Buch „Das Supermolekül“

Mit Wasserstoff das fossile Zeitalter beenden

Wasserstoff ist der Energieträger der Zukunft: Man kann Brennstoffzellen für Autos mit ihm antreiben oder ganze Kraftwerke, die Wohnhäuser gleichzeitig mit Wärme und Strom versorgen – dezentral und sicher. Als Kerosinersatz kann Wasserstoff als Treibstoff für Düsenflugzeuge und sogar Raketen eingesetzt werden. Als Speichermedium ist er die kostengünstige Lösung für eine nachhaltige und flächendeckende Versorgung mit Energie. Das riesige Potenzial von Wasserstoff ist in der Wissenschaft schon längst bekannt. Die deutsche Automobilindustrie scheut dennoch Investitionen und setzt mit Akku-Autos auf den falschen Trend. Gleichzeitig hat sich die Politik von der Fossil-Lobby hoffnungslos kapern lassen und versucht mit allerlei Tricks, die Entstehung einer Wasserstoff-Gesellschaft auszubremsen. Timm Koch hat für sein Buch „Das Supermolekül“  (Westendverlag) mit tapferen Pionieren und besonnenen Wissenschaftlern gesprochen, die keinen Zweifel lassen: Die Chance, das fossile Zeitalter zu beenden und der Schlüsseltechnologie Wasserstoff endlich zum Durchbruch zu verhelfen, ist zum Greifen nahe.

„Eine Dystopie ist die Vision einer schwarzen, schlechten Zukunft. Eine Utopie hingegen ist das Versprechen auf eine gute, eine schöne Welt, in der die Menschen glücklich leben können. Der Kommunismus war eine gelebte, politische Utopie. Seit seinem Scheitern leben wir im Zeitalter der Dystopien. Der Erfolg der verstörenden Netflix-Serie „Black Mirror“ belegt meine These. Es wird Zeit für eine neue Utopie. Was kaum einer weiß: Wir erleben in diesen Tagen die Morgendämmerung einer gigantischen Umwälzung, die – sollte ihr Erfolg beschert sein – die Menschheit auf eine neue Stufe der Zivilisation stellen wird. Sie hat das Zeug dazu, die Erwärmung des Erdklimas auf ein Maß zu begrenzen, dass auch zukünftigen Generationen ein Überleben möglich sein wird. Zusätzlich bietet sie die Perspektive, eben diese im Kern so aggressive und in vielerlei Hinsicht destruktive Spezies, zu einem friedlicheren Wesen zu transformieren.

Die Rede ist vom Aufkeimen einer globalen Wasserstoffgesellschaft. Um die ganze Tragweite der derzeitigen Entwicklung einordnen zu können, muss man sich zunächst einmal klarmachen, was das klimaschädliche Verbrennen fossiler Energieträger überhaupt bedeutet. Bei ihnen handelt es sich um Kohlenwasserstoffe. Sie sind aus energetischer Sicht nichts anderes als die in Jahrmillionen durch pflanzliches Leben gespeicherte Energie unserer Sonne. Bei der Photosynthese findet eine Wasserspaltung statt. Die vom Wasser (H2O) abgespaltenen Wasserstoffmoleküle gehen Verbindungen mit Kohlenstoffatomen ein. Sie sind die Grundbausteine des Lebens. Erdöl, Erdgas und selbst Braun- und Steinkohle gehören zur Kategorie der Kohlenwasserstoffe.

Vereint man diese nun wieder mit Sauerstoff, spricht man von einer Verbrennung. Bei der Verbrennung von Kohlenwasserstoffen fällt Kohlendioxid (CO2) an, das als Treibhausgas nicht nur für die Klimaveränderung ursächlich verantwortlich ist, sondern mittlerweile sogar, in Meerwasser gelöst, dessen Säuregrad verändert hat und etwa dafür sorgt, dass die Panzer der Krebse weich werden. Die Folgen sind katastrophal: Wenn diese Tiere als Futterquelle wegfallen, könnte das gesamte Ökosystem der Weltmeere kollabieren. Der Mensch hat mit Kohlenwasserstoffen einen so gewaltigen Weltenbrand entfacht, dass das irdische Leben, wie wir es kennen, in Gefahr geraten ist. Der Weltenbrand lodert in den Motoren unserer Autos, in den Kraftwerken, den Glashütten, den Stahlhütten, in den Heizungen und den Küchenherden; er lodert in den Maschinen von Containerschiffen genauso wie in den Feuersbrünsten, die unsere Wälder verzehren.

