EU-Kommission muss Anti-TTIP-Bürgerinitiative zulassen

EuGH setzt EBI StopTTIP in Rechte ein

Am 10.05.2017 erklärte der EuGH einen Beschluss der EU-Kommission für nichtig, mit dem diese 2014 die Registrierung der geplanten Europäischen Bürgerinitiative (EBI StopTTIP) und die europaweite Unterschriftensammlung gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA abgelehnt wurde. Die EU-Kommission muss Bürgerinitiativen wie “Stop TTIP“ offiziell zulassen. Die Ablehnung der Kampagne im Jahr 2014 sei rechtswidrig gewesen, urteilte das EU-Gericht.

Trojanisches Pferd der TTIP-Gegendemonstranten vor Willy-Brandt-Haus Berlin – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

Am 10.09.2014 hatte die EU-Kommission die vom Netzwerk StopTTIP beantragte Anerkennung als Europäische Bürgerinitiative StopTTIP untersagt. Das Netzwerk ließ sich davon nicht entmutigen und startete am 07.10.2014 eine selbstorganisierte EBI (sEBI). Tatsächlich folgten über 3 Millionen EU-BürgerInnen dem Aufruf und unterschrieben die Forderung an die EU-Kommission, die Investitionsschutzabkommen TTIP und CETA zu stoppen. Angesichts der beispiellosen Zustimmung zur Bürgerinitiative StopTTIP und der Kritik des EuG am Demokratieverständnis der Kommission muss diese nun aufgefordert werden, die selbstorganisierte EBI nachträglich offiziell anzuerkennen und eine Anhörung im EU-Parlament durchzuführen.

Das Engagement der Bürger stelle keine unzulässige Einmischung in die Vorbereitung des transatlantischen Freihandelsabkommens mit den USA dar, so der EuGH. Die Richter befanden im Gegenteil sogar, dass die Initiative zur rechten Zeit eine legitime demokratische Debatte auslöse. Sie stärken damit auch ganz allgemein Bürgerinitiativen den Rücken, die sich kritisch mit EU-Projekten auseinandersetzen.

Aus der offiziellen Medienmitteilung des EuGH: „Im Juli 2014 beantragte ein Bürgerausschuss, dem Herr Michael Efler angehört, bei der Kommission, die geplante Europäischen Bürgerinitiative¹ „Stop TTIP“ zu registrieren. Mit dieser Initiative wird die Kommission im Wesentlichen auf gefordert, dem Rat zu empfehlen, das ihr erteilte Verhandlungsmandat für TTIP² aufzuheben , und schließlich, CETA³ nicht abzuschließen.

So sieht der Vorschlag vor,

  • TTIP und CETA zu verhindern, da die Entwürfe der Abkommen mehrere kritische Punkte enthalten würden (Verfahren zur Beilegung von Investor-Staat-Streitigkeiten, Regeln zur Zusammenarbeit in Regulierungsangelegenheiten, die eine Bedrohung für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit darstellen würden),
  • zu verhindern, dass
    1. Standards in den Bereichen Arbeit, Soziales, Umwelt, Privatsphäre und Verbraucherschutz in intransparenten Verhandlungen gesenkt und
    2. öffentliche Dienstleistungen (wie beispielsweise die Wasserversorgung ) und Kulturgüter dereguliert würden, und – „eine alternative Handels – und Investitionspolitik der Europäischen Union“ zu unterstützen.

Die Kommission hat mit ihrem Beschluss vom 10.09.20144 die Registrierung der geplanten Bürgerinitiative abgelehnt, da diese außerhalb ihrer Befugnisse liege, einen Vorschlag für einen Rechtsakt der Union unterbreiten zu können, um die Verträge umzusetzen.

Gericht weist Kommissions-Auffassung zurück, der Beschluss, mit dem ihr die Ermächtigung zur Aufnahme von Verhandlungen über den Abschluss von TTIP entzogen werden soll, könne nicht Gegenstand einer Europäischen Bürgerinitiative sein

Der Bürgerausschuss hat darauf hin vor dem Gericht der Europäischen Union Klage erhoben und begehrt die Nichtigerklärung des Beschlusses der Kommission. Mit seinem heutigen Urteil gibt das Gericht der Klage statt und erklärt den Beschluss der Kommission für nichtig.

Das Gericht weist die von der Kommission vertretene Auffassung zurück, wonach der Beschluss, mit dem ihr die Ermächtigung zur Aufnahme von Verhandlungen über den Abschluss von TTIP entzogen werden soll, nicht Gegenstand einer Europäischen Bürgerinitiative sein könne. Nach Auffassung der Kommission fällt ein solcher Beschluss deswegen nicht unter den Begriff des Rechtsakts, da die Ermächtigung selbst wegen ihres vorbereitenden Charakters und mangels Außenwirkung nicht unter diesen Begriff falle.

In diesem Zusammenhang stellt das Gericht u. a. fest, dass der Grundsatz der Demokratie, der zu den grundlegenden Werten gehört, auf die die Union sich gründet, sowie das der Europäischen Bürgerinitiative zugrunde liegende Ziel (nämlich die demokratische Funktionsweise der Union zu verbessern, indem jedem Bürger ein allgemeines Recht auf Beteiligung am demokratischen Leben eingeräumt wird), es erfordern, eine Auslegung des Begriffs des Rechtsakts zugrunde zu legen, die Rechtsakte wie den Beschluss zur Aufnahme von Verhandlungen über den Abschluss eines internationalen Abkommens (wie TTIP und CETA) mit einschließt, das unbestreitbar eine Änderung der Rechtsordnung der Union herbeiführen soll.

