„Wir hätten die Euphorie besser nutzen müssen“

Warum denn nicht?

Bis zum heutigen Tag ist die Vorstellung weit verbreitet: Wir können uns in unseren Entwicklungsprozess der Nachhaltigkeit erst dann annehmen, können sie uns „leisten“, wenn wir existentielle Armut überwunden haben.

Ist das denn nicht vielleicht auch richtig?

Ich habe Armut acht Jahre lang nicht nur vor Ort in Kenia miterlebt, habe all das damit verbundene menschliche Elend und die Hoffnungslosigkeit in den Slums und den Favellas dieser Welt erfahren. Bei Wohlstand und Armut denken viele in den westlichen Ländern an das eigene Bankkonto, an ihr Einkommen. In Afrika haben Armut und nachhaltige Entwicklung eine ganz andere Dimension. Sie können dort jedem Menschen erklären, er möge doch einen Baum nicht abholzen, weil der ganz wichtig ist für die Stabilisierung der Böden, für die Versickerung von Wasser, für die Produktion von Früchten und Vieles mehr. Das alles wissen die Menschen dort sehr genau. Sie verweisen aber darauf: „Ich habe eine Familie, habe Frau und Kinder. Wir müssen unser Essen kochen, brauchen Wärme in der Nacht, wir haben keine Alternative.“

Diese Menschen tragen mit ihrem Verhalten wohl auch nicht sehr zum Klimawandel bei…

Genau, dessen muss man sich immer wieder sehr bewusst sein. Die Menschen in den Entwicklungsländern fragen einfach, wie sie überleben können, wie sie Armut und Hoffnungslosigkeit beseitigen können, wie sie ihren Kindern eine bessere Zukunft ermöglichen. So wie meine Eltern und die Eltern meiner Eltern immer gesagt haben, unseren Kindern soll es mal besser gehen, sagen das auch die Menschen überall auf der Welt. Bei den afrikanischen Ländern kann man es ja noch nachvollziehen, dass die vor allem auf Wachstum setzen und nicht so sehr auf Nachhaltigkeit. Doch man hat das Gefühl, dass auch in vielen westlichen Ländern schnelles Wirtschaftswachstum über alles geht.

Wie kommt das?

Wir leben in einer Zeit, in der wir immer kurzfristiger handeln, immer schneller entscheiden. Wir leben unter dem Diktat der Kurzfristigkeit – das ist überhaupt keine Frage. Viele unserer Krisen sind Offenbarungseide der Kurzfristigkeit. Massiv werden Kosten aller Art unseres heutigen Wohlstands auf die Zukunft verschoben. Immer mehr Menschen sind davon überzeugt, dass wir bereits eine „Nebenfolgengesellschaft“ sind, dass unser „wirtschaftliches Wachstum“ sich aus den negativen Folgen des vorangegangenen Wachstums speist.

Wahrscheinlich sehen das auch die allermeisten Politiker genauso. Sie handeln aber anders.

Ein Grundvorwurf an Politik lautet, dass sie eigentlich sich selbst dem Diktat der Kurzfristigkeit untergeordnet hat. Es ist besorgniserregend zu verfolgen, dass verstärkt das Diktat der Kurzfristigkeit die Wahl zwischen Alternativen unmöglich macht, dass Politiker in Parlamenten sich mit der Alternativlosigkeit, mit Sachzwängen abgeben müssen. Hannah Arendt hat das klar formuliert: „Alternativen zu haben ist der Kern der Freiheit.“ Alternativlos heißt unfrei zu sein.