EE-Einspeisevorrang wackelt

Baerbock: „Das geht gar nicht“

„Einspeisevorrang für Erneuerbare auf der Kippe“ titelte Sandra Enkhardt am 25.05.2018 im Portal pv magazine. Das Bundeswirtschaftsministerium erwäge laut Medienberichten, den so genannten Einspeisevorrang für Erneuerbare Energien ins Stromnetz zu beschneiden. Eine vom BMWi beauftragte Studie der Beratungsunternehmen Ecofys, Consentec und BBH kommt offenbar zu dem Schluss, den Einspeisevorrang zu relativieren.

Bio- und Windenergie in Mittelfranken – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Die im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) festgeschriebene Vorrangregelung besagt, dass Strom aus Wind-, Sonnen- und Wasserkraft Vorfahrt vor konventionell erzeugtem Strom aus Kohle und Atom hat. Der Studie zufolge sollten Ökostromanlagen in das Management von Netzengpässen eingebunden werden. Die Kosten solcher Maßnahmen ließen sich so deutlich reduzieren. Weil die Emissionen des deutschen Kraftwerkparks nur um rund ein Prozent steigen würden, verschlechtere das die deutsche CO2-Bilanz würde das nur unwesentlich.

Im BMWi ist man für die Vorschläge der Wissenschaftler offenbar aufgeschlossen, so der SPIEGEL, der aus der Studie zitiert. Das Ressort von Peter Altmaier (CDU) könnte noch im laufenden Jahr einen Gesetzentwurf zur Relativierung des Einspeisevorrangs vorlegen, heißt es in Berlin.

Reuters meldete dagegen, die Bundesregierung wolle den Vorrang für Strom aus Erneuerbaren Energien bei der Einspeisung ins Leitungsnetz nicht abschaffen. Das Ministerium dementierte per Twitter. Zudem erklärte ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums am 25.05.2018 in Berlin, das sei keinesfalls geplant. Hintergrund ist eine Studie im Auftrag des Ministeriums, in der Möglichkeiten untersucht werden, die Überlastung der Netze in zu mindern. Ob und wie die Ergebnisse der  umstrittenen Studie in einen Gesetzentwurf mündeten, sei offen, sagte der Sprecher.

Sollte die Bundesregierung die Empfehlungen umsetzen, wäre das absurd, twitterte die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock: „Das geht gar nicht: Kohlestrom verstopft die Netze, Atomstrom darf obendrein in Netzengpassgebiete übertragen werden – und erwägt nun den Grundpfeiler der Energiewende, den Einspeisevorrang für Erneuerbare, zu kippen.“ Ohne ihn lasse sich nicht das Ziel erreichen, den Anteil der Erneuerbaren bis 2030 auf 65 Prozent auszubauen.

Reaktionen – Greenpeace Energy: „Echte Energiewende geht nur, wenn Ökostrom auch weiterhin Vorfahrt im Netz hat“

Bei Verbänden und Organisationen im Erneuerbaren-Bereich kommen die Vorschläge dagegen verständlicherweise gar nicht gut an. Marcel Keiffenheim von Greenpeace Energy dazu: „Den Einspeisevorrang zu beschneiden wäre für die Energiewende katastrophal und Deutschland würde seine Klimaziele noch deutlicher verfehlen. Selbst eine einprozentige Erhöhung des CO2-Ausstoßes, den die Experten der Bundesregierung als mögliche Folge annehmen, können wir uns nicht leisten – und wahrscheinlich dürfte dieser Wert deutlich höher ausfallen. Auch entsteht ein Schaden für den Ökostromsektor. Der Vorrang für Erneuerbare Energien ist das einzige rechtliche Element, das sauberen Strom im Netz besser stellt als schmutzigen Strom aus konventionellen Kraftwerken. Schafft die Bundesregierung diese Gewissheit der Energiewende ab, scheinen auch weitere Einschnitte möglich. Damit wäre die Planungssicherheit für Investoren massiv beschädigt und der Erfolg der Energiewende gefährdet. Die Energiewende wird nur dann zu einem Erfolg für den Schutz des Klimas, wenn Ökostrom im Stromsystem konsequent Vorfahrt hat. Anders als Solar- und Windenergie haben Kohle- und Atomstrom milliardenschwere verdeckte Folgekosten, vor denen sich die Stromkonzerne drücken. Die Bundesregierung kann die Erneuerbaren nicht gleichberechtigt neben konventionellen Strom stellen, wenn Kohle- und Atomkonzerne riesige Kostenblöcke an die Steuerzahler weiterreichen. Sauberer Ökostrom muss auch künftig Vorfahrt genießen.“

