„Energy Efficiency First“

Nur ein Pyrrhussieg für die Energiewende
von Peter Hennicke und Stefan Thomas, Wuppertal Institut

In allen bisherigen und nun erneut im aktuellen 6. Bericht der Expertenkommission zum Monitoring-Prozess der Bundesregierung „Energie der Zukunft“ (Juni 2018) „…wurden die zu geringen Fortschritte der Energieeffizienz regelmäßig beklagt“. Sind die Experten blind? Ignorieren sie den weltweiten Paradigmenwechsel für mehr Energieeffizienz?

Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Denn als deus ex machina in Szenarien und Strategien der internationalen Klimaschutzpolitik erscheint nun überall die Formel „Energy Effciency First“. Von der IEA (Paris) über die EU bis zur Bundesregierung verbreitet sich die faszinierende Botschaft, dass etwa 50% der CO2-Emissionsminderungen bis 2030 durch Energieeffizienz erreicht werden können. Na endlich, möchte man rufen!

Nach Jahrzehnten des Tiefschlafs schien „der schlafende Riese Energieeffizienz“ (so der ehemalige Wirtschaftsminister Gabriel) zu erwachen. Hatten nicht die Altvorderen der Energieeffizienz wie etwa Amory Lovins („der Effizienzvisionär“) oder Wolfgang Feist (der „Passivhaus-Papst“) und Vereinigungen wie ACEEE (American Council for an Energy-Efficient Economy), ECEEE (European Council for an Energy-Efficient Economy) oder die DENEFF (Deutsche Unternehmensinitiative Energieeffizienz) und auch das Wuppertal Institut seit Jahrzehnten immer wieder Analysen über riesige Potenziale und ökonomische Vorteile der Energieeffizienz vorgelegt? Zeigen nicht nationale wie internationale Klimaschutzszenarien, dass eine vollständige Dekarbonisierung und ein 100% erneuerbares Energiesystem erst möglich und finanzierbar werden, wenn der Energieeffizienz tatsächlich höchste Priorität eingeräumt wird? Zweifellos ist es ein Sieg kühner Köpfe, unbestechlicher Wissenschaft, von Engagement gegen Monopolmacht und von unternehmerischer Hartnäckigkeit, dass das Prinzip „Energy Efficiency First“ heute zumindest rhetorisch beim Mainstream angelangt ist. Aber dies könnte sich als Pyrrhussieg herausstellen, wenn weiterhin „zu geringe Fortschritte regelmäßig zu beklagen“ sind.

Effizienztechniken zu entwickeln sowie umfangreiche Effizienzpotenziale und attraktive Nutzen/Kosten-Relationen in allen Sektoren aufzuzeigen ist weiter notwendig.

Deutschland könnte sein Ziel, den Primärenergieverbrauch bis 2050 zu halbieren, schon zehn Jahre früher erreichen, wenn bei jedem Neubau von Gebäuden, Anlagen, Fahrzeugen und Elektrogeräten, bei jeder Renovierung immer die energieeffizienteste Lösung gewählt würde. Und das wäre in den meisten Fällen wirtschaftlich. Aber diese Potenziale nicht nur in Deutschland, sondern weltweit umzusetzen ist ungleich schwieriger.

Die EU hat gerade ihr (indikatives) Effizienzziel für 2030 auf 32,5% angehoben. Gut so!

Aber das Europäische Parlament wollte 40% (verbindlich) und die Bundesregierung bremste mit 30%. Und das obwohl nicht nur Verbraucherinnen und Verbraucher und die Volkswirtschaft insgesamt im Saldo einen Gewinn von dem höheren Ziel hätten, sondern sogar die öffentlichen Haushalte in der EU im Jahr 2030 um bis zu 80 Mrd. Euro entlastet würden, in Deutschland um 13 Mrd. Euro (https://combi-project.eu/charts/).

Der Streit um Ziele verkommt immer wieder zur Symbolpolitik, wenn die Wege und das Monitoring der Prozesse zum Ziel nicht glasklar – d.h. durch ein Effizienz- bzw. Klimaschutzgesetz – mitbeschlossen werden.

Denn Fakt ist: Die Gründe für eine veritable Effizienzrevolution werden immer überzeugender und die Energiesparziele (z.B. der EU) immer ambitionierter, aber die Umsetzungslücke wird nicht kleiner. Woran liegt das?

Auf Politiker, Wirtschaft und Zivilgesellschaft wirken die Verheißungen der Energieeffizienz wie eine kollektive Beruhigungstherapie.

Folgt: „Ambitionskultur der Umsetzung“ fehlt