Strategiewechsel von Strom- zu Effizienzwende nötig

Rolle: „Umfassender Carbon Leakage-Schutz der Industrie nötig“

Carsten Rolle, Abteilungsleiter Energie- und Klimapolitik des BDI, hat die Studie „Klimapfade für Deutschland“ federführend betreut:“Wir können in den Szenarien einen optimalen Pfad beschreiben, in dem eine Reduktion der Treibhausgase bis 2050 um 80 Prozent technisch und volkswirtschaftlich möglich ist. Dafür müssen jedoch einige wesentliche Voraussetzungen gegeben sein – Stichwort ‚umfassender Carbon Leakage Schutz der Industrie‘ (siehe: solarify.eu/carbon-leakage). Richtig ist aber auch: 95 Prozent der Treibhausgase bis 2050 einzusparen, wäre nicht einfach ein bisschen mehr von allem, sondern in jeder Hinsicht eine andere Welt.“ Ein solches Ziel wäre deshalb schwierig, weil es beispielsweise die unterirdische Lagerung von CO2 (kurz: CCS) und auch Maßnahmen in der Landwirtschaft einschlösse. Maßnahmen also, die heute auf keine ausreichende Akzeptanz in der Bevölkerung stoßen. Aus diesen Gründen halte der BDI ein 95-Prozent-Ziel heute für unrealistisch.

Kritik übte Rolle am Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung. Dort würden detaillierte Sektorziele vorgegeben, ohne die Folgewirkungen genauer zu beleuchten und zu diskutieren. Zum Teil werde dezidiert gesagt, mit welchen Technologien die Sektoren wie viel Treibhausgas bis 2030 einsparen sollten. Eine solche trennscharfe Vorgabe verteure und erschwere aber den Klimaschutz. Rolle: „Mit unserer Klimastudie wollen wir Rationalität in die Diskussion einbringen – und unsere fachliche Expertise. Immerhin vertritt der BDI die gesamte Breite der Industrie, das sind mehr als 100.000 Unternehmen mit acht Millionen Beschäftigten.“

Die Lücke zwischen den 61 Prozent Einsparung 2050 (wenn wir auf Basis der aktuellen politischen Vorgaben so weitermachen wie bisher) und der vom BDI als realistisch eingeschätzten Zielvorgabe von 80 Prozent sei groß, so Rolle: Die dafür notwendigen „zusätzlichen Investitionen bis 2050 von insgesamt 1,5 Billionen Euro sind für den einzelnen Investor heute nicht attraktiv. Damit die Entscheider – Unternehmer, Autokäufer, Hausbesitzer – der Zielvorgabe folgen und entsprechend investieren, werden deshalb politische Maßnahmen erforderlich sein. Betriebswirtschaftlich muss der Staat dafür Anreize setzen, damit das Einsparziel erreicht wird.“

Dringendsten Handlungsbedarf sieht Rolle im Gebäudebereich – auf den entfielen 40 Prozent der Primärenergie: „In der energetischen Sanierung des Gebäudebestandes schlummert riesiges – bisher sträflich vernachlässigtes – Einsparpotenzial. Es reicht eben nicht aus, nur die Standards für Neubauten immer höher zu schrauben. Die Sanierungsraten, die heute bei 1,1 Prozent pro Jahr liegen, müssen so schnell wie möglich auf mindestens 1,7 Prozent erhöht werden. Berücksichtigt man die Kapazitäten von Handwerkern, müsste man sofort handeln, um eine kontinuierliche Arbeit zu gewährleisten. Ergänzend zu den bestehenden Förderprogrammen müsste die Regierung steuerliche Anreize setzen, die gerade bei privaten Haushalten effektiv wären und den Verwaltungsaufwand klein halten. Der BDI hat dazu mit anderen Verbänden einen Vorschlag gemacht, wonach Immobilienbesitzer 30 Prozent der Sanierungskosten über drei Jahre steuerlich abschreiben können sollten.“

Rolle warnte vor übereilten Entscheidungen: „Ob beispielsweise im Schwerlastverkehr wirklich eine Elektrifizierung der Autobahnen sinnvoll ist oder ob die Wasserstofftechnologie oder andere Power-to-X Technologien sich durchsetzen werden, sollten wir nicht heute entscheiden; es reicht aus, das Mitte der zwanziger Jahre mit anderem Wissen zu tun.“ Gleichzeitig setzt er auf den “ europäischen Emissionsrechtehandel. Er wird für die nächsten Jahre ehrgeiziger und zukunftsfähig gemacht, so dass wir dann jedes Jahr eine CO2-Reduktion von 2,2 Prozent erreichen werden. Für diese beiden Bereiche können wir so allein mit diesem Instrument bis 2050 etwa 87 Prozent Einsparung erreichen. In den Sektoren Gebäude und Verkehr muss man sich verständigen, welche Mischung aus Anreizen und Förderung geeignet wäre, die Reduktion von Emissionen zu verstärken. Ohne mehr politische Anstrengung werden die Investitionen jedenfalls nicht kommen. Technologieverbote wären auch hier kontraproduktiv.“

Bis 2050 etwa 26 Millionen E-Autos nötig

Auch im Verkehr sollten wir nicht vorschnell handeln: Die BDI-Experten haben laut Rolle gerechnet, dass für ein 80-Prozent-Reduktionsziel bis 2050 etwa 26 Millionen E-Fahrzeuge auf den Straßen sein müssten, dann aber würde der Energieverbrauch im Verkehrssektor immer noch mehrheitlich aus fossilen Quellen kommen. „Elektrifizierung wird ein Teil der Lösung sein, aber nicht die gesamte. Wir sollten technologieoffen bleiben und uns nicht unnötig einschränken. Wir werden grüne Technologien weiter entwickeln und benötigen, wie Power-to-Liquid oder Power-to-Gas. Grüne Treibstoffe werden wir brauchen, weil es wohl auch 2050 keine elektrisch betriebenen Großflugzeuge oder Containerschiffe mit Batterien über den Atlantik schaffen werden.“

Folgt: Zusammenfassung der Ergebnisse