Schlechte Noten für OECD

„Grüne“ Infrastruktur in Nische

Obwohl die OECD über viel Expertenwissen im Bereich nachhaltige Entwicklung verfügt, wird diese nicht in den Arbeitszusammenhang der Finanzminister und Zentralbankgouverneure, den sogenannten „finance track“ der G20, eingespeist. Das Gleiche gilt für die weitreichende Expertise der OECD zu Investitionen in „grüne“ Infrastruktur, die damit in eine Nische gedrängt wird.

[note Megaprojekt Eurotunnel – Einfahrt in Kanalltunnel bei Coquelles – Foto © Billy69150 CC BY-SA 4.0 commons.wikimedia.org]Angesichts des hohen Kapitalvolumens für die geplanten Mega-Infrastrukturprojekte der G20, vor allem im Energie-, Transport- und Wassersektor, ist die Beratungsleistung der OECD besorgniserregend. Wir werden viele der vereinbarten Klima- und Nachhaltigkeitsziele nicht erreichen können, solange die G20 keinen Druck auf die Kapitalgeber ausübt, um Infrastruktur-Entwicklung im Sinne dieser internationalen Zielvereinbarungen auszurichten. Dazu kommt, dass die G20 Mitgliedsländer selbst regelmäßig als Kapitalgeber fungieren: nicht nur nach eigenem nationalen Recht, sondern auch in ihrer Rolle als Hauptanteilseigner von multilateralen Entwicklungsbanken.

Die Studie machte darüber hinaus sichtbar, dass die Empfehlungen der OECD im Bereich Infrastruktur-Entwicklung oft veraltet sind und Investoren-Interessen gegenüber den Bedürfnissen der Normalbevölkerung unverhältnismäßig privilegieren. Viele Inhalte werden in Folgepublikationen übernommen. So wird in den untersuchten Publikationen der OECD zum Beispiel unzureichend auf fortlaufende Entwicklungen in den Bereichen Investitionspolitik, Investitionsabkommen oder Konfliktbeilegungs-Mechanismen Bezug genommen.

Silomentalität untergräbt globale Nachhaltigkeitsziele

Die Autorinnen nehmen an, dass dieser Umstand auf die „Nischenkultur“ der OECD zurückzuführen ist, in der die Arbeit zu bestimmten Politikbereichen, z.B. zu „Investitionen“ oder zu „nachhaltiger Entwicklung“ in voneinander getrennten Silos erfolgt. Das OECD Sekretariat hat wiederholt versucht, diese Nischen durch horizontal angelegte und themenübergreifende Analysen aufzubrechen. Bisher haben diese Experimente jedoch nur wenig Einfluss auf die Beratungsarbeit für die G20 (insbesondere im Hinblick auf die Beratung der Arbeitsgruppe für Investitionen und Infrastruktur der G20, als Teil des sogenannten „finance tracks“).

Während die Politikberatung der OECD für Infrastruktur-Investitionen in der Zeit stehen geblieben zu sein scheint, haben sich andere Bereiche durchaus weiterentwickelt. Insbesondere können hier die Erfolge der Abteilung für Verantwortungsvolles Wirtschaften bei der OECD hervorgehoben werden. Diese ermutigende Arbeit ist auch Gegenstand der OECD-Konferenz, die in dieser Woche in Paris stattfindet.

Diskrepanz zwischen „finance track“ und „sherpa track“

Wenngleich die Silos der OECD bekannt sind, spiegeln sie doch zugleich die der G20. Hier besteht eine große Diskrepanz zwischen dem „finance track“ und dem „sherpa track“4. Themen der nachhaltigen Entwicklung werden an den weniger einflussreichen „sherpa track“ abgegeben. Der deutlich einflussreichere „finance track“ der G20 Finanzminister und Zentralbankgouverneure befasst sich mit Kernthemen ganz oben auf der Prioritätenliste der G20 Agenda, einschließlich der Infrastruktur-Investitionen.

Diese spiegelbildliche Silomentalität vermag der OECD in ihrer Zusammenarbeit mit der G20 zu helfen, denn diese gestattet der OECD im Gegenzug eine engere politische Anbindung. Jedoch birgt das die Gefahr, dass diese Arbeitsteilung die globalen Nachhaltigkeitsziele untergräbt, die von 194 UN-Mitgliedsländern beschlossen wurden, einschließlich von den 34 entwickelten Volkswirtschaften, die OECD Mitgliedstaaten sind. (11 Mitgliedsstaaten der G20 sind zugleich OECD- Mitglieder, 8 nicht, und das zwanzigste Mitglied der G20 ist eine Region, die Europäische Union).

