Deutschland hat CO2-Budget aufgebraucht

Öko-Institut: Ab Pfingsten Schluss mit Kohlendioxid

Wenn Deutschland entsprechend seinem Anteil an der Weltbevölkerung dazu beitragen würde, die 1,5-Grad-Grenze aus dem Klimaschutzabkommen von Paris einzuhalten, dürfte rein rechnerisch ab Sonntag, den 20. Mai 2018 überhaupt kein CO2 mehr ausgestoßen werden. Das haben Charlotte Loreck und Lukas Emele im Blog des Öko-Instituts vorgerechnet.

Für die Begrenzung der Klimaerhitzung auf maximal 2 Grad gelte: Wenn die Emissionen hierzulande weiterhin so hoch blieben wie bisher, wäre der deutsche Anteil nach globaler Pro-Kopf-Verteilung im Jahr 2027 aufgebraucht.

CO2 – Montage © Gerhard Hofmann für Solarify

„Wie kommen wir auf diese Zahlen?“

Die Staatengemeinschaft hat sich 2015 in Paris dazu verpflichtet, den globalen Temperaturanstieg deutlich unter 2 Grad Celsius zu halten (verglichen mit dem vorindustriellen Niveau). Zusätzlich wollen die Staaten alle Anstrengungen unternehmen, um die Erderhitzung sogar auf 1,5° C zu begrenzen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen sie ihre zukünftigen globalen Treibhausgasemissionen stark senken. Insgesamt dürfen die Emissionen aus allen menschlichen Aktivitäten auf dem Planeten ein bestimmtes Emissionsbudget nicht überschreiten: ab Januar 2015 noch 890 Milliarden Tonnen CO2.

Zur Rechnung

Das Gesamtbudget aller klimaschädlichen Emissionen, die überhaupt noch ausgestoßen werden dürften, um die Zwei-Grad-Grenze nicht zu überschreiten, haben sowohl der Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change,  IPCC) festgelegt. Für die 1,5-Grad-Grenze sind es gar nur 240 Mrd. t CO2. Das wäre in sechs Jahren „erreicht“, wenn nichts geschieht und die Emissionen gleich bleiben, denn jährlich emittiert die Menschheit ca. 40 Milliarden Tonnen CO2.

Die Zahlen für das Budget des IPCC basieren auf Modellrechnungen, die einen Zusammenhang zwischen CO2-Emissionen, CO2-Konzentration in der Atmosphäre und daraus folgendem Temperaturanstieg abbilden. Mit welcher Temperaturerhöhung die Erdatmosphäre genau auf die steigenden CO2-Emissionen reagieren wird, ist unsicher. Wissenschaftliche Literatur gibt deshalb für das CO2-Budget eine Bandbreite an, die jedoch an den grundsätzlichen Botschaften (Knappheit der Budgets) nichts ändert. Eine weitere Unsicherheit besteht darüber, ob es in Zukunft möglich sein wird, bereits emittiertes CO2 wieder aus der Atmosphäre zurückzuholen, sogenannte negative CO2-Emissionen. In unserer Rechnung verzichten die Öko-Blog-Autoren auf „diese derzeit nur hypothetische Option“.

Wenn man daher die globalen CO2-Budgets des IPCC als Startpunkt zugrunde lege, stelle sich im nächsten Schritt die Frage, wie dieses Budget auf einzelne Staaten verteilt werden sollte. Die Industriestaaten hätten seit Beginn der Industrialisierung den größten Teil der CO2-Emissionen verursacht. Würde man das bei der Verteilung berücksichtigen, stünde den Industriestaaten heute gar kein Emissionsbudget mehr zu.

In ihrem Ansatz legen Loreck und Emele das Jahr des Pariser Abkommens (2015) als Startpunkt für die Verteilung des Restbudgets fest.  Dieses Budget  verteilen sie auf alle Staaten entsprechend ihrem jeweiligen Anteil an der Weltbevölkerung unter gleichzeitiger Berücksichtigung der historischen Verantwortung der Industriestaaten, etwa als Grundlage für Kompensationszahlungen und Wissenstransfer.

