungen. Und dann haben sie die Journalisten und Redakteure angerufen und gesagt. Wir wollen die gleiche Zeit zur Darstellung unserer Standpunkte wie die anderen. Und die Journalisten haben gesagt, ja natürlich, wir sind für Gleichbehandlung. Und so haben sie sie in ihre Programme eingeladen, sie in den Artikeln zitiert. Und durch diesen Journalismus haben sie ihre Botschaft des Verleugnens ans amerikanische Volk gebracht.‘

Sie sind die Machiavellis der Wissenschaft – und Naomi Oreskes hat das Netzwerk des Leugnens detail- und facettenreich ans Licht der Öffentlichkeit gebracht.“ Soweit Thomas Prinzler vom RBB.

[note “Merchants of Doubt” von Naomi Oreskes und Erik M. Conway  belegt, wie einige Wissenschaftler im Interesse der Wirtschaft für die Öffentlichkeit den Anschein erwecken, als gäbe es wissenschaftliche Differenzen über bereits entschiedene Fragen. Die Motive: Geld und Wichtigtuerei, und, dass man politisch oder religiös einem Standpunkt verbunden ist; man kann mit einer Außenseitermeinung erhöhte Aufmerksamkeit und Zuspruch einer eigenen Anhängerschaft genießen – oder, man kann sich einfach in eine Ansicht verrannt haben und davon nicht mehr loskommen. Aus: globalklima.blogspot.de im Artikel über das amerikanische Original „Merchants of Doubt“ auf solarify.eu/haendler-des-zweifels]