Franz Alt: Gletscherschmelze und Klimaflüchtlinge

Wird Grönland grün?

Grönland, die größte Insel der Welt, ist noch größer als Alaska, hat aber nur etwa so viele Einwohner wie Baden-Baden, etwa 50.000.  Wir sehen großartige arktische Landschaften, Fjorde mit blau-weißen  und türkisfarbenen Eisbergen, kristallklares Wasser,  vielfarbige Eskimosiedlungen. Wir vermuten, dass hier wahrscheinlich mehr Schlittenhunde leben als Menschen. Aber Grönland – Grünland hatte Erik der Rote aus Island die Insel vor 1000 Jahren getauft, weil es an den Küsten einige grüne Flecken gab  – bietet auch für jeden mit offenen Augen den stärksten Anschauungsunterricht für die größte Bedrohung der menschlichen Spezies: den Klimawandel. Als Angela Merkel vor einigen Jahren hier war, sprach sie von der „Überlebensfrage der Menschheit“.

85 % der Insel sind vom noch „ewigen Eis“ bedeckt. Grönlands Eiskappe ist 2.000 Kilometer lang, 1.000 Kilometer breit und bis zu dreitausend Meter dick. Wir sind überwältigt von Grönlands weißer Unendlichkeit.

Während ich diese Zeilen schreibe, erreicht mich folgende Meldung: „Arktis schmilzt im Rekordtempo“. Noch nie seit Beginn der Klimaaufzeichnungen ist das Meereis im hohen Norden so dramatisch zurückgegangen wie in den letzten fünf Jahren. Von ähnlichen Beobachtungen haben uns Forscher ein Jahr zuvor in der Antarktis berichtet. Wird Grönland grün?

Der Klimawandel schreitet zurzeit an den Polen unseres Planeten etwa doppelt bis dreimal so schnell voran wie in anderen Regionen. Das berichtet die Fachzeitschrift „Nature Climate Change“. Im Vergleich zu 1950 ist 2011 die Hälfte des damaligen Sommereises in der Arktis verschwunden. Zurzeit schmelzen dort jedes Jahr 250 Kubikkilometer Eis. Das ist etwa das fünffache Volumen des Bodensees.

Im Juli 2012 geschah in Grönland etwas Unerwartetes, für die Gletscherforscher ein Alptraum: Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte schmolz der gesamte Eisschild. Riesige Eisbrocken lösten sich und stürzten ins Meer. Wir flogen im Hubschrauber über den Ilulissat-Gletscher und waren überwältigt, weil sich eine dünne Eisschicht auf dem gesamten Gletscher  erstmals in Schneematsch verwandelt hatte.

In der Arktis und Antarktis wird es immer wärmer. Wir haben zwei Tage im Juli erlebt, an denen es in Grönland wärmer war als in Deutschland. Schon der Sommer 2011 hatte Grönland im Schwitzkasten. Im ersten Halbjahr lag die Temperatur durchschnittlich um 1,5 bis 2,5 Grad über dem Niveau der letzten 30 Jahre – regional waren es sogar bis zu sieben Grad.  Die uns begleitenden Wissenschaftler erwarten einen völlig eisfreien Arktis-Sommer schon bis 2020.

Die gesamte Nordost-Schifffahrtsroute zwischen Grönland und Ostasien ist jetzt im Sommer ohne Eisbrecher befahrbar. Das gleiche gilt für die Nordwest-Passage zwischen Grönland, Alaska und Kanada. Im vorletzten Bericht des UN-Klimarats (IPCC) im Jahr 2006 war diese Situation für das Jahr 2070 erwartet worden.

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