Energiesystemwende in Gefahr

„(Keine) Innovationsfähigkeit der Konzerne“

Die Volkswagen AG zeige – so Paul Grunow (Reiner Lemoine-Institut)  in Erneuerbare Energien – warum Konzerne Innovationen lieber ausbremsen, als diese zu fördern, und warum Akteursvielfalt unbedingt notwendig ist. Die Energiewende bringe es mit sich, dass stetig neue Technologien und Anwendungen in den Markt dringen müssten. Ohne Innovationen hingegen gebe es keine Energiewende. Wer aber treibe diese Entwicklung? Welche Firmen sind in der Lage, Innovationen hervorzubringen und umzusetzen? Und was bedeutet das für innovationsfreudige regulatorische Rahmenbedingungen, die von der Politik geschaffen werden müssen? Eine wichtige Antwort liefere VW: Etablierte Konzerne erwiesen sich oft als unfähig, mit den Veränderungen Schritt zu halten – sie blockierten Innovation. Teilübernahme mit freundlicher Genehmigung von Erneuerbare Energien.

Nationale Champions prägen die Wirtschaftspolitik

VW-Niederlassung Kassel – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

„Wirtschaftspolitiker spielen gerne in der Welt der nationalen Champions,“ so beginnt Grunow. „Die Konzentration von Kapital und Marktmacht erzeugt bei einem klassischen Wirtschaftsminister – egal ob wirtschaftsliberal oder sozialistisch – epische Gefühle. Unter vielen Volkswirten der alten Schule sieht es nicht anders aus. Wirtschaftspolitik wird gerne für oder gegen Schwergewichte gemacht. Und ohne Zweifel haben sie mehr Chancen bei der Vergabe von öffentlich geförderten Forschungsprojekten. Im Ministerium, wie in der Konzernzentrale, wird Zentralität und Größe dabei aufgrund der vermeintlich höheren Effizienz gerne als Erfolgsrezept gewertet. Aber stimmt das? Sind diese Big Player heute so innovativ, wie sie es in ihren jungen Jahren möglicherweise mal waren?“

Volkswagens Verkehrswende-Versagen

Dann exeplifiziert Grunow am Beispiel Volkswagen, „ohne Zweifel nationaler Champion“. Doch seit 2009 habe sich (in zehn Jahren Elektromobilität) nichts getan. Man könne nicht einmal dafürhalten, dass wenigstens eine der VW-Marken sich aufgemacht hätte. „Diese Firma ist vielmehr weder in der Lage, einen Trend zu setzen, noch ihn zu erkennen.“

1-Liter-Auto – Kurkorrektur zum E-Auto, „geprügelt, nicht verstanden“

Grunow blickt zurück: „Mit hämischer Freude wurde das 1-Liter-Auto 2002 direkt ins Museum gefahren. Fünf Jahre später, im Jahr 2007, wurde in arbeitsteiliger Ignoranz zwischen Vertrieb und Entwicklung eine Betrugs-Software erbrütet, die schließlich erst durch ein kleines amerikanisches Prüfinstitut aufgedeckt wurde und nicht nur einen Schaden bei VW, sondern auch volkswirtschaftlich Imageschaden bedeutet. Die ausbleibende Aufklärung in der Schuldfrage lässt eine kollektive Verteilung der Verantwortung über die ganze Firma immer wahrscheinlicher werden – in Form eines Herrenwitzchens über die naive Hysterie außerhalb der eigenen Feste.

Es folgte eine hastige Kurskorrektur in Richtung Batterieauto. Geprügelt, aber nicht verstanden. Mit Milliardenstrafzahlungen erzwungen. Innovation kommt von innen, meint man, bei VW nur als Zwang von außen.“

Verbrennungsmotor mit 100jähriger Erfolgsgeschichte

Der heutige Verbrennungsmotor sei „ein Wunderwerk seiner 100jährigen Erfolgsgeschichte“. Und nicht nur bei VW sei er als Lebensthema in den Köpfen der leitenden Angestellten. Eine Firma aber, deren Geschäftsmodell auf Erfolgen von gestern basiere, verteidige diese bis zum eigenen Untergang, ähnlich wie eine Religion oder nationale Identität: „Gerade weil es eine Geschichte von gestern ist, und vermeintlich auf ewig wahr.“

Großkonzerne nicht verstaatlichen, sondern hinsichtlich ihrer Innovationsfähigkeit infrage stellen

„Nach Kevin Kühnerts Meinung sollten Großkonzerne verstaatlicht werden, um soziale Gerechtigkeit zu erreichen. Viel wichtiger ist, dass dieses Großwild, seine Bodenhaftung längst verloren hat und nur noch als Bank agiert, und trotz Entwicklungs- und Beratermilliarden nur noch im eigenen Mikrokosmos innovativ ist. Großkonzerne sollte man hinsichtlich ihrer Innovationsfähigkeit infrage stellen, wenn sich der Mehrwert eines privatwirtschaftlichen Managements in sein Gegenteil verkehrt und Innovation bewusst limitiert.“

Politik kann nicht erfolgreich sein, wenn sie auf Konzernlenker und Betriebsräte hört

„Eine Politik, die sich Klimaziele setzt und dann in erster Linie auf die Haltung der Konzernlenker und deren Betriebsräte hört, kann aber nicht innovativ sein. Sie wird ihren Zielen niemals gerecht werden. Energiesystemwende heißt, dass wir Disruption und Veränderungen zulassen – etwa mit einem offenen Markt für Flexibilitäten, der allen offensteht. Und dafür brauchen wir die Kraft der Vielfalt und die Offenheit des Marktes.“

Dieser Beitrag ist am 04.07.2019 in der Onlineausgabe des Fachmagazins „ERNEUERBARE ENERGIEN“ erschienen. Es ist der vierte Teil einer Kolumne der Reiner Lemoine Stiftung zur EnergieSystemWende. Darin kommen regelmäßig Autorinnen und Autoren zu Wort, die für die Reiner Lemoine Stiftung (RLS) sowie das Reiner Lemoine Institut (RLI) aktiv sind oder gemeinsam mit RLS und RLI an Projekten zur Transition des Energiesystems arbeiten. Paul Grunow ist seit der Gründung Vorstand der Reiner Lemoine-Stiftung sowie Vorstand im Photovoltaik-Institut Berlin.

->Quelle: erneuerbareenergien.de/keine-innovationsfaehigkeit-der-konzerne