Kohleausstieg: „Da lügt man sich in die Tasche“

EURACTIV: Braunkohleabhängige Regionen nachhaltig transformieren

Deutschland tut sich schwer mit dem Ausstieg aus der Braunkohle, einen wirklichen Masterplan gibt es noch nicht. Dabei steht viel auf dem Spiel – 20.000 Arbeitsplätze und nicht zuletzt die Klimaziele. Ein gemeinsames deutsch-tschechisches Projekt der Heinrich Böll Stiftung Prag, von Glopolis und der Deutschen Umwelthilfe (DUH) hat sich nun über nachhaltige Strategien für Braunkohleregionen ausgetauscht. Florence Schulz beschreibt es auf EURACTIV.de.

Europäische Braunkohleregionen im Wandel – Titel Heinrich Böll Stiftung; DUH; E3G; Glopolis;

Als Ergebnis fordern Heinrich-Böll-Stiftung und Deutsche Umwelthilfe in einer Medienmitteilung der letzteren klar definierte Ausstiegsszenarien, Planungssicherheit für die betroffenen Regionen sowie die Teilhabe unterschiedlicher Akteurinnen und Akteure, um einen erfolgreichen Strukturwandel gemeinsam gestalten zu können. Am 16.05.2018 haben Böll-Stiftung und DUH gemeinsam mit den Think Tanks E3G und Glopolis den Bericht „Europäische Braunkohleregionen im Wandel: Herausforderungen in Deutschland und Tschechien“ in Berlin vorgestellt.
Die Studie analysiert den Strukturwandel in deutschen und tschechischen Braunkohlerevieren und formuliert Politikempfehlungen für eine wirtschaftlich nachhaltige und sozial gerechte Entwicklung in diesen Regionen. Von zentraler Bedeutung für die betroffenen Regionen sind demnach klar definierte Ausstiegsszenarien, eine frühe Planung von alternativen Strategien, politische Kohärenz und Verbindlichkeit zwischen nationalen und regionalen Regierungsebenen sowie eine umfassendere Beteiligung der Zivilgesellschaft und Sozialpartner auf allen Ebenen.
Die Empfehlungen basieren auf einem fast zweijährigen Dialog einer vertraulich tagenden, deutsch-tschechischen Expertengruppe, deren Mitglieder über umfangreiche Erfahrungen in den Regierungen, der öffentlichen Verwaltung, der Energiewirtschaft, den Gewerkschaften, der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft verfügen.

Deutschland muss weg von der Braunkohle, der emmissions-intensivsten Energiequelle. 2015 gingen noch 18% der deutschen Kohlendioxid-Emissionen auf die Stromproduktion mit Braunkohle zurück. Außerdem ist der Rohstoff irgendwann verbraucht, spätestens dann sind in Deutschland knapp 20.000 Jobs direkt und ein Vielfaches davon indirekt betroffen. „Wir steuern sehenden Auges auf eine Katastrophe zu wenn wir so weiter machen. Klimatechnisch, wirtschaftlich und sozial,“ sagt Sabrina Schulz vom energiepolitischen Think Tank E3G. „Die Braunkohle stirbt aus“.

Schulz hat das  deutsch-tschechische Projekt zum Strukturwandel in Braunkohleregionen koordiniert. Zwei Jahre lang tauschten sich Experten auf beiden Seiten der Grenze zusammen aus und lernten voneinander. Im Mittelpunkt stand dabei einmal nicht der Klimaschutz, sondern die Frage, wie braunkohleabhängige Regionen nachhaltig transformiert werden können, wenn es mit der Kohle zu Ende geht.

Strukturwandel muss heißen: neue Industrie anlocken, Infrastruktur geschickt nutzen

Wie lange Deutschland noch Strom aus Braunkohle produzieren wird, ist umstritten. „Sicherlich noch viele Jahre“ verkündete Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) letzten Monat. Rund 23 Prozent des deutschen Stroms stammen aus der Braunkohle. Damit werden die deutschen Klimaziele 2020 nicht erreicht und auch die EU Ziele für 2030 rücken in immer weitere Ferne. Einen konkreten Plan zum Kohleausstieg gibt es in Deutschland bisher noch nicht, eine „Kohlekommission“ soll dieses Jahr beginnen, Optionen für den Ausstieg zu verhandeln.

