Kapriolen im Computer

Werkzeug zur statistischen Nutzung von Klimamessdaten

Stürme, Dürren, aber auch extreme Niederschläge könnten durch die Erderwärmung zunehmen – darüber diskutieren Klimaforscher zumindest. Ob das aktuell schon zu beobachten ist, zeigen Analysen von Messdaten. Holger Kantz und seine Mitarbeiter am Dresdner Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme (MPIPKS) entwickeln dafür die statistischen Werkzeuge. Klaus Jacob schilderte am 11.01.2019 im Rahmen einer MPIPKS-Medienmitteilung, wie das geht.

Kantz beschäftigt sich seit einem Jahrzehnt mit Messwerten, die aus der Reihe tanzen – mit Extremereignissen. In diesem Zusammenhang fragt sich der Physiker mit sechs Doktoranden und zwei Postdocs seit drei Jahren, ob Zahl und Intensität von Extremwetterereignissen zunehmen. Wächst mit den steigenden Temperaturen, die uns der Klimawandel beschert, die Gefahr von Stürmen, Überschwemmungen, Hitzewellen und anderen Wetterkapriolen? Die Argumente des Weltklimarat IPCC leuchten ein: Eine wärmere Atmosphäre kann erheblich mehr Feuchtigkeit aufnehmen, was zu vermehrten Niederschlägen und damit Überschwemmungen führt. Auch Stürme drohen an Stärke zuzulegen, Hitzewellen dauern länger und werden heißer.

Doch „ganz so offensichtlich ist der Zusammenhang zwischen Klimawandel und Extremwetter nicht“, sagt Kantz. Denn es gebe auch Argumente, die in eine andere Richtung weisen: Wenn es an den Polen wärmer werde, sinke die Temperaturdifferenz zwischen hohen und niedrigen Breitengraden, was die Atmosphäre eher beruhigen müsste. Und wenn sich Klimazonen verschöben, was unbestritten kommen werde, bedeute das nicht automatisch eine Zunahme von Extremwetterereignissen. So sei mediterranes Klima, wie es für Deutschland vorausgesagt werde, nicht gefährlicher als unser heutiges gemäßigtes Klima. Und nicht zuletzt könne sich das lokale Wetter ganz anders als der weltweite Trend entwickeln.

Ziel: bessere Analysemethoden für Messreihen

Um herauszufinden, wie Klimawandel und Extremwetter zusammenhängen, welche Arten von Unwettern in einzelnen Regionen drohen, kann ein Blick in die jüngere Vergangenheit helfen. Immerhin ist die Temperatur im globalen Mittel seit der industriellen Revolution bereits um rund 0,8 Grad gestiegen. Das müsste eigentlich Spuren hinterlassen haben. Die Frage ist also, ob Stürme und Hochwasser an Zahl und Intensität bereits zugenommen haben.

Laien, die der Klimawandel umtreibt, glauben die Antwort längst zu kennen. Sie machen gerne bei jedem Hagelschauer, bei jedem Sturm den Klimawandel verantwortlich. Wissenschaftler sind vorsichtiger, denn sie müssen in den Daten einen eindeutigen Trend erkennen. Kantz gehört mit seiner Arbeitsgruppe zu diesen Experten, die lange Datenreihen analysieren und nach Strukturen suchen. Wer allerdings konkrete Aussagen über Klima und Wetter hören möchte, ist bei ihm falsch. „Dafür sind die Forscher des Max-Planck-Instituts für Meteorologie in Hamburg die besseren Ansprechpartner“, bekennt er freimütig.

Denn Kantz will weniger das Klima besser verstehen oder Unwetterwarnungen herausgeben, sondern bessere Analysemethoden zu finden. Dafür arbeitet an Grundlagen für andere Forscher, konkrete Probleme zu lösen. Sein Arbeitsgebiet ist die Welt der Formeln, mit denen er Ordnung in die chaotischen Kurven bringen will. Denn wer das Auf und Ab der Messreihen versteht, kann in die Zukunft schauen und brauchbare Vorhersagen treffen. Kantz lotet die Grenzen unterschiedlicher Methoden aus, fahndet nach den jeweiligen Tücken. Seine Arbeiten veröffentlicht er weniger in Publikationen für Wetter oder Klima, sondern eher in Physikjournalen.

