59 Prozent für Energiegesetz
Im internationalen Witzwettbewerb punkten die Schweizer mit ihrer Bedachtsamkeit, böse Zungen sagen: Langsamkeit. So auch beim neuen Energiegesetz: „Das Stimmvolk hat das Energiegesetz angenommen, und zwar deutlicher als erwartet“, textete FM1 Today, das Internetportal von Radio Ostschweiz, kurz nach Schließung der Wahllokale um 12 Uhr nach ersten Hochrechnungen – Atomausstieg sechs Jahre nach Fukushima, aber nicht sofort.
Die Zustimmung hatte sich zwar in den Umfragen abgezeichnet, doch war sie bis zur Abstimmung gesunken. Schließlich sagten 58,2 % Ja: Damit wird der Bau neuer Atomkraftwerke in der Schweiz zwar verboten, doch die fünf bestehenden Kraftwerke (Foto li.: Atom- Methusalem Beznau) sollen so lange am Netz bleiben, wie die Aufsichtsbehörde sie als sicher erachtet. Das von den Grünen vorgeschlagene Enddatum (2029) war schon vorher abgelehnt worden.
Die Energiestrategie von Ministerin Doris Leuthard setzt auf Bewährtes – Erneuerbare und Energieeffizienz: Die Grenzwerte für den CO2-Ausstoß von Autos werden verschärft, PV- und Windanlagen weiterhin über den sogenannten Netzzuschlag gefördert – der wird auf 2,3 Rappen erhöht, damit steht mehr Geld zur Verfügung. Doch die Unterstützung bekommt ein Verfallsdatum: Neue Einspeisevergütungen werden nur noch bis Ende 2022 bewilligt, Investitionsbeiträge bis 2030. Ein Teil der Gelder soll bestehende Großwasserkraftwerke fördern. Die Betreiber erhalten einen Ausgleich für Strom, den sie unter den Gestehungskosten verkaufen müssen. Bis 2050 soll in der Schweiz der Strom 100% erneuerbar werden – kKapp 60 Prozent des Schweizer Stroms kommen schon heute aus nachhaltigen Quellen, überwiegend Wasserkraft.
Der Energieverbrauch soll bis 2035 im Vergleich zu 2000 fast halbiert werden – um 43 Prozent, der Stromverbrauch um 13 Prozent. Für das Gebäudeprogramm sollen pro Jahr 413 (statt wie heute 275) Millionen Euro aus der CO2-Abgabe eingesetzt werden können. Energetische Gebäudesanierungen werden auch mit steuerlichen Anreizen stärker gefördert. Ferner gelten strengere Regeln für Autoimporteure, und der Bundesrat kann Vorgaben zur Einführung intelligenter Regelsysteme beim Endverbraucher machen.
Energieministerin obsiegte – Gegner-Kampagnen gingen ins Leere
Das Ja zum Energiegesetzespaket ist ein Sieg für Energieministerin Doris Leuthard, „wohl der bedeutendste ihrer Karriere“ (FM1 Today). Die rechtskonservative Schweizer Volkspartei, die das Referendum vom Zaun gebrochen hatte, musste erneut eine Niederlage einstecken. Zuletzt hatte sie erfolglos drei Volksabstimmungen initiiert: Gegen die erleichterte Einbürgerung, ein neues Asylgesetz und eine Durchsetzungsinitiative. Die SVP verlor, obwohl sie massiv von Teilen der FDP und der Wirtschaft – teils mit alternativen Fakten – unterstützt worden war. Die Gegner hatten vor kaltem Duschen, einer Gefährdung der Energieversorgung und horrenden Stromrechnungen gewarnt, vermochten damit aber wenig Verunsicherung auszulösen.
Die von Chefredakteur und Verleger Roger Köppel von linksliberal auf rechtspopulistisch umgepolte Weltwoche bezog klar Stellung gegen die Energie-Bundesrätin: In ihrer letzten Ausgabe (17.05.2017) mit Leuthard-Foto auf dem Titel („Sex-Appeal, Macht und Energie – Doris Leuthards kurvenreiche Karriere“) brachte sie eine Umfrage unter WW-Lesern – ihr Ausgang überraschte nicht, allerdings stand er in krassem Gegensatz zum Abstimmungsergebnis – auch ein Niederlage für Köppels Weltwoche.
Die Behauptungen von Gegnern und Befürwortern waren denn auch so stark auseinander gegangen wie nie. Laut Schweizerischer Depeschenagentur (sda – zitiert in fast allen Quellen) bedeutet der höhere Netzzuschlag in den nächsten fünf Jahren für einen Haushalt mit vier Personen zusätzliche Kosten von rund 40 Franken jährlich. Die Gegener behaupteten, die (Gesamt-)Kosten für einen Vier-Personen-Haushalt beliefen langfristig auf jährlich 3.200 Franken, und verwiesen zur Begründung verwiesen auf die im Gesetz verankerten Ziele, zu deren Erreichung, zusätzliche Maßnahmen nötig würden. Die Befürworter sprachen entsprechend von einer „Lügenkampagne“. Denn die längerfristigen Kosten sind kaum zu beziffern. Zum einen würden sie zum Teil ohnehin fällig, etwa für die Erneuerung der Stromnetze. Zum anderen ist die technologische Entwicklung nicht über Jahrzehnte abzuschätzen.
Schon in der kommenden Sommersitzung wird sich der Nationalrat mit zusätzlichen Maßnahmen zur Unterstützung der Wasserkraft beschäftigen. Ein nächster Meilenstein wird die Revision des CO2-Gesetzes sein. Daneben haben die Diskussionen über neue Marktmodelle begonnen, welche die Versorgungssicherheit gewährleisten sollen. Kraftwerksbetreiber könnten künftig dafür entschädigt werden, dass sie Kapazitäten bereithalten.
[note Solarify meint: Die Schweiz verbietet etwas, das ohnehin nicht mehr rentabel war – es lag auch gar kein Antrag auf ein neues AKW vor. So weit, so gut. Dass es aber kein Enddatum für die Abschaltung der AKW-Dinosaurier geben soll – Beznau ist das dienstälteste Kernkraftwerk der Welt und schon länger wegen Altersschwäche in der Diskussion – wird bei den Anrainern keinen Jubel auslösen. Aber vielleicht war die Schweizer Energiewende nur mit dieser, wenn auch riskanten Langsamkeit zu haben.]
->Quellen: