Thüringer Strombrücke freigeschaltet

Fakten, Stimmen, Hintergründe – „Entlastung des Stromnetzes“

„Es ist geschafft!“ jubelte eine Medienmitteilung des Netzbetreibers 50Hertz, als am 14.09.2017 nach mehr als zehn Jahren Planungs-, Genehmigungs- und Bauzeit die sogenannte Südwest-Kuppelleitung – vulgo: „Thüringer Strombrücke“ – von Bad Lauchstädt (Sachsen-Anhalt) über Erfurt-Vieselbach und Altenfeld (Thüringen) nach Redwitz (Bayern) mit der Inbetriebnahme des zweiten Stromkreises vollständig freigeschaltet war. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) gab den letzten Abschnitt der 380-Kilovolt-Leitung frei. Sie soll Kosten für das Engpassmanagement in zweistelliger Millionenhöhe sparen helfen.

Hochspannungsmasten- Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

Die von der EU als europäisches Vorrangprojekt deklarierte Leitung, zentraler Bestandteil des Energieleitungsausbaugesetzes, ist „die zweite Verbindungsleitung aus dem Nordosten Deutschlands nach Bayern und entlastet so die bisher einzige Verbindung von Remptendorf (Thüringen) nach Redwitz (Bayern) in beträchtlichem Umfang“, so der Betreiber. Die beiden Systeme bzw. Stromkreise der insgesamt knapp 200 Kilometern langen Südwest-Kuppelleitung (161 km im Netzgebiet von 50Hertz, 31 km im Netzgebiet von Tennet) verfügten jetzt über eine Übertragungsfähigkeit von rund 5.000 Megawatt (MW). Das Investitionsvolumen dieser Höchstspannungsleitung habe für 50Hertz ca. 320 Millionen Euro betragen.

[note „Es war eine Inszenierung für Techniker“, schrieb Jens Tartler im Tagesspiegel Background. In der Berliner 50 Hertz-Zentrale habe Haseloff die sogenannte Schaltanweisungsberechtigung bekommen. „So durfte der studierte Physiker Haseloff (darauf legt er großen Wert) einen Ingenieur von 50 Hertz anweisen, per Handyanruf in der Leitstelle im brandenburgischen Neuenhagen den letzten Abschnitt der sogenannten Thüringer Strombrücke freizuschalten. Um 15.08 Uhr flossen 2160 Megawatt (MW) Strom durch die Leitung von Altenfeld nach Redwitz. Das entspricht der Leistung von zwei Atomkraftwerken.“]

Nach den Worten Haseloffs liegen die Inbetriebnahme der Südwest-Kuppelleitung und der Netzausbau insgesamt im vitalen Interesse Sachsen-Anhalts. „Unser Bundesland ist nämlich ein Vorreiter der Energiewende mit einer sehr hohen installierten Leistung erneuerbarer Energien, vor allem Wind und Photovoltaik“, so Haseloff. Boris Schucht, Vorsitzender der Geschäftsführung von 50Hertz: „Mit dieser Leitung verbessert sich die Integration des erneuerbar erzeugten Stroms im Nordosten Deutschlands beträchtlich. Zudem wird mit der nun wesentlich höheren Übertragungskapazität in Richtung Süddeutschland eine wesentliche Voraussetzung für den Atomausstieg geschaffen, indem mehr Strom vom erzeugungsstarken Nordosten in den verbrauchstarken Süden Deutschlands transportiert werden kann. Die Leitung wird ebenfalls mit dafür sorgen, dass die Kosten für das Engpassmanagement trotz weiteren Ausbaus der Erneuerbaren Energien auch in diesem Jahr voraussichtlich stabil bleiben.“

Denn: Rund 80 Prozent der in der Vergangenheit bei 50Hertz aufgelaufenen Redispatchkosten waren den Engpasssituationen an der bislang einzigen Verbindungsleitung aus dem 50Hertz-Gebiet nach Bayern (380-kV-Leitung Remptendorf – Redwitz) geschuldet. Der erste Stromkreis war bereits im Dezember 2015 in Betrieb genommen worden. Das hatte im Folgejahr 2016 Einsparungen bei den Engpassmanagementkosten von rund 80 Millionen Euro bewirkt. „Man sieht also eines sehr deutlich: Netzausbau wirkt“, erklärte Schucht mit Blick auf diese Einsparungen. Zugleich verwies er auf die weiter steigenden Kapazitäten erneuerbarer Anlagen im Norden und Osten Deutschlands. „Der Netzausbau in unserer Region, wie überall in Deutschland, ist noch mitten im Gange. Dies zeigen sowohl das Bundesbedarfsplangesetz als auch die Netzentwicklungspläne. Aber mit der heutigen Fertigstellung der Südwest-Kuppelleitung haben wir nun ein sehr wichtiges Etappenziel erreicht und einen Meilenstein bei der Umsetzung der Energiewende gesetzt.“

Der technische Geschäftsführer von 50Hertz, Dr. Frank Golletz, dankte den beiden Bundesländern Sachsen-Anhalt und Thüringen für die konstruktive Begleitung bei der Umsetzung dieses Projektes: „Gerade in Thüringen, besonders betroffen durch zwei der drei Leitungsabschnitte, gab es vor einigen Jahren phasenweise ja enormen Protest gegen die Südwest-Kuppelleitung. Und beklagt wurde die Leitung vor dem Bundesverwaltungsgericht 2012 auch – wobei die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses 2013 vom Leipziger Gericht am Ende bestätigt wurde. Das alles zeigt, dass wir einige Hürden haben nehmen müssen, um dieses Projekt zu realisieren.“

Zugleich habe man als Unternehmen eine klare Lernkurve durchschritten, denn in der Anfangsphase des Projektes seien in der Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern in der Region Fehler gemacht worden. „Heute wissen wir,“, so Golletz, „dass wir viel umfassender und vor allem frühzeitiger auf die Bürger und alle anderen Anspruchsgruppen zugehen müssen, um über solche Projekte transparent und im Dialog zu informieren. Wir stellen uns den Bedenken vor Ort intensiver und gehen zügig auf Hinweise sowie Anregungen ein. Heute sind diese Prinzipien Standard bei 50Hertz, weil wir aus der Vergangenheit – auch und gerade in diesem Projekt – gelernt haben.“

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