Französischer Tabubruch – Chancen der Zusammenarbeit

9. Die Governance-Frage: Energiewende = Dezentralisierung?

Über die technisch-ökonomische Kernproblematik hinaus hat die aktuelle Debatte zur Energiewende in Frankreich dazu geführt, dass bestehende institutionelle Strukturen verstärkt infrage gestellt wurden, angefangen bei der zentralisierten und hinsichtlich der marktliberalen Vorgaben aus Brüssel nur schwierig auflösbaren Struktur des Energiesektors. In der Tat ist es in Frankreich seit 1946 zumindest öffentlichen Akteuren (Gemeinden und Regionen) verboten, eigene Stadtwerke zu gründen, was auch dazu geführt hat, dass die energietechnischen Kompetenzen vielerorts verloren gegangen sind und der Dialog zwischen lokalen Vorhaben und nationaler Planung mitunter stockt.

Das aktuelle Gesetzesvorhaben leitet in diesem Bereich zumindest eine teilweise Wende ein. Die französischen Regionen sollen in Zukunft mehr Einfluss auf die eigene Energieplanung und -politik ausüben können und insbesondere im Bereich Energieeffizienz mehr Initiativefreiheit bekommen. Inwiefern diese Regelungen das ansonsten weiterhin sehr stabile Monopol von EDF im Stromsektor schwächen und eine „Rekommunalisierungswelle“ hervorbringen können, bleibt vorerst dahingestellt Aufgrund ihrer sehr begrenzten Steuerkompetenzen ist es den Regionen und Gemeinden nicht möglich, lokale Steuerreformen einzuleiten, um unabhängig von nationalen Quellen eigene Initiativen nachhaltig zu finanzieren.

Interessanterweise kam es in der gegenwärtigen Debatte noch zu einem weiteren Novum, das eng mit dem deutschen Modell verbunden ist Ausgehend von der Tatsache, dass ein Gesellschaftsprojekt wie die Energiewende ohne die Unterstützung der Bürger langfristig nicht machbar ist, hat sich die französische Politik unlängst für das Thema „Bürgerenergie“ begeistern können. Erste Initiativen im Bereich erneuerbare Energien gibt es schon seit mehreren Jahren. Da diese jedoch mit extrem bürokratischen Hürden zu kämpfen haben, fand eine breitere Entwicklung bislang nicht statt. Dies soll sich in den nächsten Jahren ändern, damit die französischen Bürgerinnen und Bürger endlich nicht mehr nur preisorientierte Verbraucher sind und sich aktiv an der Energiewende beteiligen können.

10. Ausblick

Mit dem aktuellen Gesetz zur Energiewende hat die französische Regierung um Präsident François Hollande ein neues energiepolitisches Kapitel aufgeschlagen. Mit der Absicht, den Anteil der Atomkraft zu reduzieren hat die sozialistische Partei ein energiepolitisches Tabu gebrochen und ein politisches Fenster für eine umfassende Neustrukturierung des Energiesystems eröffnet, die aufgrund ökologischer, technischer und wirtschaftlicher Tatsachen ohnehin notwendig sein wird. Dass Frankreich eine derart ambitionierte Strategie verfolgt, um im Vorfeld der internationalen Klimaverhandlungen in Paris eine Vorbildfunktion zu übernehmen, sollte auch aus deutscher Sicht positiv bewertet werden.

In der Tat ergeben sich durch diese Orientierungen zahlreiche neue Möglichkeiten für eine verstärkte Zusammenarbeit im Bereich Energiewende, sowohl auf bilateraler als auch auf europäischer Ebene.

Vorher müssen jedoch noch zwei Hürden gemeistert werden: Zum einen muss die sozialistische Partei genug politischen Willen unter Beweis stellen, um den ambitionierten Gesetzesentwurf im Parlament zu verabschieden und eine glaubwürdige Basis für weitere politische Maßnahmen zu schaffen. Diese Glaubwürdigkeit wird insbesondere davon abhängen, inwiefern die zahlreichen – bislang oft unklaren – Orientierungen des Gesetzesentwurfs über klare Mechanismen konkretisiert werden können.

Zum anderen sollte sich Frankreich wie auch Deutschland im eigenen Interesse stärker darum bemühen, dass die frisch gewählten Institutionen in Brüssel das Thema Energiewende mit deutlich mehr Nachdruck verfolgen, um auch international das Signal eines europäischen leadership aufrechtzuerhalten und eine geeignete Basis für die ambitionierten nationalen Strategien zu schaffen.

Über den Autor: Andreas Rüdinger arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Nachhaltige Entwicklung und Internationale Beziehungen in Paris (Institut du développement durable et des relations internationales (Iddri))

->Quelle: library.fes.de – ISBN 978-3-86498-957-5