Dobrindts Abgas-Rede vor dem Bundestag

„Pure Heuchelei, weil Sie nicht wissen, wie man mit der ganzen Affäre umgeht!“

Rede des Bundesministers für Verkehr und digitale Infrastruktur, Alexander Dobrindt, in der Aktuellen Stunde des Deutschen Bundestags über die Haltung der Bundesregierung zu verschärften Abgastests in Europa am 27.04.2017 in Berlin. Solarify dokumentiert die Rede mit Zwischentiteln.

„Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren!
Sehr geehrter Herr Krischer,

2,5 Millionen VW-Fahrzeuge befinden sich gerade im verpflichtenden Rückruf, 680.000 Fahrzeuge anderer Hersteller in Deutschland stehen im Rahmen der Serviceaktion zur Umrüstung an. Und Sie reden hier davon, dass nichts getan wird. Das ist pure Heuchelei, weil Sie nicht wissen, wie man mit der ganzen Affäre umgeht. Sie haben keinen Plan, was notwendig ist, weil Sie dafür vernünftig in Richtung Brüssel blicken müssten.

Ich habe bereits im letzten Jahr vor dem Untersuchungsausschuss des Europäischen Parlaments klargestellt, was notwendig ist, damit wir in Zukunft in der Tat mehr Kontrolle und bessere Prüfungen haben, damit solche Manipulationen, wie wir sie erlebt haben, vermieden werden.

„In dieser Situation ist man für Manipulationen anfällig“

Erster und bedeutendster Punkt dabei ist, dass wir natürlich das Recht verändern. Heute steht aufgrund der europäischen Richtlinie ein Scheunentor offen. In dieser Situation ist man für Manipulationen anfällig. Wir haben heute eine Richtlinie, die auf der einen Seite besagt, dass Abschalteinrichtungen verboten sind, und auf der anderen Seite besagt, dass es eine ganze Vielzahl von Ausnahmen gibt, die sich die Hersteller zunutze machen können. „Motorschutz“ ist an dieser Stelle das Schlüsselwort, auf das sich nach europäischem Recht jeder berufen kann, um am Schluss in die Motorsteuerung einzugreifen, wenn es um die Emissionsstrategien geht. Das ist natürlich falsch. Das muss verändert werden. Ansonsten bekommen wir diese manipulationsanfällige Regelung nicht in den Griff.

Deswegen habe ich bereits im letzten Jahr gegenüber der Europäischen Kommission, im Untersuchungsausschuss und übrigens auch am 7. Juni 2016 im Verkehrsministerrat gesagt: Wir haben nur eine Möglichkeit durch Veränderung des europäischen Rechts. Wir müssen dafür sorgen, dass sich Hersteller, dass sich Ingenieure nicht mehr darauf berufen können, dass ihr Motor nicht leistungsfähig genug sei, um auf Dauer eine ordentliche Abgasstrategie zu verfolgen. Ich kann dies sehr plakativ formulieren: Heute ist nach europäischem Recht möglich, dass der schlechteste Ingenieur, dass der schlechteste Motor, dass die unausgereiftesten und unterdimensioniertesten Motoren für sich die meisten Ausnahmen in Anspruch nehmen und dann die meisten Schadstoffe ausstoßen. Das ist grundfalsch und muss geändert werden. Im Gesetz müssen der Stand der Technik und die modernsten Technologien vorgeschrieben sein. Dann vermeiden wir in Zukunft solche Manipulationen.

Richtlinie von 2007 ist überholt

Herr Kollege Krischer, dabei geht es überhaupt nicht um EU-Bashing – das ist der Vorwurf, den Sie machen, anstatt sich mit der Sache auseinanderzusetzen –, sondern es geht darum, dass das, was vor vielen Jahren festgelegt wurde, überholt ist. Die Richtlinie ist von 2007. Das heißt, 2004 wurde begonnen, darüber zu diskutieren. Damals hat man über Motorengenerationen geredet, bei denen gar nicht vorstellbar war, was durch Digitalisierung, was durch Technisierung an Eingriffen möglich sein wird. Dass diese Richtlinie natürlich irgendwann verändert werden muss, dass das Recht natürlich den technischen Möglichkeiten folgen muss – das, was jetzt möglich ist, muss sich in der rechtlichen Konstruktion wiederfinden –, ist doch geradezu logisch. Das ist kein Vorwurf an diejenigen, die damals dieses Recht geschaffen haben. Aber das ist ein Vorwurf an diejenigen, die sich heute verweigern, dieses Recht zu ändern. Es ist in unserem Interesse, das Recht zu ändern.

Übrigens ist die EU-Kommission an der Stelle gar nicht so unwillig, unseren Vorschlägen zu folgen. Sie hat am 26. Januar dieses Jahres Leitlinien herausgegeben, wie man die europäische Verordnung 715/2007 zu interpretieren hat. Interessanterweise schreibt sie genau das in die Leitlinien, was wir an Rechtsänderungen einfordern: Wenn es andere Technologien gibt, die am Markt verfügbar sind, wenn es moderne Technologien gibt, die das Risiko beseitigen, dass der Motor einen Schaden nimmt, dann sollten sie, soweit technisch möglich, verwendet werden. Das schreibt jetzt die Kommission in ihren Leitlinien. Das ist ein Weg in die richtige Richtung. Das ist ein Zugehen auf unsere Forderungen. Das Problem ist nur: Diese Leitlinien sind für die Mitgliedstaaten nicht rechtlich verpflichtend. Wir gehen viel weiter, als es die Kommission vorschlägt. Wir wollen, dass es rechtlich verpflichtend wird, die modernsten Technologien einzusetzen. Das muss jetzt in Brüssel entschieden werden.

Folgt: „Wir brauchen Clearingstelle in Europa“