Michael Müller über Atomendlagersuche
Die sichere Lagerung radioaktiver Abfälle – wenn es sie denn überhaupt gibt – gehört zu den großen ungelösten Aufgaben unserer Zeit. Nach den Konflikten der vergangenen Jahrzehnte hat die von Bundesrat und Bundestag eingesetzte Endlagerkommission Kriterien für die sichere und nachhaltige Lagerung hochradioaktiver Abfälle erarbeitet und am 19.07.2016 veröffentlicht. Diese diskutiert Michael Müller in einer neuen WISO-Veröffentlichung von unter dem Titel „Das schwere Erbe der Atomenergie: Zur ungelösten Frage der sicheren Lagerung radioaktiver Abfälle“.
Die Empfehlungen zielen nicht nur auf mehr Sicherheit, sondern versprechen auch mehr Transparenz und mehr Mitsprache. Die Suche nach einem geeigneten Standort geht allerdings von einer „weißen Landkarte“ aus, womit auch Gorleben weiterhin zu den möglichen Kandidaten zählt. Damit könnten weitere Konflikte programmiert sein.
Weiter geht die Publikation Müllers am Beispiel der Atomenergie der Frage nach, wie die Entwicklung und der Einsatz neuer Technologien sozial und ökologisch verträglich gestaltet werden können: Was ist Fortschritt? Inwieweit müssen die technologischen Neuerungen von der gesamten Gesellschaft legitimiert werden? Welche Rolle spielt Reversibilität im Zuge technologischer Innovation?
„Unsere heutigen Handlungen beeinflussen die Lebensbedingungen zukünftiger Generationen. Deshalb gilt es, Technologie und deren Einsatz als endogenen, sozial bestimmten Prozess zu sehen, in welchem langfristige gesamtgesellschaftliche Risiken mit einfließen müssen. Das verengte technisch-ökonomische Paradigma des linearen Fortschritts muss abgelegt und durch eine nachhaltige Zukunftsethik ersetzt werden. Diesem Leitgedanken dürfte der Vorschlag der Endlagerkommission folgen, das Verursacherprinzip bei der Lagerung hochradioaktiver Abfälle in den Vordergrund zu stellen. Fortschritt sollte smart, sozial, aber vor allem ökologisch nachhaltig sein.“
[note In seiner Einführung „Das Letzte Kapitel Der Atomenergie“ schreibt der SPD-Bundestagsabgeordnete Matthias Miersch: „Im Bericht heißt es: Die Folgewirkungen der Atomenergie sind kein singuläres Problem, sondern stehen, wenn auch besonders zugespitzt, für den Einsatz komplexer industrieller Technologien. Der Sozialwissenschaftler Ulrich Beck bewertete in seinem Buch ‚Risikogesellschaft: Auf dem Weg in eine andere Moderne‘ (Beck 1996) insbesondere die Atomenergie als beispielhaft für den Konflikt der zwei Modernen: die erste oder einfache Moderne, die auf dem Prinzip von Versuch und Irrtum in der Nutzung von Technik aufbaut, gegen die zweite oder reflexive Moderne, die denkbare Folgen von Anfang an einbezieht, um später unvertretbare Gefahren zu verhindern. Das trifft nicht nur auf die Atomenergie zu.
Meine Schlussfolgerung heißt: Wir kommen an der Erkenntnis nicht vorbei, dass das Prinzip von Versuch und Irrtum, das die bisherige Geschichte des technischen Fortschritts geprägt hat, bei der Atomenergie nicht zu halten ist. Sie stellt zentrale Annahmen der modernen Wachstums- und Steigerungsprogrammatik infrage. Unser Verständnis von Fortschritt muss neu bestimmt werden. Bei der Atomenergie geht es dehalb nicht nur um die Kritik an den gemachten Fehlern, sondern auch um die Konsequenzen, die wir generell daraus für die Idee des technischen Fortschritts zu ziehen haben. Diese Verantwortung betrifft uns alle, auch die, die sich seit vielen Jahren gegen den Atomausstieg engagieren, denn bei der schwierigen Aufgabe, eine sichere Lagerung für den Atommüll zu finden, ist der kritische Geist unverzichtbar.]
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