Französischer Tabubruch – Chancen der Zusammenarbeit

7. Die Energiewende im Stromsektor

Ähnlich wie in Deutschland steht die Energiewende im Stromsektor im Zentrum der politischen Debatte, ungeachtet dessen, dass Strom lediglich 24 Prozent (in Deutschland 20 Prozent) des gesamten Endenergieverbrauchs darstellt Wie eingangs erwähnt, stellt die Zielvorgabe, den Anteil des Atomstroms bis 2025 auf 50 Prozent zu reduzieren, eine ähnliche Herausforderung dar wie der Atomausstieg in Deutschland. Demgegenüber lässt die bisherige Entwicklung in Frankreich noch nicht darauf schließen, dass die Voraussetzungen gegeben sind, um dieses Ziel zu erreichen.

In der Tat hat sich in Frankreich im Bereich erneuerbarer Energien in den letzten Jahren relativ wenig getan, was sich schon dadurch erklären lässt, dass ohne die Abschaltung alter Kraftwerke schlicht kein Bedarf besteht. Mit jährlich bis zu 60 TWh Exportüberschuss (Deutschland 2012 34 TWh) hat Frankreich ohnehin Probleme, den eigenen Strom auf dem durch Überkapazitäten belasteten europäischen Strommarkt zu vertreiben.

Zwar produziert Frankreich schon knapp 19 Prozent der Stromerzeugung (2013) über erneuerbare Energien. Dies ist jedoch zum größten Teil auf den historischen Ausbau der Wasserkraftanlagen zurückzuführen, die mit 76 TWh den Großteil der insgesamt 102 TWh erneuerbaren Stroms liefern. Mit bis Ende 2013 lediglich 8 GW aus Windkraft und 4,6 GW aus Photovoltaik (PV) liegt der Ausbau neuer Technologien bisher weit hinter dem deutschen Maß (32 GW Wind kraft, 36 GW PV) zurück. Unter den aktuellen Bedingungen erscheint es somit unwahrscheinlich, dass Frankreich die im Rahmen des europäischen Energie- und Klimapakets gesteckten Ziele (23 Prozent Anteil erneuerbarer Energien am Bruttoinlandsverbrauch; 27 Prozent der Stromerzeugung) erreicht.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine politische Kehrtwende unmöglich wäre. Mit der geplanten Abschaltung von bis zu 24 Atomreaktoren würde sich zumindest ein politisches Fenster öffnen, um die Rahmenbedingungen für erneuerbare Energien zu überdenken. Rein rechnerisch müssten die Erneuerbaren bis 2025 einen Anteil von bis zu 40 Prozent der Stromerzeugung erreichen. Gleichzeitig wüchse im Falle einer geplanten Abschaltung auch der Bedarf, fristgerecht Alternativen zu entwickeln. Und angesichts der im Gesetzesentwurf geplanten Maßnahmen (eine national gesetzlich verbindende Planung für den Stromsektor sowie ein Vetorecht des Regierungskommissars im Aufsichtsrat von EDF, sofern die Unternehmensstrategie mit der nationalen Planung nicht übereinstimmt) erscheint das Ziel der Senkung des Atomstromanteils auch erstmals glaubwürdig.

Dass durchaus Potenzial für erneuerbare Energien besteht, belegen folgende Aspekte:

  • Bislang bedarf es in Frankreich zwischen 7 und 8 Jahren (Deutschland 2 bis 3), um ein Windkraftprojekt erfolgreich fertigzustellen, was sich in erster Linie durch die zahlreichen administrativen Hürden erklären lässt Aktuell soll dieses Verfahren über die Einführung eines „One-stop-Shops“ erheblich vereinfacht werden, was gleichzeitig auch die Kosten der Projektentwicklung signifikant senken würde.
  • Allgemein betrachtet hat Frankreich hinsichtlich aller erneuerbaren Quellen ein (teilweise deutlich) höheres Potenzial als Deutschland, egal ob Wind, Solar, Offshore, Geothermie, oder Biomasse.
  • Über die Entwicklung spezifischer Finanzierungsmechanismen (am Beispiel der KfW) mit geringen Zinskosten könnte in Frankreich unmittelbar eine Kostenreduktion (pro MWh erneuerbaren Stroms) von bis zu 30 Prozent für Solar- und Windstrom erreicht werden.
  • Frankreichs finanzielle „Vorbelastung“ aus Zeiten, als Photovoltaikanlagen noch durchschnittlich viermal teurer waren, ist deutlich niedriger als in Deutschland, was sowohl wirtschaftlich als auch politisch angesichts der schwierigen deutschen EEG-Debatte ein Vorteil für die Zukunft sein könnte.

