Unbekannte CO2-Senken mitten in Großstädten

Städtische Brachflächen lagern Kohlendioxid ein

Baustelle in Berlin - Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft 20140320

Brachliegende Baustelle in Berlin – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft fürSolarify

Manche städtische Brachflächen und Bauplätze bleiben zum Ärger der Anwohner mitunter jahrzehntelang unbebaut und damit sich selbst überlassen. So hässliche diese Areale wirken, so nützlich sind sie aber auch. Denn sie binden große Mengen CO2 im Boden, wie britische Wissenschaftler  von der Universität Newcastle herausgefunden haben – und wie der Deutschlandfunk berichtete.

„Brachflächen könnten ein wichtiges neues Werkzeug im Kampf gegen den Klimawandel sein“, sagt Mark Goddard, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fach Stadtökologie der Universität Newcastle. Und sein Professor David Manning, Dekan der Fakultät für Bauingenieurwesen und Geowissenschaften an der Newcastle University, ergänzt: „Das Vereinigte Königreich hat 1,7 Millionen Hektar städtisches Land. Wenn nur 700.000 davon proaktiv gehandhabt werden, könnte man 10% des britischen jährlichen CO2-Reduktionsziels erreichen“.

Im Rahmen der diesjährigen Jahrestagung der British Ecological Society zeigten die Forscher, dass städtische Brachflächen riesiges, unerschlossenes Potenzial haben, Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu binden – vorausgesetzt, dass wir sie ernsthafter managen. Goddard erklärt: „Der Boden unter unseren Füßen ist ein wichtiges Reservoir für Kohlenstoff. Unsere Forschung zeigt, dass wir Brachflächen nicht vernachlässigen sollten, weil sie über großes Potenzial für Kohlenstoff-Abscheidung über einen Prozess namens „Carbonation“ (wörtlich: Karbonatisierung) haben.

Potenzial, um 1 Million Tonnen CO2 pro Jahr zu binden

Die Karbonatisierung bedeutet laut Goddard die Verbindung von Kalzium in Brachflächen, die reichlich Abbruch-Abfälle wie Betonstaub und Kalk enthalten, mit atmosphärischem CO2 zu Kalziumkarbonat. Aber während die großen Mengen an organischem Kohlenstoff, die in den Torfgebieten verschlossen sind, sich sehr langsam angesammelt hätten, könne sich der anorganische Kohlenstoff in Kalziumkarbonat sehr schnell in Brachflächenböden bilden, was sie nützlicher zum Abscheiden von atmosphärischem CO2 mache. Ihren Ergebnissen zufolge (21 untersuchte Brachflächen) kann ein Hektar städtischen Bodens bis zu 85 Tonnen atmosphärischen Kohlenstoff pro Jahr aufnehmen.

„Eine Skalierung von bis zu 12.000 Hektar Stadtfläche zur Maximierung der Kalziumkarbonatbildung könnte jährlich 1 Million Tonnen CO2 aus der Atmosphäre entfernen“, erklärt Manning. Das Forschungsteam beurteilte auch das Pflanzen- und Tierleben der Brachflächen sowie deren Potenzial für Erholung, Bildung und Nahrungsmittelproduktion – und erreichte erneut faszinierende Ergebnisse.

Goddard: „Wir begegneten einer Vielzahl von Flächen – von einem vor kurzem abgerissenen Krankenhaus, das außer Ziegelschutt und einigen tapferen, früh kolonisierenden Pflanzen wenig enthielt, bis hin zu lange verlassenen Ex-Industriebauten, die jetzt eine Vielzahl von Wildtieren beherbergen, darunter Hirsche, Feldlerchen und Flussregenpfeifer, seltene Insekten und Bienenragwurz. „Wir haben festgestellt, dass Karbonatisierung auf Brachflächenböden weit verbreitet ist und dass auf diesen Böden eine breite Palette von Pflanzen wachsen kann. Wir haben mehr als 180 Pflanzenarten auf den 21 Standorten festgestellt.“