„Der Einspeisevorrang für Erneuerbare Energien muss erhalten bleiben“, erklärte Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energien (BEE) auf Nachfrage von pv magazine. „Es ist gut, dass die Bundesregierung darauf auch selbst bereits hingewiesen hat und den Vorrang erhalten will. Es wäre noch besser, wenn die Bundesregierung sich mit Nachdruck dafür einsetzen würde, dass die geltende Vorrangregelung Erneuerbarer Energien in der täglichen Praxis auch umgesetzt wird“, so Peter weiter. Sie weist darauf hin, dass gegenwärtig bei Netzengpässen trotz Einspeisevorrangs nach wie vor viele Erneuerbaren-Anlagen abgeregelt würden, während Kohle- und Atomkraftwerke weiterliefen. Der Verband fürchtet bei der Einbindung der Anlagen in den Redispatch zahlreiche Auswirkungen. „Der BEE wird die Studie in den nächsten Tagen umfassend prüfen und eigene Vorschläge erarbeiten“, kündigte Peter an.

Auch Thorben Becker, Energieexperte beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) verlangt von der Politik den Einspeisevorrang nicht in Frage zu stellen. „Kohle und Atom müssen Platz für die Erneuerbaren machen – nicht andersherum! Wichtig ist, dass Deutschland möglichst schnell die gefährlichen Atomkraftwerke und die klimaschädlichen Kohlekraftwerke stilllegt, unter anderem auch deshalb, um Platz in den Leitungen für den Strom aus Erneuerbaren Energien zu machen“, so seine Forderung. Auch er verweist auf die Abregelung der Erneuerbaren-Anlagen in der Praxis. „Dieses Vorgehen muss dringend beendet werden“, so Becker.

Zu den Überlegungen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, den Einspeisevorrang für Erneuerbare Energien im Falle von Netzengpässen einzuschränken (siehe Bericht auf Spiegel Online vom 25.05.2018), erklärt die SPD-Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Vorsitzende des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung Nina Scheer, Mitglied im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit sowie im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz:

„Wer den Einspeisevorrang für Erneuerbare Energien aufgibt, öffnet damit zwangsläufig die Netze für die prioritäre Verwendung von Kohle- und Atomstrom. Dies würde die Ziele des Koalitionsvertrages und die internationalen Klimaverpflichtungen Deutschlands in Frage stellen. Ein solcher Schritt wäre der falsche Weg und eine fatale Fehlentscheidung in Bezug auf die Fortführung der Energiewende“, so Scheer.

Die Bundesregierung habe sich im Koalitionsvertrag vorgenommen, den Anteil der Erneuerbaren Energien bis 2030 auf etwa 65 Prozent zu erhöhen. Zudem solle die Kopplung der Sektoren Wärme, Mobilität und Elektrizität in Verbindung mit Speichertechnologien vorangebracht und dafür die Rahmenverbindungen angepasst werden.

Scheer: „Ein ‚zielstrebiger, effizienter, netzsynchroner und zunehmend marktorientierter Ausbau der Erneuerbaren Energien‘, wie er im Koalitionsvertrag angestrebt wird, bedeutet, dass die Politik aufgerufen ist, Mittel und Wege zu schaffen, dezentrale Nutzung Erneuerbarer Energien unter Einbindung von Speicheroptionen zu ermöglichen. Wenn Netzengpässe den Abtransport von Strom erschweren, sollte der Strom vor Ort genutzt werden, etwa für den Verkehrssektor oder die Wärme- und Kälteerzeugung. Speichertechnologien sowie die Umwandlung von regenerativ gewonnener Elektrizität in Wasserstoff sind technologische Optionen, die uns bereits heute zur Verfügung stehen. Anstelle der klimapolitisch unsinnigen Abregelung von Erneuerbaren Energien und einer hiermit einhergehenden faktischen Vorrangstellung für fossilen und atomaren Strom, müssen netzentlastende Speichertechnologien und die Sektorkopplung vorangebracht werden.

Die einseitige Priorisierung des Netzausbaus und das Festhalten an der Ideologie der sogenannten Kupferplatte, wonach Stromnetze als zentrale Flexibilitätsoption zum Ausgleich von Schwankungen bei Erzeugung und Verbrauch von Strom betrachtet werden, behindert eine erfolgreiche Fortführung der Energiewende und Klimaschutzpolitik.“

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