Lucht: Wir sollten uns „erhebliche Sorgen machen“

„Erste Anzeichen der drohenden Umweltkrise“ – „das ist Eure Aufgabe, Ihr seid die Erwachsenen“

Jeden Freitag gehen weltweit Tausende von Schülern auf die Straße und demonstrieren unter dem Motto „Fridays for Future“ für mehr Einsatz der Politiker im Klimaschutz. Inzwischen haben sie in Deutschland Rückenwind  von mehr als 25.000 Forschern erhalten, die in einer Petition auf die Dringlichkeit der Schülerproteste hinweisen. Florence Schulz von EURACTIV hat am 21.03.2019 mit dem Klimaforscher Wolfgang Lucht vom PIK-Potsdam gesprochen, der unter den Erstunterzeichnern war. Der Physiker Lucht leitet den Bereich Erdsystemanalyse am PIK, außerdem lehrt er Geographie an der Humboldt Universität Berlin und ist Mitglied des Sachverständigenrats für Umweltfragen der Bundesregierung.

‚Kohle weg, hat keinen Zweck‘ – Plakat bei FFF-Demo in Berlin – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Lucht erhofft, ja erwartet politische Konsequenzen:“ Die Politik sollte diese Proteste ernst nehmen.“ Für die Klimapolitik sei es Rückhalt in der Bevölkerung wichtig. Er hat den Eindruck, „dass die Demonstrationen mehr sind als ein kurzer Hype, sondern einer tiefen, genuinen Sorge entsprechen“. Viele Menschen wüssten, dass etwas komme, das nicht angenehm werde. „Die Jugendlichen sagen nun: Sich darum zu kümmern, das ist Eure Aufgabe, denn Ihr seid die Erwachsenen.“ Lucht zeigte sich im Interview relativ zufrieden mit dem Gehör, das Klimawissenschaftler finden, er könne „aus Erfahrung sagen: ja, es wird zugehört. Das Pariser Abkommen wäre niemals ohne die ständigen Forderungen der Klimawissenschaftler zu Stande gekommen.“ Aber trotz allem geschehe deutlich zu wenig, um die notwendigen Ziele auch zu erreichen. Daher empfehle es sich,  Wissenschaftler Allianzen mit anderen gesellschaftlichen Gruppen eingehen – die junge Generation spiele „dabei zurecht eine Rolle. Denn die Kinder, die heute demonstrieren, werden noch in der Welt des Jahres 2100 leben“.

Für 2030 müssten ausreichend ehrgeizige Zwischenziele erreicht werden. Momentan seien wir aber „überhaupt nicht auf Kurs“. Denn selbst mit dem, was derzeit diskutiert werde, würden wir nach wie vor die Pariser Ziele verfehlen – aber: „Noch können wir die Kurve kriegen.“ Die Regierung müsse allerdings die Klimapolitik jetzt ins Zentrum des politischen  Handelns rücken. Sie könne nicht die ganze Arbeit in Kommissionen auslagern.

Lucht warnt: „Ich spreche hier als Klimaphysiker: die Folgen des Klimawandels werden dramatisch sein. Das klingt abstrakt, wird aber schnell konkret werden. Wir sehen bereits heute die ersten Anzeichen der drohenden Umweltkrise.“ Als Beispiel nannte er die merkwürdige Abkühlung des Nordatlantik südlich von Grönland. Dort sinke der Golfstrom –  dafür verantwortlich, dass wir ein so angenehm gemäßigtes Wetter in Europa haben – in die Tiefe und fließe in den Süden zurück. An der seltsamen Abkühlung sehe man aber, dass der Strom anscheinend nachlasse, womöglich, weil sich dort der Salzgehalt des Wassers dadurch verändert habe, dass die arktischen Eismassen abschmelzen. Lucht nennt das „ein messbares Signal für einen Prozess, bei dem ein für Europa ganz zentrales Energiesystem der Erde anfängt, nachzulassen“.

Der einzelne könne zwar einiges tun (weniger fliegen, weniger Fleisch essen und die klare Formulierung einer Erwartung an die Regierungen) aber Lucht findet es „unrealistisch und unfair, die Lösung des Problems dem  einzelnen Bürger aufzubürden. Die Regierungen sind in der Verantwortung, Schaden vom Land abzuwenden und Lösungen für schwierige Probleme zu finden.“ Jetzt müsse rasch aus der Kohle ausgestiegen werden, denn zwanzig Jahre lang sei Zeit verbummelt worden, nun werde sie knapp. Nicht überraschend plädiert Lucht denn auch für einen beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien. In der Energiewende sieht Lucht ein „Ankurbelungsprogramm“.Dabei schaue die Welt auf Deutschland: Wenn hier die Energiewende gelinge, werde sie auch anderswo erfolgen. Lucht: „Wer sonst sollte hier vorangehen wenn nicht wir, ein fähiges und reiches Industrieland?“

Der PIK-Forscher fordert, dass wir uns angesichts des Klimawandels „erhebliche Sorgen machen sollten“. Dass der notwendige Umbau mancherorts schmerzhaft werden wird, zu dieser Ehrlichkeit müsse die Politik den Mut haben. Lucht: „Es ist Ihre Aufgabe, diesen Wandel politisch so zu gestalten, dass er ein Motor der Entwicklung wird. Das ist auch, was derzeit die Schüler fordern: Kümmert euch darum. Es ist eure Aufgabe.“

->Quelle: euractiv.de/wir-sehen-bereits-heute-die-ersten-anzeichen-der-drohenden-umweltkrise