Mobbing und Staranwalt

Zwei Reportagen im Oktober 2015

Im Oktober 2015 brachten zwei Reportagen, die unabhängig voneinander und mit unterschiedlichen Archivquellen arbeiteten, diesen Skandal ans Licht (s. solarify.eu/exxon-wusste-schon-vor-fast-40-jahren-vom-klimawandel). Unter anderem hatten Studenten der Columbia Journalism School mit der Los Angeles Times zusammengearbeitet, um zwei der von ExxonMobil unterdrückten Studien dem Vergessen zu entreißen. Wie hat Exxon darauf reagiert? Der Konzern schwärzte die Studenten in einem Brief an die Leitung der Schule an. Sie hätten „ungenaue und irreführende Artikel“ produziert. In diesem Brief wies Exxon auch auf die “zahlreichen und produktiven Beziehungen” hin, die der Konzern mit der Schule habe. Exxon hat fast 220.000 Dollar an die Columbia-Journalistenschule gespendet.

Die Antwort, die Steve Coll, Dekan an der Schule, an Exxon richtete, gehört zu den Mut machenden Dokumenten unserer Zeit. Coll formuliert in seinem sechsseitigen Brief: „Ihr Schreiben bestreitet den Inhalt der beiden Artikel in mehrfacher Hinsicht, aber es besteht weitgehend aus Angriffen auf die Journalisten des Projekts. Ich bin zu dem Schluss gelangt, dass Ihre Beschuldigungen nicht durch Beweise gestützt sind. Überdies war ich beunruhigt zu entdecken, dass Sie in Ihrem Brief schwere Anschuldigungen professionellen Fehlverhaltens gegen Mitglieder des Projekts erheben, obwohl Sie oder die Kollegen aus Ihrer Medienabteilung über E-Mail-Aufzeichnungen verfügen, die zeigen, dass Ihre Anschuldigungen falsch sind.“ Die Journalistenschule hat sich also von dem diskreten Hinweis auf die finanzielle Abhängigkeit nicht einschüchtern lassen und verteidigt die Grundsätze des unabhängigen Journalismus. Keine Selbstverständlichkeit in der heutigen Zeit.

An dem Brief von ExxonMobil ist interessant, dass der Konzern an seiner Praxis der Verdrehung der Wahrheit festzuhalten scheint, auch nachdem er dabei ertappt wurde. Auch wenn es diesmal zunächst ’nur‘ um einige Studenten geht und nicht um die ganze Weltbevölkerung wie im Falle der Klimawandelleugnung seit den 70er Jahren, ist das nicht sehr beruhigend. Es scheint ja keineswegs ausgemacht, dass der New Yorker Staatsanwalt sich gegen den fünftgrößten Konzern des Planeten wird durchsetzen können. Exxon hat, wie man liest, mit Theodore Wells einen der teuersten Rechtsanwälte engagiert.

Aber selbst wenn ein Gericht die Schuld von ExxonMobil einwandfrei feststellt – was dann? Dieser Konzern ist für mindestens zwei Jahrzehnte Verzögerung bei weltweiten Schritten gegen den Klimawandel verantwortlich – wie wäre das zu sühnen? Wenn der Konzern mit seinem ganzen Vermögen haften würde (die Summe aller Aktiva betrug 2014 knapp 350 Mrd. Dollar), um wenigstens Promille-Anteile des angerichteten Schadens zu begleichen – was würde das für die Wirtschaft der USA bedeuten? Heißt es wieder: „Too big to fail, too rich for jail“?2 Immerhin: Mit der Anklage in New York ist ein Anfang gemacht, der selbst äußerst unwahrscheinlich schien. Lassen wir jetzt auch in der Öffentlichkeit nicht locker!

Übrigens: ExxonMobil vermarktet sein Benzin in Deutschland unter den Markennamen „Mobil“ und „Esso“. Wer tanken muss, ist keineswegs gezwungen, es gerade bei diesen Marken zu tun.

Gastbeiträge geben die Meinungen der Autorinnen und Autoren, nicht in jedem Fall die von Solarify wieder.

Quellen und mehr: