Schellnhuber: „Die meisten haben es einfach noch nicht begriffen“

Ist die Flüchtlingskrise angesichts des Klimawandels zu lösen?

Natürlich ist die Flüchtlingskrise zu lösen, das „Wir schaffen das!“ war berechtigt. Die Flüchtlingszahlen gehen längst runter. Und selbst wenn noch einmal eine Million käme, könnte unsere Gesellschaft, reich wie sie ist, das verkraften.

Aber natürlich ist das auch eine große Herausforderung. Und erst recht ist die Umsetzung von Paris eine immense Herausforderung. Das Paris-Abkommen in die Realität zu überführen, das würde bedeuten, dass die deutsche Autoindustrie den Verbrennungsmotor bis etwa 2025 ausmustern müsste, dass die Zementindustrie sich komplett wandeln müsste, dass die industrielle Landwirtschaft von Grund auf reformiert werden müsste, dass die Kohleförderung allerspätestens 2030 beendet werden müsste, und vieles mehr. Stellen Sie sich das einmal vor! Dagegen ist die Flüchtlingskrise derzeit ein laues Lüftchen. Das könnte sich allerdings ändern, wenn die Folgen des Klimawandels greifbarer werden und bestehende Probleme noch verstärkt werden. Dann werden wir vielleicht auch eine Flüchtlingskrise nicht mehr bewältigen können.

Für die Industrie ist es am Ende egal, ob syrische Flüchtlinge kommen oder nicht. Manche Ökonomen sagen sogar, die Flüchtlinge werden das Wirtschaftswachstum erhöhen. Vor nur wenigen Jahren hieß es ja auch, dass Deutschland vergreist und die Bevölkerungszahl schrumpft. Jetzt wächst Deutschland wieder. Aber auch das ist nicht allen recht.

Was wären denn die wichtigsten Wege, um den Klimaschutz voran zu bringen?

Es gab zuletzt einen globalen Rekord-Hitzemonat nach dem anderen, die Klimakrise ist mittlerweile offensichtlich. Die Erwärmung wirkt sich auf verschiedenste Bereiche aus, von den ersten Inselatollen, die dem Meeresspiegelanstieg weichen müssen, bis hin zu aussterbenden Arten. Dieser Druck der sichtbaren Klimafolgen wird sich immer weiter erhöhen, so traurig das ist. Darüber werden die Medien berichten. Gleichzeitig geht es aber auch nicht nur darum, öffentliches Interesse zu wecken. Vielmehr sollte man jetzt mit den verantwortungsvollen, lernfähigen Entscheidungsträgern hartnäckig und kontinuierlich zusammenarbeiten.

Das ist ja fast eine Erleichterung. Denn die ganze Welt überzeugen zu müssen ist ja eine schier unmögliche Aufgabe.

Und das ist vielleicht auch gar nicht notwendig. Es gibt das berühmte Paretoprinzip, in dem die Rede ist von „the vital few“: Etwa 20-25 Prozent der Bevölkerung könnten demnach schon ausreichen, um große Änderungen erfolgreich anzustoßen.

Meine Erfahrung ist, dass man dieselben Wahrheiten immer und immer wieder vorbringen muss. Einfache und klare Wahrheiten. Und man muss nach und nach Menschen finden, die bereit sind, entsprechend zu handeln. Ohne zu erwarten, dass es gelingt; ohne zu erwarten, dass es schnell geht. Aber diese kleinen und realen Chancen muss man ergreifen.

Letzten Endes ist die „Große Transformation“ eine riesige Chance, ein neues Projekt der Moderne zu definieren. Dieses Projekt könnte von Europa angeführt werden im Sinne eines globalen Modernisierungswettbewerbs. Da sollte eigentlich jeder der erste sein wollen. Ich glaube, dass man die Doppelchance des Klimaschutzes einfach noch nicht erkannt hat: dass man damit unsere Lebensgrundlagen bewahrt; dass man aber auch eine unheimlich spannende, ökonomische, technische und soziale Herausforderung hat, für die es sich lohnt, sich einzusetzen.

Wenn die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise als gemeinsame große Vision der Moderne gesehen würde, dann könnten wir sehr viel erreichen. Schauen Sie auf Roosevelt und die 30er Jahre – mit dem New Deal hat er es geschafft, dass der Faschismus in Amerika nicht Fuß fassen konnte. Dazu hat er eine ganze Reihe von Sozialreformen angestoßen, die Erhöhung des Spitzensteuersatzes, den Aufbau von Institutionen.

Wir müssten quasi die Transformation als einen New Deal darstellen. Ich habe nicht die geringste Ahnung, ob das gelingen könnte. Aber das scheint mir eine interessante Möglichkeit. Denn es gilt einerseits, den Untergang der Zivilisation, so wie wir sie kennen, zu vermeiden. Auf der anderen Seite ist Klimaschutz nicht eine Belastung für die jetzigen Wirtschaftsformen, sondern eine riesige Chance.

Folgt: Wir bräuchten also viel mehr positive Visionen?