„Das Tempo der Erneuerbaren Energien hat uns alle überrascht“

40 Jahre DLR-Energieforschung – Interview mit Joachim Nitsch
-mit freundlicher Genehmigung des DLR-

Vor gut 40 Jahren – ausgelöst durch den Ölpreisschock Anfang der 70er Jahre – begannen sich Politik und Wirtschaft Gedanken über eine Energieversorgung jenseits von Öl, Kohle und Uran zu machen. Das DLR (damals noch DVLR) hatte bereits 1969 begonnen,  seine Kompetenzen auch für die Energieforschung einzusetzen und damit gezielt eine gesellschaftliche Herausforderung anzugehen. 1976 wurde die Energieforschung als fester und dauerhafter Forschungsbereich im DLR eingerichtet. Seitdem forscht es unter anderem an Solarkraftwerken, Brennstoffzellen, umweltfreundlichen Gasturbinen, Energiespeichern und Windenergieanlagen. Vor allem die systemanalytischen Studien lieferten zentrale Beiträge für eine zukunftsweisende Energiepolitik in Deutschland und gaben international wichtige Denkanstöße.

Zum Auftakt des Jubilämsjahres blickt der Systemanalytiker Joachim Nitsch im Gespräch mit dem Wissenschaftsjournalisten Tim Schröder auf 40 Jahre Energieforschung im DLR  und in Deutschland zurück. Nitsch, ursprünglich Ingenieur und Spezialist für Luft- und Raumfahrttechnik, kehrte 1976 den Raketentestständen den Rücken, als das DLR seine Arbeit in der Energieforschung ausweitete. Mit den ersten Analysen zum Energiesystem in Deutschland ging er der Frage nach, mit welchen Energieformen sich Deutschland künftig sicher und umweltverträglich versorgen lassen könnte. Bekannt wurde Nitsch vor allem für seine Szenarien zur Entwicklung der Erneuerbaren Energien in Deutschland, mit denen er den Grundstein für die Energiewende gelegt hat.

Herr Nitsch, Sie haben Ihr ganzes Berufsleben am DLR verbracht und konnten so mitverfolgen, wie sich das DLR von einer Einrichtung der Raumfahrt- und Luftfahrtforschung zu einer Institution gewandelt hat, in der heute auch in erheblichem Maß Energieforschung betrieben wird.

Ja, und das war zunächst gar nicht zu erwarten. Nach der Ölkrise 1973 initiierte der damalige Bundesforschungsminister Hans Matthöfer ein großes Studienprogramm, mit dem alle Energiequellen daraufhin gescannt werden sollten, inwieweit sie künftig zur Energieversorgung Deutschlands beitragen könnten. Den Begriff „Erneuerbare“ oder „regenerative“ Energien gab es damals noch gar nicht. Man sprach von „nicht-fossilen“ und „nicht-nuklearen“ Energien. Was das eigentlich sein sollte, war damals ziemlich nebulös.

Warum stieg dann ausgerechnet das DLR, beziehungsweise der Vorläufer, die DFVLR, in die Erforschung dieser „nebulösen“ Technologien ein?

Um ehrlich zu sein: Eigentlich wollte zunächst niemand die nicht-fossilen und nicht-nuklearen Energien so wirklich haben. Die deutschen Großforschungseinrichtungen waren damals in einer Arbeitsgemeinschaft organisiert, der AGF. Die Zentren in Jülich und Karlsruhe waren groß in der Erforschung der Kernenergie und arbeiteten in dieser Richtung weiter. Energieforschung war zu 90 Prozent Kernenergieforschung. Als Matthöfer das Programm aufsetzte, war gerade das europäische ELDO-Programm im Gange. Daran war der DFVLR-Standort Lampoldshausen bei Stuttgart beteiligt. Nach einem missglückten Raketenstart ging es mit diesem Programm nicht so recht voran. So fiel die Entscheidung, in Stuttgart die Energieforschung als neuen Schwerpunkt aufzubauen.

Das klingt nach einem ziemlichen Kaltstart…

Nicht ganz, die DFVLR hatte aus der Raumfahrt unter anderem Expertise in Sachen Wasserstofftechnologie und Verbrennungsprozesse. Auch die Wiege der modernen Windkraftanlagen stand in Stuttgart. So hatte Ulrich Hütter, der viele Jahre beim DLR tätig war, bereits 1957 ein erstes dreiflügeliges Windrad entwickelt – ein Meilenstein der Windenergieforschung. Die Belegschaft in Stuttgart und am Standort Lampoldshausen setzte sich zusammen, um Vorschläge für ein künftiges Energieforschungsprogramm zu machen – da gab es viele Ansätze, die aus der Raumfahrt stammten. Eine dieser Ideen war, aus einem Wasserstoff-Raketenantrieb ein Spitzenlastkraftwerk zu entwickeln. Nach der Ölkrise hatte man Angst vor Kraftwerksausfällen. Das Wasserstoff-Kraftwerk sollte innerhalb von fünf Sekunden Wasserdampf liefern können, um damit zehn Megawatt elektrischer Leistung zu erzeugen. Tatsächlich wurde zusammen mit einem Energieversorger ein Demonstrator gebaut. Das waren erste tastende Versuche, um neue Energiequellen zu erschließen.

Und wie kamen Sie selbst zur Energieforschung?

Ich hatte seit 1966 unter anderem an Einspritzkühlern für die Prüfstände von Raketenantrieben gearbeitet, mich also mit physikalischen Phänomenen wie dem Wärme- und Stofftransport beschäftigt. Das waren Aspekte, die wir für die Entwicklung von Solarkraftwerken und solarthermischen Warmwasserkollektoren sehr gut brauchen konnten. Ich habe damals angeboten, nach Stuttgart zu gehen, wenn ich eine eigene Studiengruppe bekomme. Mir wurden zwei  Mitarbeiter zur Seite gestellt. Damit ging es los.

Welche Aufgabe hatten Sie?

Als Ingenieure kamen wir alle von der Hardware-Seite. Mich interessierte aber schon damals brennend die Frage, wie sich die Gesellschaft von der Kernenergie und von den fossilen Rohstoffen verabschieden könnte. Denn natürlich waren uns damals die Risiken der Kernenergie sehr wohl bekannt. Fortan bestand unsere Aufgabe in der Analyse des Energiesystems, später dann des kompletten Energiemarkts. Kurz gesagt, versuchten wir die Frage zu beantworten, mit welchen Energieformen sich Deutschland künftig sicher und umweltverträglich versorgen lassen könnte.

Folgt: Vater großer Energiestudien