Die Meteorologie kommt dem Forscher dennoch sehr gelegen, weil es von Überschwemmungen, Temperaturen oder Niederschlägen umfangreiche Datenreihen über lange Zeiträume gibt, wie er sie für seine Arbeiten benötigt. Sie sind zumeist öffentlich zugänglich, was bei vielen anderen Datensätzen nicht der Fall ist. Natürlich findet er auch das eine oder andere praktisch nutzbare Ergebnis; das ist aber nicht sein Ziel, sondern eher so etwas wie ein „Kollateralnutzen“. So hat er einen Weg gefunden, starke Windböen mithilfe der gemessenen Winddaten vorherzusagen. Zwar reicht die Vorhersage nur ein bis zwei Sekunden in die Zukunft, aber das genügt, um die riesigen Windräder zu schützen.

Kraft der Mathematik: Das Team von Holger Kantz hat einen Weg gefunden, um aus Messungen der Windstärke kurzfristig besonders starke Böen vorherzusagen. Windräder lassen sich dann schützen, wenn die Anstellwinkel ihrer Rotorblätter verändert werden – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Der Anstellwinkel der Rotorblätter zur Strömungsrichtung des Windes lässt sich in dieser Zeit so verändern, dass kein Schaden droht. Die Max-Planck-Gesellschaft hat auf diese Vorhersagemethode sogar ein Patent angemeldet.

Manche Wege führen bei der Grundlagenforschung freilich auch in eine Sackgasse. So hat sich Kantz mit der Frage beschäftigt, ob es einen universellen Mechanismus gibt, der Extremereignisse hervorbringt. Ein Mechanismus, der für alle unregelmäßig schwankende Messgrößen gilt, sei es die Wellenhöhe, die Windstärke oder die Herzfrequenz.

„Als Physiker denkt man an Rückkopplungsschleifen“, begründet er diesen Ansatz, der von der Theorie der dynamischen Systeme geleitet wird. Seine Idee war, dass es in einem beliebigen System zunächst zu einer Abweichung kommt, die sich zu einem Extremwert aufschaukelt, bevor das System wieder in den Normalzustand zurückkehrt, weil eine Ressource verbraucht ist, die den Prozess angestoßen hatte. Kantz suchte in ganz unterschiedlichen Datenreihen nach einem solchen typischen Zyklus. Eine Universalformel wäre Gold wert, denn sie würde verlässliche Voraussagen ermöglichen. Doch inzwischen ist Kantz ernüchtert: „Nach zehn Jahren Forschung kann man sagen: Universalität gibt es bei den Extremereignissen nicht.“ Offenbar sind die Ursachen zu vielschichtig, um mit einem einzigen dynamischen Mechanismus beschrieben werden zu können.

Kurz hintereinander zwei Jahrhunderthochwasser

Einfacher, aber keineswegs trivial ist es, die Aufzeichnungen eines Typs von Extremen zu untersuchen, zum Beispiel von Hochwasserereignissen der Elbe. Im August 2002 trat der Fluss nach heftigen Regenfällen über die Ufer. In Dresden erreichte der Pegel 9,40 Meter, mehr als sieben Meter über dem Normalwert. Noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen war der Fluss derart angeschwollen, die Medien sprachen zu Recht von einem Jahrhunderthochwasser. Große Teile der Stadt standen unter Wasser, in Sachsen richteten die Fluten Schäden von weit mehr als acht Milliarden Euro an.

Nur elf Jahre später, im Juni 2013, stieg das Wasser schon wieder auf 8,76 Meter. Zwei Jahrhunderthochwasser so kurz hintereinander – dahinter müsse doch ein Trend stecken, war die Vermutung. Hatte der Klimawandel die Elbe bereits im Griff? Oder haben Eingriffe des Menschen in den Flusslauf die Hochwassergefahr vergrößert? fragte sich Kantz. Allerdings hatte er mit einem lästigen Problem zu kämpfen, das auch Klimaforschern immer wieder zu schaffen macht: Die Datenreihe, die ihm zur Verfügung stand, war relativ kurz. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Pegelmessstelle in Dresden versetzt worden, sodass verlässliche Daten nur 65 Jahre zurückreichen. Dennoch machte sich Kantz an die Arbeit. Er stellte die maximalen Pegelstände jedes Jahres in einer Grafik dar und erhielt ein wechselvolles Bild: ein Hin und Her mit zwei besonders hohen Peaks 2002 und 2013. Eine Extremwertanalyse über die Zeit signalisierte einen Anstieg der Pegelstände, die Jahrhunderthochwasser erreichen. Das schien ein klares Indiz dafür zu sein, dass die Gefahr gewachsen ist.

Folgt: Statistik macht Zusammenhänge plausibel