Eine „Nation von Gärtnern“

Die Ergebnisse wirken sich entscheidend darauf aus, wie wir unsere Gärten und unsere Städte entwickeln. Das Projektteam bearbeitet jetzt künstliche Böden, um so viel CO2 wie möglich zu erfassen und Experimente durchzuführen, welche Pflanzen am besten in der Lage sind, Kohlenstoff aus der Atmosphäre mittels Photosynthese in den Boden zu leiten. „Wir sind im Moment noch nicht so weit, aber wir denken an die Möglichkeit, ein Bodensubstrat zu entwickeln, das man zum Beispiel in Gärten einsetzen könnte und das dann nebenbei Kohlendioxid aufnimmt.“

Wenn sie erfolgreich sind, könnten sie Designer-Pflanzengemeinschaften empfehlen, welche die Karbonisation im Rahmen von „Carbon Capture Gardens“ maximieren – urbane Grünflächen, die CO2 aufsaugen, auch Orte zur Erholung und für die Tierwelt. Die 23 Millionen britischen Gärten belegen rund 433.000 ha. Wenn eine Kohlenstoff-Capture-Funktion in nur 1% dieser Fläche eingebaut würde, könnten sie  jedes Jahr 300.000 Tonnen CO2 aus der Atmosphäre entfernen.

Die Forscher können aber nicht sagen, wie groß die Kapazität für Kohlendioxid am Ende ist, wie lange bauschutthaltige Böden das Treibhausgas also aus der Luft saugen. Sie gehen aber davon aus, dass einmal eingelagertes CO2 fest in den Boden-Mineralen gebunden bleibt und nicht wieder entweicht. „Es geht hier nicht darum, unsere Dörfer und Städte niederzureißen und zusätzliche Bauschuttflächen zu schaffen. Sie kommen eh fast überall vor. In einer Stadt wie Leipzig zum Beispiel gibt es sehr viele davon. Es geht darum, die Zeitpläne für die Bebauung der Brachen vielleicht so anzulegen, dass ihre CO2-Aufnahme möglichst groß ist.“

Goddard fügt hinzu: „Wir sind ein Land der Gärtner, und wir sehen Carbon Capture-Gärten als eine spannende Gelegenheit, um das Bewusstsein der Menschen für die Kohlenstoff-Abscheidung zu erhöhen und ihnen zu zeigen, dass es etwas Einfaches ist, das sie lokal machen können, um den Klimawandel durch Boden-Management zu kompensieren – verbunden mit Gartenarbeit und Landschaftsbau-Aktivitäten. Damit solche Initiativen erfolgreich sein können, müssen wir die Boden- und Vegetationsbewirtschaftung in den städtischen Ballungsgebieten, auf den städtischen Brachflächen, in den Grünflächen rund um die Verkehrsinfrastruktur und in die Sanierung und Sanierung von Böden, viel ernster nehmen.“

[note In Newcastle entsteht im Moment Science Central, ein neuer, zehn Hektar großer, städtischer Gebäudekomplex – vorher eine Brachfläche, auf der jede Menge Bauschutt lag. Dort untersuchten die Forscher, welche chemischen Reaktionen zwischen Boden und Atmosphäre ablaufen. Mark Goddard schilderte das kürzlich in Liverpool, auf der Jahrestagung der britischen Ökologen: „Das sind die ersten Arbeiten, die zeigen: Böden in der Stadt tragen dazu bei, Kohlendioxid einzufangen. So etwas geschieht dort, wo Bauschutt lagert, der viel Kalzium enthält: Beton, Gips oder Zement.“ Das Ganze geschieht in zwei Schritten. Zunächst verwittert der herumliegende, beton- oder zementhaltige Bauschutt, was ziemlich schnell geht. Dabei wird Kalzium freigesetzt, und das reagiert dann mit atmosphärischem CO2, das in den porösen Boden eindringt – es entsteht Kalziumkarbonat oder Kalk. Auf der Untersuchungsfläche in Newcastle hat sich der Karbonat-Gehalt in der oberen Bodenschicht innerhalb von 18 Monaten verdoppelt. (Deutschlandfunk)]

Die Untersuchungsergebnisse wurden im Fachblatt Science Daily veröffentlicht.

->Quellen: