BCG: Regierung deliberalisiert Strommarkt

Energiewende läutet Umkehr der Strommarkt-Deregulierung ein

Hohe Strompreise, steigende Emissionen und zunehmender finanzieller Druck auf die deutschen Stromerzeuger stellen große Herausforderungen dar – nach Auffassung des Beratungsunternehmens Boston Consulting Group müsse die deutsche Politik schwierige Entscheidungen treffen und werde immer stärker in den Markt eingreifen – der liberalisierte Strommarkt stehe vor dem Ende.

In Deutschland seien bei der Energiewende bemerkenswerte Erfolge beim Ausbau von erneuerbaren Energien und eine zu Anfang beträchtliche [[CO2]]-Reduktion erzielt worden – aber jetzt kämen schwere Probleme. Diese führen laut der neuen Studie Germany’s Energiewende: The End of Power Market Liberalization? der Boston Consulting Group (BCG) dazu, dass sich die Stromerzeugung konsolidiere, die produzierende Industrie zunehmend unter Druck gerate und die Liberalisierung des Strommarktes in Deutschland und in anderen europäischen Ländern zurückgefahren werde.

EE-Ziel wird erreicht – Versorgungssicherheit top

Deutschland hat mit dem grundlegenden Umbau seines Stromsektors begonnen, stellt die Studie fest. Dabei gehe es vor allem um den Ausstieg aus der Kernenergie und eine Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien mit dem Ziel, 2025 40 bis 45 Prozent seines Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien zu decken – dieses Ziel dürfte erreicht oder sogar übertroffen werden. Gleichzeitig gehöre Deutschland in punkto Versorgungssicherheit noch immer weltweit zur Spitzengruppe.

Beträchtliche Herausforderungen – CO2-Werte werden kaum sinken

Es träten aber zunehmend beträchtliche Herausforderungen zutage. Die Strompreise hätten sich für die privaten Haushalte und zahlreiche industrielle Verbraucher deutlich erhöht (wenngleich sich der Strompreisanstieg für die Privathaushalte in den kommenden Jahren spürbar verlangsamen sollte). Deutschland werde seine Treibhausgasemissionen trotz der wachsenden Bedeutung erneuerbarer Energien nicht wie geplant senken können, da die Bundesrepublik aufgrund einer Reihe von Faktoren – darunter der Kernenergieausstieg, die anhaltend hohen Stromexporte in andere europäische Länder und die niedrigen Preise für [[CO2]]-Emissionszertifikate – weiterhin [[CO2]]-intensive Kohleverstromung betreibe. Der finanzielle Druck auf wichtige Stromproduzenten, deren Geschäftsmodelle durch die Energiewende unrentabler würden, nehme weiter zu. Nach Ansicht der BCG steuere der ganze Sektor auf eine grundlegende Umgestaltung zu – einschließlich beträchtlicher staatlicher Interventionen, einer Marktbereinigung und Konsolidierung.

Politik läutet Umkehr der Strommarkt-Liberalisierung ein

Weiterhin greife die deutsche Regierung zunehmend in den Strommarkt ein, was eine Abkehr vom offiziell verfolgten Deregulierungskurs bedeute. Die Politik läute nach Auffassung der BCG faktisch eine Umkehr der Liberalisierung des Strommarktes in Deutschland und eventuell auch in anderen Ländern ein, da die Bundesrepublik für ganz Europa eine Schlüsselrolle bei der Stromerzeugung spiele.

„Die deutsche Politik wird richtungsgebende Entscheidungen treffen müssen“, rläutert Philipp Gerbert, Senior Partner bei der BCG und Co-Autor der Studie. „Betrachtet man die Lage am Strommarkt und den vorgesehenen Zeitplan, so erweist sich die Energiewende nicht nur als ein sehr ehrgeiziges, sondern gleichzeitig auch als ein mit Zielen überfrachtetes und somit teures Vorhaben. Die Politik wird entscheiden müssen, welche Ziele Vorrang genießen und an welchen Stellen Kompromisse und Zugeständnisse erforderlich sind.“

Probleme türmen sich

Aus Sicht der BCG türmen sich in Deutschland in wachsendem Maße die Probleme. So müsse3 die Politik etwa entscheiden, wie bei den beträchtlichen laufenden Kosten der Energiewende die privaten Haushalte entlastet werden könnten, ohne dass die Industrie zu sehr belastet werde und abwandere. Sie müsse auch entscheiden, ob die Emissionsziele, die sich die Bundesrepublik gesetzt habe, in der angestrebten Weise finanzierbar sind oder ob sie gelockert werden sollten. Und schließlich müsse sie festlegen, wie der notwendige Netzausbau, der auf Widerstand von Anwohnern und Lokalpolitikern treffe, am besten durchgeführt werden solle. „Diese Herausforderungen sind komplex und facettenreich, und leider gibt es keine einfachen Antworten“, erklärt Harald Rubner, Senior Partner bei BCG und Mitautor der Studie.

Beträchtliche Auswirkungen auf andere Länder

Aufgrund der Schlüsselrolle, welche die Bundesrepublik im eng vernetzten europäischen Stromsystem innehabe, hätten die politischen Entscheidungen in Deutschland beträchtliche Auswirkungen auf andere Länder. Auch weltweit werde Deutschlands Kurs aufmerksam verfolgt, da sich die Bundesrepublik an die Spitze einer neuen globalen Bewegung gestellt habe, die erneuerbare Energiequellen stärker nutzen wolle.

Solarify meint: Wer Deregulierung und Liberalisierung als quasi heilige Vokabeln vor sich herträgt, vergisst, dass es weit wichtigere Ziele gibt: Die drohende Klimakatastrophe zu verhindern, indem die Zwei-Grad-Grenze nicht überschritten wird, indem der Weg zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft konsequent begangen wird, indem Treibhausgas-Verringerung und Energieeffizienz mit Nachdruck durchgesetzt werden. Die „liberalen“, oft zitierten „selbstheilenden Kräfte des Marktes“ können das nicht leisten. Eher eine Abkehr von der Kurzfristigkeit und Umkehr zu langfristigem Denken – ein Denken, das aufhört, den eigenen Tellerrand (zeitlich und räumlich) mit dem Horizont zu verwechseln.

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