Das Gericht stellt außerdem fest, dass kein Grund besteht, Rechtsakte, die auf die Aufhebung eines Beschlusses abzielen, mit dem der Aufnahme von Verhandlungen über den Abschluss eines internationalen Abkommens zugestimmt wird, sowie Rechtsakte, mit denen die Unterzeichnung und der Abschluss eines solchen internationalen Abkommens verhindert werden sollen, von dieser demokratischen Debatte auszuschließen.

Es weist das Argument der Kommission zurück, wonach die Rechtsakte, auf die die fragliche Bürgerinitiative abziele, zu einer nicht hinnehmbaren Einmischung in den Gang eines laufenden Rechtssetzungsverfahrens führen würden . Das mit der Europäischen Bürgerinitiative verfolgte Ziel besteht nämlich darin, den Unionsbürgern zu ermöglichen, ihre Mitwirkung am demokratischen Leben in der Union zu verstärken, und zwar u.a. dadurch, dass sie der Kommission detailliert die durch die Bürgerinitiative aufgeworfenen Fragen darlegen und die Kommission auffordern, einen Vorschlag für einen Rechtsakt der Union zu unterbreiten, nachdem sie die Bürgerinitiative gegebenenfalls im Rahmen einer öffentlichen Anhörung im Parlament vorgestellt und somit eine demokratische Debatte angeregt haben, ohne den Erlass des Rechtsakts abwarten zu müssen, dessen Änderung oder Aufgabe letztlich angestrebt wird.

Diese Möglichkeit zuzulassen, verstößt auch nicht gegen den Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts, da der Kommission die Entscheidung obliegt, ob sie einer registrierten und mit den erforderlichen Unterschriften versehenen Europäischen Bürgerinitiative Fortgang gewährt, indem sie in einer Mitteilung ihre rechtlichen und politischen Schlussfolgerungen zu der Bürgerinitiative sowie ihr eventuelles weiteres Vorgehen bzw. den Verzicht auf ein weiteres Vorgehen und die Gründe hierfür darlegt.

Dem Gericht zufolge steht nichts dem entgegen, dass das eventuelle weitere Vorgehen der Kommission darin bestehen kann, dem Rat den Erlass von Rechtsakten vorzuschlagen, auf die die fragliche Bürgerinitiative abzielt. Entgegen den Ausführungen der Kommission wären die Unionsorgane in einem solchen Fall durch nichts daran gehindert, neue Entwürfe transatlantischer Freihandelsabkommen zu verhandeln und die Abkommen sodann abzuschließen, nachdem der Rat die Rechtsakte erlassen hat, die Gegenstand dieser Bürgerinitiative sind.

HINWEIS: Gegen die Entscheidung des Gerichts kann innerhalb von zwei Monaten nach ihrer Zustellung ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel beim Gerichtshof eingelegt werden.

HINWEIS: Eine Nichtigkeitsklage dient dazu, unionsrechtswidrige Handlungen der Unionsorgane für nichtig erklären zu lassen. Sie kann unter bestimmten Voraussetzungen von Mitgliedstaaten, O rganen der Union oder Einzelnen beim Gerichtshof oder beim Gericht erhoben werden. Ist die Klage begründet, wird die Handlung für nichtig erklärt. Das betreffende Organ hat eine durch die Nichtigerklärung der Handlung etwa entstehende Regelungslücke zu schließen.


1 Nach der Regelung über die Europäische Bürgerinitiative können Unionsbürger, wenn es sich um mindestens eine Milli on Bürger aus mindestens einem Viertel der Mitgliedstaaten handelt, die Initiative ergreifen und die Kommission auffordern, im Rahmen ihrer Befugnisse dem Unionsgesetzgeber einen geeigneten Vorschlag zu Fragen zu unterbreiten, bei denen sie einen Rechtsakt der Union zur Umsetzung der Verträge für erforderlich halten. Bevor die Organisatoren beginnen können, die erforderliche Anzahl an Unterschriften zu sammeln, müssen sie die europäische Bürgerinitiative bei der Kommission registrieren lassen, die insbesondere ihren Gegenstand und ihre Ziele prüft.

Die Kommission kann die Registrierung u.a. dann ablehnen, wenn der Gegenstand der Bürgerinitiative offenkundig nicht in einen Bereich fällt, in dem sie befugt ist, dem Unionsgesetzgeber einen Rechtsakt zur Umsetzung der Verträge vorzuschlagen.

2 Mit Beschluss vom 14.06.2013 hatte der Rat die Kommission zur Aufnahme von Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten von Amerika über den Abschluss eines Freihandelsabkommens ermächtigt, das später die Bezeichnung „Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“ (in Englisch „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ oder „TTIP“) erhielt .

3 Mit Beschluss vom 27.04.2009 hatte der Rat die Kommission zur Aufnahme von Verhandlungen mit Kanada über den Abschluss eines Freihandelsabkommens ermächtigt, das später die Bezeichnung „Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen“ (in Englisch „Comprehensive Economic and Trade Agreement“ oder „CETA“) erhielt.

4 Beschluss C (2014) 6501.

->Quelle: curia.europa.eu