„Over budget, over time, over and over again”

Falls die OECD die Ausrichtung ihrer Politikberatung hin zu mehr Kohärenz nicht ändert, macht sie sich zu einem Verbündeten der G20 und ihrem Selbstbetrug: einem Irrweg der auf immer mehr kaum steuerbare Mega-Infrastrukturprojekte baut, mit fragwürdigen Konsequenzen für öffentliche Haushalte, Bürger und Umwelt. Bent Flyvbjerg, Professor an der Said Business School der Universität Oxford, der eine der größten Datenbanken für Megainfrastrukturprojekte weltweit aufgebaut hat, betont immer wieder, dass große Infrastrukturprojekte regelmäßig Budgets und Zeitpläne sprengen. Sein Originalzitat „over budget, over time, over and over again,” veranschaulicht das.

Um so wichtiger ist, Infrastruktur-Entwicklung und die damit verbundenen hohen Investitionen in die Zukunft nicht im Widerspruch zu den nationalen Entwicklungs- und Klimazielen der einzelnen Länder auf den Weg zu bringen, und vor allem den hart erarbeiteten Konsens der internationalen Gemeinschaft als Ganzes zu den globalen Nachhaltigkeitszielen nicht zu konterkarieren.

Beziehung mit der G20 neu justieren

Die OECD sollte inne halten und darüber nachdenken, wie sie ihre Infrastrukturberatung an den globalen Zielen für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung ausrichten und die einschlägigen Erkenntnisse anderer multilateraler Organisationen, von Experten und Interessengruppen einbeziehen kann. Sie muss außerdem Maßnahmen ergreifen, die ihre Beziehung mit der G20 neu justieren. Die OECD Mitgliedsstaaten innerhalb der G20 und darüber hinaus sollten diese Neuausrichtung der Organisation unterstützen und ihr nicht entgegenstehen.

Nach dem G7-Gipfel in Japan wurden kürzlich die Ise-Shima Prinzipien zur Förderung von Qualitätsinfrastruktur-Investitionen5 veröffentlicht. Die Schlagworte sind Nachhaltigkeit, Katastrophenresilienz, Berücksichtigung von Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft, die Abstimmung mit Wirtschafts- und Entwicklungsstrategien, sowie die Berücksichtigung der Aspekte des Klimawandels und der Umwelt auf nationaler und regionaler Ebene. Während noch abzuwarten bleibt, wie diese Prinzipien von den G7-Ländern umgesetzt werden, könnten sie indes als Wegweiser für Kohärenz mit den Nachhaltigkeitszielen dienen; falls die OECD (die neben weiteren Staaten von der G7 geführt wird) sich dazu entschließen sollte, einen ähnlichen Ansatz gegenüber der G20 zu verfolgen.

Appell

Die OECD hat mehrere Möglichkeiten, einen anderen Weg zu nehmen: Zunächst im Rahmen des G20-Gipfels in China im September diesen Jahres und ab Dezember, wenn Deutschland die Präsidentschaft der G20 übernimmt. Autorinnen und Böll-Stiftung appellieren an die Bundesregierung, ihre Verpflichtung ernst und auf die Hauptakteure der G20-Governance Einfluss zu nehmen. Das sind vornehmlich die Finanzminister und Zentralbankgouverneure und die von ihnen verantworteten und gesteuerten Arbeitsgruppen im sogenannten „finance track“. Nur so kann Kohärenz mit den politischen Beschlüssen der G7 hergestellt werden und auch den internationalen Verpflichtungen zur Erreichung der Klima- und Nachhaltigkeitsziele entsprochen werden.

->Anmerkungen:

¹Originaltitel: “In Search of Policy Coherence: Aligning OECD Infrastructure Advice with Sustainable Development
²Englischer Titel der Konferenz: “Global Forum on Responsible Business Conduct“
³„finance track“ =  Treffen der Finanzminister und Zentralbankchefs und sowie der diversen untergeordneten Arbeitsgruppen
4„sherpa track = Treffen der persönlichen Beauftragten der beteiligten Staats- und Regierungschefs und der verschiedenen untergeordneten thematischen Arbeitsgruppen
5Originaltitel: Ise-Shima Principles for Promoting Quality Infrastructure Investment.

->Quellen:

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