„Der Ausstieg kann für eine Region nur nachhaltig ablaufen, wenn ihre Wirtschaft diversifiziert wird. Industrie muss sich in diesen Gebieten niederlassen, um Arbeitsplätze außerhalb der Kohle zu schaffen. Aber fahren Sie mal im Zug durch die Lausitz. Da gibt es oft nicht mal Handyempfang. Wer will denn da schon investieren?“ meint Schulz. Das deutsche-tschechische Expertenpanel ihrer Studie kommt zum Schluss, dass vor allem Infrastruktur ausgebaut werden muss. Schulen, Krankenhäuser, eine gute Bahnanbindung, diese Dinge sind Voraussetzung für Unternehmen, sich dort niederzulassen. Entscheidend sind auch Umschulungsangebote für Arbeitnehmer der Kohleindustrie.

„Man sollte vor allem die schon vorhandene Infrastruktur nutzen. In der Lausitz ließen sich bei den Tagebauten ganz wunderbar Windparks bauen, um die herum könnte dann ein industrieller Kern entstehen“, so Schulz. Wichtig ist dabei auch die Rekultivierung des Landes, um es wieder bewohnbar und nutzbar zu machen. In diesem Punkt brachte der deutsch-tschechische Austausch interessante Erkenntnise: während Deutschland hervorragende Rekultivierungsabeit leistet, existiert in Tschechien, wo es mit der Rekultivierung nicht so weit her ist, wiederrum ein speieller Fonds, in den Kohleunternehmen direkt für die Rekultivierung einzahlen.

Eine politische Frage, ob man die Lausitz leben oder sterben lässt

Ganz so einfach ist es natürlich nicht mit dem Kohleausstieg. Die nötigen Investitionen würden Bund und Länder viel Geld kosten. Der Koalitionsvertrag sieht immerhin 1,5 Milliarden Euro zur Unterstützung der Braunkohlereviere vor, aber ausreichen wird das nicht. Erst im März hatte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) mindestes 1,2 Milliarden Euro vom Bund gefordert, um sein Land bis 2024 beim Struktuwandel zu unterstützen. Außerdem ist die Kohlelobby stark vertreten, in Mittelosteuropa gehören viele Kohlekraftwerke und Tagebauten sogar direkt der Regierung.

Bisher sichert der Kohlesektor viele tausend gut bezahlte Arbeitsplätze. Politisch ist es dementsprechend riskant, diese mit  teuren, langfristigen Investitionen abbauen zu wollen. Denn hier lauert die Chance für populistische Parteien, die aus der Angst der Bevölkerung zehren.  Bei seiner Antrittsrede im Bundestag zeigte sich Wirtschaftsminister Altmaier entsprechend zögerlich: „Die Energiewende wird nur gelingen, wenn sie nicht koste-es-was-es-wolle gelingt. Sie wird gelingen, wenn wir dazu beitragen, dass die Erzeugung und der Verkauf erneuerbarer Energien zu einem Geschäftsmodell werden.“

„Da lügt man sich was in die Tasche“ sagt Sabrina Schulz zur Einstellung der Bundesregierung. Zwar könnten einzelne Regionen vieles tun um die eigene Entwicklung nachhaltig zu gestalten. Auch Bürgerbeteiligung sei dabei enorm wichtig. „Regionen können aber keine Energiepolitik machen. Letzten Endes braucht es Investitionen des Bundes, um Planungssicherheit für die Regionen zu schaffen. Es ist eine politische Frage, ob man die Lausitz leben oder sterben lässt“.

Ganz alleine steht  die Bundesregierung nicht bei der Bewältigung des Braunkohleausstiegs. Die EU sieht in ihrem neuen Mehrjährigen Finanzrahmen vor, 25 Prozent ihres Gesamtbudgets für Klimaschutz aufzuwenden. Die EU kann sich zwar nicht in den Energiemix der Mitgliedstaten einmischen, doch über ihre Strukturfonds, die im nächsten Haushalt unter anderem an Klimaziele geknüpft werden sollen, lassen sich einzelne Projekte fördern. „Der neue EU Haushalt ist eine Riesenchance für den Kohleausstieg“, so Sabrina Schulz. „Aber es muss dabei um die allgemeinen Prinzipien gehen, nicht  um Volumen oder Summen oder einzelne Leuchtturmprojekte“.

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