„Wissenschafts-Kommunikation im Trumpozän“

Verführung, eigene Meinung für mehrheitsfähig zu halten

Journalisten als verantwortungsbewusste Gatekeeper gebe es in digitalen Netzen nicht mehr. Ungeprüfte, ge- oder verfälschte und erfundene Informationen in sozialen Netzwerken oder auf Fake-News-Websites  stünden gleichrangig neben seriösen journalistischen Produkten. In der Wissenschaft verschwänden gar „geprüfte Forschungsergebnisse hinter den Bezahlschranken akademischer Journals“. Organisationen der Leugnung des Klimawandels gäben sich als „Think Tanks“ oder „Institute“ aus und gaukelten damit einen wissenschaftlichen Anstrich vor. Diese Mimikry sei eine zentrale Kommunikationsstrategie im Netz und führe das Informationsbedürfnis vieler in die Irre – bis in die sogenannte  „Filterblase“: Nutzer erfahren unabhängig davon, ob sie fundiert oder gesellschaftlich mehrheitsfähig sind, online vielfältig Bestätigung ihrer Meinungen und Weltbilder. Laut Brüggemann ist generell die Neigung wirksam, eher die eigene Meinung bestätigende Inhalte wahrzunehmen und sich Freunde und Kontakte mit ähnlichem Weltbild zu suchen („confirmation bias“). Hinzu komme: Webseiten seien häufig mit ähnlichen Inhalten vernetzt. Und Algorithmen verstärken diese sozialen Mechanismen dadurch noch, dass sie Suchergebnisse liefern, die den vermuteten Präferenzen des jeweiligen Nutzers entsprechen.

Brüggemann: „Am Ende ist jede und jeder in seiner eigenen Filterblase allein und trifft immer wieder auf sich selbst: das Paradies für Narzissten. Womit wir wieder beim Trumpozän wären. Wir können an den Inhalten, die uns in unseren Facebook- oder Twitter-Feeds oder als Suchergebnisse von Google begegnen, keineswegs erkennen, was die Gesellschaft so insgesamt denkt. Das ist aber genau das, was Menschen üblicherweise tun: Sie nehmen Medieninhalte als Indikator für gesellschaftliche Meinungen und orientieren sich daran. Im Internet führt dies dazu, dass sie ihre eigene Meinung für mehrheitsfähig halten.“

Gegensteuern im Internet  – alle!

Die gute Nachricht sei nun, dass wir noch nicht im Trumpozän lebten und auch nicht in einer post-faktischen Gesellschaft. Gerade die Klimadebatte im Internet zeige das als Streit um Fakten: „Gibt es den anthropogenen Klimawandel? Welche Folgen hat er? Zwar mögen sich im Web und in der Weltpolitik auch notorische Lügner tummeln, aber im Kern geht es auch vielen Abstreitern des anthropogenen Klimawandels um das, was sie – fehlgeleitet durch die obigen Mechanismen (und beispielsweise in den USA durch jahrzehntelanges professionelles Lobbying der von Klimapolitik betroffenen Industrien) – für die Wahrheit halten. Die Zahl der Menschen, die wider besseres Wissen und aus politischem Kalkül Fakten wie den Klimawandel leugnen, ist verschwindend gering gegenüber den Mehrheiten, auch unter den Wählern von Trump, denen es wichtig ist, dass sich Politik an Fakten orientiert, – die sich aber massiv in die Irre führen lassen. Und das Internet gibt uns auch die Instrumente in die Hand, um gegenzusteuern.“

March for Science – Pariser Platz voll – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Der „March for Science“ könne daher nur ein Auftakt dafür sein, dass sich auch die Wissenschaft selbst massiv zu Wort melde, wenn Fakten systematisch verbogen und wissenschaftliche Freiheit eingeschränkt würden. Der Konflikt zwischen den Akteuren des Trumpozäns und dem Prinzip Wissenschaft sei grundsätzlicher als der US-Streit um die Klimawissenschaft. Verrückte Debatten im Internet können langfristig politische Folgen haben. Obwohl sie wissenschaftlicher Evidenz entbehren, können sie trotzdem Regierungspolitik werden.

Brüggemann fordert daher von seinen Kollegen, dass sie Debatten über ihre Themen und die Wissenschaft insgesamt aufmerksamer beobachten sollten, gerade jenseits der Qualitätsmedien: „Es ist nicht damit getan, darauf zu warten, von einem Journalisten zum Interview gebeten oder von einer Behörde zu einem Gutachten (inklusive Vertraulichkeitserklärung) aufgefordert zu werden. Die Kommunikationsaufgabe lässt sich auch nicht an wenige, prominente Großwissenschaftler delegieren, die dann in politischen Talkshows ihren Kopf für die Zunft insgesamt hinhalten müssen – und auf diesem Wege allzu leicht zu Feindbildern von Klima-, Impf- oder Evolutionsgegnern werden.“

[note Journalismus: Keine „ausgewogene Berichterstattung“ zwischen Wissenschaft und Behauptungen mehrUm beide Seiten von (oft nur vermeintlichen) Debatten abzubilden, hätten viele Medien lange Zeit Leugner oder Skeptiker des menschengemachten Klimawandels zu Wort kommen lassen. Das sei nun vorbei, schreibt ein deutsch-schweizerisches Forscherteam im Fachblatt Global Environmental Change (Januarausgabe) – so Toralf Staud im Portal klimafakten.de. Die „Norm der Balance“ sei einer „interpretativen“ Haltung gewichen. Doch einige konservative Blätter böten Leugnern weiterhin Raum.]

Die neue Medienwelt erfordere auch von der Wissenschaft massenhafte Individualkommunikation – jenseits der Grenzen der eigenen Filterblase: Wenn auch Post-Docs, Doktoranden und fortgeschrittene Studierende Wissenschaftskommunikation auf Twitter, Wikipedia, Facebook, YouTube und in Blogs als Teil ihrer Aufgabe sehen, kann Wissenschaft in den Weiten des Webs wirksam werden. Dabei erfordere vieles weit weniger Aufwand als zu einer Demonstration zu gehen: „Schon das Klicken eines Like- oder Weiterleitungsbuttons signalisiert den Algorithmen und anderen Usern: Hier ist etwas, was sich lohnt zu lesen oder anzuschauen. Auch eine Buchkritik bei Amazon kann künftige Leser weg von Pseudo-Wissenschaft und hin zu Inhalten leiten, die auf verlässlicher, wissenschaftlicher Grundlage ruhen. Es kann doch nicht sein, dass die am häufigsten weitergeleiteten Klimawandel-Geschichten auf Facebook erfundene Lügengeschichten sind“. Dabei gehe es nicht darum, Klimaskeptiker zu beschimpfen. Es gehe darum, „Lügen richtigzustellen, und sich dafür zu engagieren, dass reale Wissenschaft wieder sichtbarer wird als Pseudo-Wissenschaft – auf der Straße und in sozialen Netzwerken“.

[note Michael Brüggemann ist Professor für Kommunikationswissenschaft, Klima- und Wissenschaftskommunikation an der Universität Hamburg. Sein Text ist die erweiterte und aktualisierte Fassung eines Vortrags im Rahmen der Jahrestagung 2017 des Deutschen Klima-Konsortiums].

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