Schellnhuber: „Die meisten haben es einfach noch nicht begriffen“

Wir bräuchten also viel mehr positive Visionen?

Positive Visionen sind natürlich wichtig. Und die Erkenntnis, dass dadurch nicht massenhaft Arbeitsplätze wegfallen werden. Ver.di hat sich jetzt sogar für den Kohleausstieg stark gemacht. Es wurde eine Studie in Auftrag gegeben, wie viele Arbeitsplätze in der deutschen Kohleindustrie wegfallen würden – das sind 8900. 8900! Das sind ein oder zwei größere mittelständische Betriebe. Es ist einfach ein Witz, über welche Marginalien wir reden, um ein „Weiter so!“ zu begründen. Viele Menschen haben jedoch Angst vor Veränderungen. Aber gerade die Veränderung kann ja auch ein aufregendes Projekt sein. Gleichzeitig braucht es natürlich auch einen Plan für diese Veränderungen. Für die Kohlearbeiter müssten finanzielle Mittel freigemacht werden, um die betroffenen Menschen auf einen neuen Pfad zu bringen.

Welche Rolle kann und muss denn die Wirtschaft haben, um die Emissionsreduzierung voran zu bringen? Und wie kann man sie dazu bewegen?

Roosevelt hatte im New Deal von der Wirtschaft einen gewissen Beitrag verlangt. Rockefeller hatte damals dazu gesagt: „Ich bin gerne bereit, die Hälfte meines Vermögens zu opfern, wenn ich damit die andere Hälfte retten kann.“ Glücklicherweise sind wir aber gar nicht in so einer Situation. Ich glaube, dass es für die Wirtschaft – wenn sie sich aus ihrem verkrusteten Denken lösen kann – eine unglaubliche Chance ist, neue Geschäftsfelder zu erschließen.

Die Wirtschaft könnte erkennen, dass der Klimaschutz das größte Beschäftigungsprogramm seit dem Zweiten Weltkrieg ist. Es ist ja klar, dass nach vollkommener Zerstörung ein schnelles Wachstum erfolgt. Aber wir wollen bitte nicht wieder einen Krieg, der so ein Wachstum ermöglicht! In Friedenszeiten könnte die Große Transformation das größte Konjunkturprogramm aller Zeiten sein.

Es ist schon seltsam, dass die Möglichkeit, an einer so faszinierenden Sache wie der Transformation teilhaben zu können, nicht begeisterter aufgenommen wird.

Wir müssen die Begeisterung wecken für neue Projekte, und neue Projekte haben natürlich auch Risiken. Aber das ist vielleicht sogar gut. Die meisten Menschen sind unheimlich eingefahren darin, was sie tun und denken. Selbst der Nervenkitzel ist schon fast routiniert, wie beim Bungee Jumping oder Paragliding. Man könnte stattdessen auch sagen: „Ok, jetzt mach ich mal eine Batteriefabrik auf!“

Wie in dem Film „Power to Change“. Da werden Leute dargestellt die sagen „Ich mache das!“

Ähnliche Initiativen gibt es bereits. Ich bin zum Beispiel auch Vorsitzender von Climate-KIC – einem großen europäischen Netzwerk, das Innovationen im Klimaschutz voranbringt. Wir haben schon einige Hundert Start-Ups auf den Weg gebracht, einige sind bereits geschäftsfähig geworden. Es gibt sie also, diese wilden jungen Kreativen.

Hoffen wir, dass es noch viel mehr werden, damit wir noch rechtzeitig die Transformation schaffen! Herr Schellnhuber, wir danken für das Gespräch.

Prof. Hans-Joachim Schellnhuber ist seit Gründung des Instituts 1992 Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, außerdem Co-Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen (WBGU).

 

Das Gespräch führte forum Redakteurin Dr. Maiken Winter, Vorsitzende von WissenLeben e.V. und forum-Redakteurin.

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