Rechne man mit diesem Ansatz aus den globalen Budgets einen Anteil  für Deutschland aus, so dürfe Deutschland ab 2015 für die Einhaltung der Zwei-Grad-Grenze insgesamt noch  knapp 10 Milliarden Tonnen CO2  emittieren. (Seit 2015 sind die CO2-Emissionen Deutschlands unverändert auf gleich hohem Niveau geblieben.) Jährlich werden in Deutschland etwa 0,8 Milliarden Tonnen CO2 ausgestoßen, das sind im Durchschnitt über zwei Millionen Tonnen CO2 am Tag. Wenn die CO2-Emissionen weiterhin so hoch blieben, wäre der deutsche Anteil am 2-Grad-kompatiblen Budget bereits 2027 aufgebraucht.

Für die 1,5-Grad-Grenze – wie im Paris-Abkommen angestrebt – beträgt der deutsche Anteil am globalen Budget sogar nur 2,7 Mrd. t CO2. Zählt man die Emissionen zwischen 01.01.2015 und dem 20.05.2018 zusammen, hat Deutschland seinen kompletten Anteil am 1,5-Grad-kompatiblen Budget nun  am Pfingstsonntag aufgebraucht  – also 2,7 Mrd. t CO2. Das bedeutet: ab jetzt emittiert Deutschland auf Kosten anderer, die umso mehr einsparen müssten, damit man global die 1,5-Grad-Grenze noch einhalten kann.

„Das ist alarmierend! Aber…“

Eigentlich wäre es gerade für Deutschland möglich, die CO2-Emissionen schnell zu senken. So könnte Deutschland diese ungerechte globale Verteilung wenigstens minimieren und außerdem seinen Beitrag für die Zwei-Grad-Grenze leisten. Dabei kann vor allem der schnelle Kohleausstieg helfen. Mit dem planvollen Abschalten der dreckigsten Kraftwerke könnten die Emissionen schon bis 2020 deutlich zurückgehen. Wie das gehen kann, haben die Autoren in der Studie „Zukunft Stromsystem. Kohleausstieg 2035 – Vom Ziel her denken“  gezeigt. So könnte das kostbare Budget noch etwas weiter in die Zukunft gestreckt werden. Für die Regionen mit Braunkohletagebauen biete ein solcher Pfad eine Planungsgrundlage, um die Veränderungsprozesse vorausschauend zu gestalten – die Alternative seien entweder das Verfehlen der Klimaschutzziele oder ein sehr viel abrupteres Ende der Kohleförderung in naher Zukunft. Aber auch in den anderen Sektoren wie Verkehr und Gebäude müssten die Weichen schnell gestellt werden, gerade weil Maßnahmen wie Gebäudesanierung und die Umstellung auf ein klimaverträgliches Verkehrssystem Zeit bräuchten.

Die globale Mitteltemperatur wird sich langfristig nur dann auf neuem Niveau stabilisieren, wenn die menschengemachten Treibhausgasemissionen auf nahezu Null sinken, also alle menschlichen Aktivitäten dekarbonisiert (das heißt CO2-emissionsfrei), bzw. defossilisiert werden. Die Autoren: „Auf welchem Temperaturniveau wir landen werden, hängt davon ab, was wir jetzt tun oder nicht tun. Die Entscheidung gegen einen schnellen Emissionsreduktionspfad bedeutet, mit den Folgen einer noch wärmeren Welt konfrontiert zu sein. Wer sagt, es sei unmöglich, die CO2-Emissionen schnell zu reduzieren, muss dann auch auf die Frage Antworten geben, wie wir mit einer Drei-, Vier- oder Fünf-Grad-Welt umgehen können. Wir haben die Wahl: Statt auf die Folgen der Erderhitzung nur noch reagieren zu können, behalten wir mit einer raschen Dekarbonisierung die Gestaltungsmöglichkeiten in unserer Hand.“

[note Das Internet-Portal Zukunft ERDGAS hat bereits am 28.März den CO2-Tag ausgerufen (siehe Kolumne „Anfang ohne Zauber“!) – „in diesem Jahr eine Woche früher als 2017“. Das sei der Tag, „an dem das deutsche CO2-Budget für das gesamte Jahr verbraucht ist“. Im Vorjahr habe das Budget noch eine Woche länger gereicht. Dass Deutschland das CO2-Limit neun Monate zu früh erreiche, zeige, dass die Klimapolitik „dringend angepasst werden“ müsse.]

Die nächste große Weltklimakonferenz findet im Dezember im polnischen Kattowitz statt. Sie soll einheitliche Standards dafür festlegen, wie einzelne Länder ihren CO2-Ausstoß messen und angeben. Das 1977 gegründete Öko-Institut ist ein gemeinnütziger Verein, es finanziert seine Arbeit in erster Linie über Drittmittel für Projekte.

->Quellen: