„Die Natur macht es uns vor“

thyssenkrupp-CTO im Solarify-Selbstgespräch

Dr. Ing. Reinhold Achatz, CTO bei thyssenkrupp – Head of Corporate Function Technology, Innovation & Sustainability – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Reinhold Achatz, seit 2013 CTO bei thyssenkrupp – Head of Corporate Function Technology, Innovation & Sustainability, und in dieser Funktion zuständig für das innovative Projekt Carbon2Chem (s. solarify.eu/co2-als-rohstoff-carbon2chem), in dem 18 Partner aus Politik, Industrie und Wissenschaft bereits erfolgreich erproben, wie aus Hüttengasen Chemieprodukte oder Treibstoffe gewonnen werden können. Nachhaltigkeit und Technologie müssten einander unterstützen, so Achatz. Die Natur mache es uns vor: Hier habe über Millionen Jahre ein Gleichgewicht zwischen CO2-Emission und CO2-Verbrauch bestanden. Der Mensch habe dann aber fossile Energieträger in kurzer Zeit viel schneller genutzt, als sie in der Erdgeschichte aufgebaut worden seien. Damit sei das System des Kohlenstoffkreislaufes nicht mehr stabil.  Achatz schließt daraus: „Wir müssen genau so viel CO2 stofflich nutzen und damit der Atmosphäre entziehen, wie wir in die Atmosphäre abgeben.“ Dazu gehöre „Carbon Capture and Utilization“ (CCU).

…also, wenn Sie mich fragen, wie es zusammen passt, als CTO von thyssenkrupp neben Technologie auch für Nachhaltigkeit zuständig zu sein…:

…Nachhaltigkeit und Technologie unterstützen einander: Ohne Technologie ist Nachhaltigkeit heute nicht mehr umsetzbar und ohne den Gedanken an Nachhaltigkeit sollte künftig keine Innovation mehr vorangetrieben werden.

Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang das Klimaabkommen von Paris (COP21) und die COP24 in Katowice?

Im Klimaabkommen von Paris wurde zum ersten Mal in der Geschichte der Klimadiskussionen die Treibhausgasneutralität für die zweite Hälfte des Jahrhunderts festgeschrieben. Im Gegensatz zur Diskussion über Dekarbonisierung haben wir damit ein realistisch umsetzbares langfristiges Ziel. In Katowice soll jetzt ein Regelwerk definiert werden, wie die Fortschritte vergleichbar gemessen werden können. Hier ist es für die Industrie wichtig, dass auch „Carbon Capture and Utilization“ (CCU) angemessen berücksichtigt wird.

CCU ist ein Schritt in Richtung Kreislaufwirtschaft. Was bedeutet das?

Die Natur macht es uns vor. Hier hat sich über viele Millionen Jahre ein Gleichgewicht zwischen CO2-Emission und CO2-Verbrauch eingestellt. Nur der Mensch hat in den letzten Jahrzehnten fossile Energieträger, wie Öl, Gas und Kohle in kurzer Zeit viel schneller genutzt, als diese in der Erdgeschichte aufgebaut wurden. Damit ist das System des Kohlenstoffkreislaufes nicht mehr stabil! Daraus ziehe ich den ganz einfachen Schluss: Wir müssen genau so viel CO2 stofflich nutzen und damit der Atmosphäre entziehen, wie wir in die Atmosphäre abgeben.

Das hört sich zwar einfach an – ist es das denn auch?

Die Basistechnologien dafür sind im Prinzip seit Langem bekannt. Die Optimierung der Prozesse und das Scale-up und damit Wirtschaftlichkeit in der Umsetzung ist bisher das Problem. Erfahrungsgemäß setzen sich nur Technologien durch, die langfristig wirtschaftlich nutzbar sind. Subventionen dürfen nur für die Entwicklung und evtl. für eine relativ kurze Übergangszeit zur Überwindung der Einstiegshürde notwendig sein. In vielen Branchen ist das Thema Effizienzsteigerung, das immer der erste Schritt sein sollte, schon weit vorangetrieben. Um eine weitere Optimierung zu erreichen, muss man über die klassischen Systemgrenzen hinausdenken und ein neues System definieren. Genau dies haben wir bei der Definition  des Projekts Carbon2Chem getan, die Branchen Stahl, Chemie und Energie werden gemeinsam betrachtet. Die Idee von Carbon2Chem ist es, aus den Hüttengasen wertvolle chemische Basisstoffe zu erzeugen. Dazu brauchen wir „grünen“ Wasserstoff, also Wasserstoff der mit Strom aus erneuerbaren Quellen erzeugt wurde.

Wie weit ist das  Projekt Carbon2Chem bisher vorangekommen?

Das Projekt war in drei Phasen geplant: die Vorarbeit in einer Labor-Phase, die Erprobung in einem Technikum und das Scale-up für eine große Anlage. Derzeit arbeiten wir im Technikum in Duisburg an der Verifizierung der Erkenntnisse der Labor-Phase über längere Zeiträume und verschiedene Betriebszustände der Hütte. Seit September erzeugen wir hier Methanol, noch im Dezember ist die Produktion von Ammoniak geplant.

Wozu nutzen wir diese chemischen Basisstoffe später – und wie sieht es mit der Wirkung auf die CO2-Emission aus?

Wir können damit je nach Bedarf und Randbedingungen künstliche Treibstoffe, Polymere oder Düngemittel erzeugen. Im Prinzip also alle Möglichkeiten der Kohlenstoffchemie adressieren.

Wie schon gesagt, man muss beim CO2-Ausstoß  in Systemen denken. Zum Beispiel in einem System aus Stahlproduktion, der Nutzung der dabei entstehenden Hüttengase für eine Methanol-Produktion und „grünem Wasserstoff“ können ca. zwei Drittel des bei getrennter Betrachtung anfallenden CO2 eingespart werden. Schon heute sind dafür wirtschaftliche Konstellationen rechenbar.

Ist diese Technologie nur in der im Projekt definierten Konstellation anwendbar?

Nein, im Projekt Carbon2Chem werden Technologiemodule entwickelt. Im Prinzip benötigen wir nur eine zuverlässige Kohlenstoffquelle und „grünen“ Wasserstoff. Auf der Basis der örtlichen Konstellation und der Marktbedürfnisse, können wir dann ein Projekt definieren. Ein schönes Beispiel ist die Zementproduktion. In Verbindung mit dem Oxyfuel-Verfahren, also dem Einblasen von Sauerstoff in den Drehrohrofen, kann mit Carbon2Chem-Technologien das im Prozess entstehende reine CO2 zu Basischemikalien weiterverarbeitet werden. Praktisch ist dabei, dass bei der Wasserelektrolyse sowohl der nötige Sauerstoff als auch Wasserstoff erzeugt werden.

Gibt es in diesem Zusammenhang auch allgemein verwendbare Technologien?

Im Rahmen der Tests in der Technikums-Anlage in Duisburg haben wir zum Beispiel erfolgreich unsere Wasserstoffelektrolyse auf die Verträglichkeit auf den Betrieb mit volatilem erneuerbar erzeugtem Strom  getestet. Damit hat diese nicht nur bewiesen, dass Sie eine wertvolle Wasserstoffquelle für die Nutzung im Umfeld Carbon2Chem ist, sondern ist auch für die generelle Nutzung mit erneuerbar erzeugtem volatilem Strom.

Was waren die Erfolgsfaktoren im Projekt Carbon2Chem?

In dem Projekt haben wir viele Erkenntnisse schneller gewinnen und verifizieren können als geplant. Dies ist nur einem Projekt mit guten Partner möglich – wir arbeiten hier mit den besten Forschungsinstituten, wie Max-Planck und Fraunhofer und starken universitären Partnern zusammen. Sehr wichtig ist auch die Beteiligung von Industrieunternehmen, die in Ihren Themen zur Weltspitze gehören, wie zum Beispiel BASF, Covestro, Linde, Nouryon und Siemens. Entscheidend ist aber die positive Zusammenarbeit aller Partner.

Wie machen wir weiter?

Einerseits arbeiten wir weiter an den Tests in verschiedenen Betriebszuständen, der weiteren Optimierung des Systems und der Möglichkeit des Scale-up. Andererseits suchen wir schon jetzt nach ersten Kundenprojekten, um die gewonnen Erkenntnisse so schnell wie möglich zum Schutz der Umwelt und wirtschaftlich zu nutzen.


Dr. ing. Reinhold Achatz, seit 2013 CTO bei der thyssenkrupp AG in Essen, ist Head of Corporate Function Technology, Innovation and Sustainability. In dieser Funktion ist er weltweit für die Innovations- und Nachhaltigkeitsthemen von thyssenkrupp zuständig. Seine Schwerpunkte liegen auf zukunftsorientierten Projekten, der Nutzung von technologischen Synergien im Konzern und der Prozessverbesserung. Davor war Achatz in verschiedenen Management-Funktionen bei der Siemens AG tätig, zuletzt als Leiter der globalen Forschung. Er war unter anderem sechs Jahre im deutschen Wissenschaftsrat aktiv, in Kuratorien der Fraunhofer- und der Max-Planck-Gesellschaft, als Vorstand des Industrial Data Space e. V., heute International Data Spaces, und als Vorstandsmitglied des Ausschusses für Forschung, Innovation und Technologie des BDI.