Agora-Energiewende: „Nur Stilllegung hilft“
Alte, inflexible Kohlekraftwerke stehen sowohl den Klimaschutzzielen als auch einer kostengünstigen und sicheren Stromversorgung in Europa im Weg. Daran wird die anstehende Reform der EU-Strommarktregeln nichts ändern. Deshalb sollte die EU eine Strategie zum sozialverträglichen Abschalten alter Kohlekraftwerke aufsetzen. Hierdurch würde der politisch vereinbarte Ausbau der Erneuerbaren Energien erleichtert. Der Think Tank Agora Energiewende und das Regulatory Assistance Project legen anlässlich des von EU-Vizepräsident Maroš Šef?ovi? vorgelegten ersten Berichts zur Energieunion (siehe solarify.eu/energy-union) ein Strategiepapier zum „Smart Retirement“ vor.
Die Europäische Union hat sich Klima- und Energieziele für 2030 gesetzt, die mit den deutschen Ausbauzielen für Erneuerbare Energien vergleichbar sind: Die Europäische Kommission erwartet bis 2030 einen Anteil der Erneuerbaren Energien von ungefähr 50 Prozent am Strommix – vor allem mittels Wind und Photovoltaik. „Die Transformation hin zu einem flexibleren Energiesystem steht längst auf der Tagesordnung der EU. Leider fehlt jedoch eine in sich stimmige Strategie, mit der die Transformation erreicht werden könnte“, sagte Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende. „Das Eintreten der Juncker-Kommission für eine europäische Energie-Union mit konsistenter Klima- und Energiepolitik ist sehr zu begrüßen. Allerdings wird hier auch augenfällig, dass der gegenwärtige Strommarkt in Verbindung mit dauerhaft niedrigen Preise für CO2-Zertifikate das Abschalten alter und inflexibler Kohlekraftwerke verzögert. Dadurch wird der notwendige Zubau flexibler und umweltfreundlicher Kraftwerke teurer als nötig. Deshalb ist es höchste Zeit, dass die Europäische Union eine ,Smart-Retirement-Strategie‘ aufsetzt und klimaschädliche Kraftwerke damit sukzessive aus dem Stromsystem entlässt“, so der Agora-Chef.
Im Wesentlichen blockieren zwei Faktoren die Transformation:
- Zum einen die aktuell großen Überkapazitäten an den europäischen Strommärkten, von denen die billigsten und schmutzigsten Kraftwerke profitieren – auch, wenn deren Betrieb den europäischen Klimaschutzzielen zuwiderläuft. Angesichts dauerhaft niedriger Preise für Treibhausgaszertifikate wird sich an dieser Konstellation zumindest bis 2030 nichts ändern.
- Zum anderen unterstützen einige EU-Mitgliedsstaaten wegen der niedrigen Strompreise fossile Kraftwerke neben dem Markt, vorgeblich um die Versorgungssicherheit mit Strom zu gewährleisten. Prinzipiell können solche Kapazitätsmechanismen zwar ein relevanter Bestandteil des Strommarktdesigns sein. Allerdings spielen Anforderungen an die Flexibilität und die Klimabilanz der unterstützten Kraftwerke bislang kaum eine Rolle. Daher profitieren auch hier die alten, abgeschriebenen, schmutzigen und unflexiblen Kraftwerke.
Um diese Blockade aufzulösen und die Transformation des europäischen Energiesystems zu unterstützen, benennt das von Agora und RAP vorgelegte Papier „The Market Design Initiative and Path Dependency: Smart retirement of old, high-carbon, inflexible capacity as a prerequisite for a successful market design“ fünf Elemente einer „Smart Retirement Strategie“. Sie soll
- die künftige Nutzung des alten Kraftwerks-Portfolios an die Anforderungen und Ziele der integrierten Energie- und Klimapolitik anpassen,
- die finanzielle Gesundheit der Betreiber von Kraftwerken, welche die Versorgungssicherheit gewährleisten, wiederherstellen,
- den Strommarkt so umstellen, dass sich die für die Versorgungssicherheit nötigen flexiblen, klimafreundlichen Kraftwerke im Markt refinanzieren lassen. Das soll zu möglichst geringen Kosten für die Allgemeinheit geschehen. Deshalb ist es notwendig, den tatsächlichen Bedarf an solchen Kraftwerken nach einem EU-weit einheitlichen Verfahren zu ermitteln.
- den europäischen Emissionszertifikatehandel um weitere Instrumente ergänzen, damit Investoren in Kraftwerke weniger Unsicherheit über die künftigen Wettbewerbsbedingungen haben.
- festlegen, wie die Europäische Union ihre Mitglieder dabei unterstützen kann, die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Energie-Transformation abzufedern – besonders in ärmeren Mitgliedsstaaten und bei der energieintensiven Industrie.
Die Transformation des europäischen Energiesystems wird mindestens bis 2030 dauern. Währenddessen wird auch ein reformierter und wesentlich flexiblerer Strommarkt den von der EU angestrebten Ausbau der Erneuerbaren Energien nicht finanzieren können. Erst für 2040 werden CO2-Zertifkatspreise erwartet, die dazu hoch genug sein könnten. „Auch nach 2020 muss der europäische Regelungsrahmen für Erneuerbare Energien daher die staatliche Unterstützung für den weiteren und kontinuierlichen Ausbau der Erneuerbaren Energien zulassen“, so Graichen abschließend. „Dabei sollten die stark gesunkenen Kosten besonders bei Windkraft an Land und Photovoltaik berücksichtigt werden.“
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