Klimagas befeuert Chemie

Zwei Ziele: Einfache und höherwertige Produkte

Ein Weg hin zu einer Chemieproduktion, die CO2 verwertet, beginnt mit der Elektrolyse von Wasser, die mit nachhaltig erzeugtem Strom Wasserstoff erzeugt. Künftig ließe sich so elektrische Energie speichern, wenn Windkraft- und Solaranlagen davon gerade mehr liefern als gebraucht wird. Den Wasserstoff bringen Chemiker dann mit CO2 ins Geschäft.

Die Mülheimer Forscher haben es dabei zunächst auf ziemlich einfache Substanzen abgesehen: Methanol, Formaldehyd, und Ameisensäure. Diese Substanzen entstehen, wenn sich jeweils ein CO2-Molekül mit unterschiedlich vielen Wasserstoff-Teilchen einlässt. Die Industrie verarbeitet sie massenhaft zu allen möglichen Erzeugnissen wie etwa Kunststoffen. Methanol ist zudem als Treibstoff interessant. Walter Leitner und sein Team möchten aber noch weitergehen. Sie wollen das Klimagas und den Wasserstoff mit anderen chemischen Bausteinen zusammenbringen und so direkt Polymere oder Bestandteile von Arzneistoffen herstellen. „Solche höherwertigen Produkte sind am Anfang einer CO2– Kreislaufwirtschaft konkurrenzfähiger als einfache Basischemikalien und lassen sich leichter im Markt einführen“, sagt Leitner.

Dass eine solche Verwertung von CO2 in der Chemieindustrie nachhaltig sein kann, hält auch Caroline Gebauer für möglich. Sie ist für den Bund für Umwelt und Naturschutz an Power-to-X beteiligt und begleitet das Projekt aus Sicht des BUND. Aus dieser Perspektive sieht sie synthetische Treibstoffe, die aus regenerativem Strom und CO2 erzeugt werden, derzeit allerdings kritisch.

„Mit elektrischer Energie erst Wasserstoff zu produzieren und diesen zu einem synthetischen Treibstoff weiterzuverarbeiten, kostet ein Vielfaches mehr an Energie als die direkte elektrische Nutzung“, sagt Caroline Gebauer. „Daher ist das für uns nur in Anwendungsbereichen wie der Schifffahrt und dem Flugverkehr, wo es derzeit keine direktelektrische Alternative gibt, denkbar.“

Walter Leitner hält jedoch Kraftstoffe, die aus Wind, Sonne und Treibhausgas entstehen, für absolut ebenso zukunftsträchtig. „Chemische Energieträger ermöglichen es, Erneuerbare Energien über große Entfernungen zu transportieren und mit der bestehenden Infrastruktur zu verteilen“, sagt der Forscher. „Das wird für ein nachhaltiges globales Energiesystem unverzichtbar bleiben.“

Egal ob Treib- oder Kunststoff: Knackpunkte bei der chemischen Nutzung von CO2 sind Katalysatoren, die dem Gas chemisch auf die Sprünge helfen. Sie sind das Spezialgebiet von Walter Leitners Team. Vermutlich jeder kennt den Katalysator im Auto, der Schadstoffe in unbedenkliche Substanzen umwandelt. Ganz allgemein sind Katalysatoren die Partnervermittler der Chemie: Sie senken den Energiebedarf für eine chemische Reaktion, steuern sie in eine gewünschte Richtung und machen eine Umwandlung oft erst möglich. Wenn es darum geht, CO2 als Rohstoff zu nutzen, müssen sie alle drei Aufgaben erfüllen.

Mit einem Katalysator für die Ameisensäure fing es an

Katalysatoren, die das leisten, untersuchen Leitner und seine Mitarbeiter schon seit einer Weile etwa für die Herstellung von Ameisensäure. Das Molekül entsteht bei der Hochzeit von einem CO2-Molekül mit genau einem Wasserstoff-Molekül. Leitners Interesse daran kommt nicht von ungefähr, denn mit der Ameisensäure fing sein Weg in die CO2-Chemie an, und zwar schon während seiner Promotion an der Universität Regensburg. Damals nutzte er Ameisensäure als Wasserstoffquelle für chemische Reaktionen, wobei als Nebenprodukt CO2 entstand. „Da habe ich mich aus reiner Neugier gefragt, ob sich dieser Prozess auch umkehren lässt“, sagt der Chemiker. Und tatsächlich, es ging – mit einem molekularen Katalysator, der ein Atom des Edelmetalls Rhodium enthält.

Das Metallatom in solchen Katalysatoren stachelt die chemische Angriffslust eines Reaktionspartners oder gar beider an – wie stark, hängt von der Art des Metalls ab. Sie beeinflusst entscheidend, wie viel Wasserstoff sich das CO2 einverleibt und welche zusätzlichen Partner es mit einbindet. Was dabei herauskommt, bestimmen aber auch die Liganden – oft kompliziert gebaute organische Moleküle, die Phosphor oder Stickstoff als Anknüpfungspunkte zum Metall enthalten. Sie hüllen das Metallatom fast vollständig ein, so dass sich die Reaktionspartner daran häufig nur in bestimmten Positionen zueinander anlagern können. Idealerweise bleibt ihnen dann nur ein Weg, miteinander zu reagieren – der zum gewünschten Produkt.

Katalysatoren, die CO2 und Wasserstoff auf diese Art und Weise gezielt verbandeln, sucht Christophe Werlé, der in Leitners Abteilung eine eigene Arbeitsgruppe leitet. Manchmal geht es ihm auch darum, einen vorhandenen Katalysator zu optimieren. Seine erste Frage lautet dabei immer, warum ein Katalysator tut, was er tut. So will er Ansatzpunkte finden, das chemische Hilfsmittel darin besser zu machen. Etwa damit es das gewünschte Produkt mit höherer Ausbeute erzeugt und weniger Nebenprodukte entstehen. Aber Christophe Werlé will Katalysatoren auch dazu zu bringen, besonders schwierige Partnerschaften zu stiften, zum Beispiel die von CO2 und Wasserstoff im Formaldehyd.

In der Praxis ist das mit viel Kreativität und nicht zuletzt Fleißarbeit verbunden. Denn Werlé und seine Mitarbeiter haben es auf die Zwischenprodukte abgesehen, in denen der Katalysator als Vermittler zwischen den Ausgangsstoffen selbst lockere Verbindungen mit den Partnern in spe eingeht. Diese kurzlebigen Konstrukte verraten den Wissenschaftlern die Reaktionswege und mögliche alternative Routen. Aber in der Kurzlebigkeit liegt ein Problem. Kaum entstanden, verändern sich die Konglomerate gleich wieder. „Wir versuchen mögliche Strukturen der Zwischenprodukte über die Variation der Liganden so zu stabilisieren, dass wir sie analysieren können“, sagt Werlé.

Derartige Experimente geben den Mülheimer Chemikern Fingerzeige, wie sie CO2 in Methanol verwandeln können. Kürzlich fand ein Team aus Leitners Mitarbeitern in Aachen und Mülheim erstmals sogar einen Katalysator, der statt eines Edelmetalls das kostengünstige und in der Natur weit verbreitete Mangan enthält und mit dem CO2 zu Methanol umgesetzt werden kann.

Folgt: Edelmetallkatalysatoren arbeiten effizienter