Bislang hält sich die Politik in Sachen Reformbereitschaft für Erneuerbare jedoch zurück. Neben der geplanten Vereinfachung der administrativen Verfahren beinhaltet der aktuelle Gesetzentwurf nur wenig Neues. Nach deutschem Vorbild plant die französische Regierung lediglich, neben den Einspeisetarifen ein Marktpremiummodell einzuführen, bei dem die Erzeuger zusätzlich zum erzielten Marktpreis eine Prämie erhalten, die je nach Technologie festgelegt wird. Dabei ist noch unklar, wie dies genau ausgestaltet werden soll (flexibles oder variables Premium, ex ante oder ex post berechnet, etc.). Frankreichs Erfahrung mit Ausschreibungsmodellen war ebenfalls nicht immer mit Erfolg gekrönt und könnte in Zukunft reformiert werden, wobei die französische Praxiserfahrung in diesem Punkt in Hinblick auf die EEG-Reform für Deutschland durchaus relevant sein könnte.

Neben der Stromerzeugung per se bestehen noch erhebliche Möglichkeiten zur Verbrauchsminderung. So belegen aktuelle Studien beispielsweise, dass ein französischer Haushalt bei gleicher Ausstattung durchschnittlich knapp ein Viertel mehr Strom verbraucht als sein deutscher Nachbar. Dies lässt sich größtenteils auf die sehr unterschiedlichen Strom preise (ca 14 Cent/kWh in Frankreich, 29 Cent/kWh in Deutschland) zurückführen, die natürlich direkte Auswirkungen auf verbrauchsmindernde Maßnahmen und Investitionen haben.

8. Die Transportfrage

Wie in Deutschland ist der Transportsektor trotz seiner entscheidenden Bedeutung für den Verbrauch fossiler Energien und für [[CO2]]-Emissionen oftmals das Stiefkind der Energiewende. Zwei entscheidende Maßnahmen sollen in diesem Bereich zumindest eine progressive Wende einleiten:

  • Einerseits will sich Frankreich im Rahmen der 2013 verabschiedeten „34 Pläne für die Industrie der Zukunft“ verstärkt auf die Entwicklung extrem effizienter Fahrzeuge konzentrieren, mit dem Ziel, vor 2020 den Standard 2l/100 km kommerziell zu vertreiben. Angesichts aktueller und zukünftiger Erdölpreise kann diese Strategie natürlich auch neue Exportmöglichkeiten eröffnen, sofern die Fahrzeuge erschwinglich bleiben.
  • Andererseits soll die Verbreitung elektrischer Fahrzeuge über zwei Maßnahmen deutlich beschleunigt werden. In erster Linie werden die Subventionen für Elektroautos über die bestehende Bonus-Malus-Regelung auf bis zu 10.000 Euro aufgestockt Hinzu kommt, dass bis 2030 7 Millionen Ladestationen für Elektrowagen entstehen sollen und in Neubauten wie auch in öffentlichen Gebäuden verpflichtend werden.

Ob diese Maßnahmen ausreichen werden, um eine strukturelle Wende im Transportwesen einzuleiten, bleibt fraglich. Vorschläge, die darauf abzielen, den Bedarf an Transportdienstleistungen beispielsweise über eine Eingrenzung der in Frankreich schnell voranschreitenden Zersiedlung der Städte und eine strukturelle Neuauslegung der Raumplanung an der Quelle zu reduzieren, wurden bislang nicht aufgegriffen. Ebenso fehlen Maßnahmen, um den sanften Verkehr (Fahrrad- und Fußwege, öffentliche Verkehrsmittel) zu fördern. Im Unterschied zu sämtlichen Nachbarländern gibt es in Frankreich überdies noch keine Entfernungspauschale für die Nutzung des Fahrrads (in Deutschland unabhängig vom Transportmittel 0,30 Euro/km).