Nun ist es heute so, dass die technische Entwicklung uns die Möglichkeit in die Hand gibt, sozusagen vollständig auf die Verbrennung von Kohlenwasserstoffen zu verzichten. Wir können die Energie der Sonne mit Solarmodulen ernten und die Kraft des Windes und des Wassers mit Turbinen. Die Menschen denken beim Thema Wasserstoff schnell an den Absturz des Luftschiffs ‚Hindenburg‘, den tatsächlich eine erstaunlich hohe Zahl von Betroffenen überlebt hat. Die Explosivität des Gases ist heutzutage dank fortgeschrittener Technik und Notfallsysteme kein ernsthaftes Problem mehr. Bei den modernen Tanks sorgen Ventile im Falle einer Beschädigung für eine kontrollierte Entleerung des Behälters. Entzündet sich der Wasserstoff trotzdem, so ist der Brand weniger gefährlich als eine in Brand geratene Benzinlache, weil der Wasserstoff nach oben entweicht, während das Benzin sich am Boden ausbreitet. Dennoch: Ein Unglück hätte einen desaströsen Effekt auf Akzeptanz  der Wasserstofftechnologie, vergleichbar mit dem ‚Hindenburg-Effekt‘, und wäre ein gefundenes Fressen für die PR der Erdölkartelle.

Durch das Thema Wasserstoff fühlen sich die, der Allgemeinheit schadenden und im Kern kriminellen, Kartelle in die Enge getrieben. Ihre ganz große Furcht gilt in dieser Hinsicht der Dezentralisierung der Energieversorgung. Wer sich seinen Strom per Elektrolyse in Form von Wasserstoff veredelt, ihn bei Bedarf im Haushalt rückverstromt, sein Haus damit heizt und sein Auto damit tankt, wäre unabhängig von der Versorgung durch die Energieriesen. Auch das Thema Mineralölsteuer hätte sich dann bald erledigt, was einigen ‚Volksvertretern‘ gehörig Magenschmerzen bereiten würde. Besonders gefährlich wäre das natürlich für Shell, Exxon, Gasprom und Co.

Und die Entwicklung der Wasserstofftechnologie macht weiter große Fortschritte: Professor Peter Wasserscheid hat ein Verfahren entwickelt, mit dem Wasserstoff per Katalyse in ein flüssiges Medium chemisch eingelagert wird. Das Konzept trägt den Namen LOHC (Liquid Organic Hydrogen Carrier) und ist aus mehreren Gesichtspunkten von größter Bedeutung. LOHC ist ungiftig, nicht explosiv und schwer entzündbar und könnte mit der bestehenden Logistik transportiert werden – damit wäre es sogar denkbar, in der Sahara die Energie der Sonne zu „ernten“ und mit LOHC-Tankern ins energiehungrige Europa zu befördern. Wenn der Wasserstoff verbraucht ist kann die Trägersubstanz, dem Prinzip Pfandflasche folgend, zurück zur nächsten Ernterunde befördert werden.

Wer sehen will, wie nervös die Kartelle bei dem Thema werden, dem sei die Shell-Wasserstoffstudie ans Herz gelegt. In dem aufwendig gestalteten Propagandawerk wird von eben jenen Überlegungen Abstand genommen, weil sie „geopolitische Unwägbarkeiten“ enthalte – ganz so als ob sich die Skrupellosen durch geopolitische Probleme in ihrem Treiben bremsen ließen, wenn es gilt, ihre Interessen zu verteidigen. Vorsichtshalber hat man dennoch schon mal wieder mit dem ‚Hydrogen Council‘ ein lockeres Kartell gebildet. In dem derzeit bereits 53 Mitglieder umfassenden Gremium finden sich neben Shell unter anderem Größen wie die Linde Gruppe, Air-Liquide, Total, BMW, Audi, Daimler, Toyota und – nicht zu vergessen – Airbus. Auf das Konto einiger dieser Player geht auch der enorm teure Aufbau des Wasserstofftankstellennetzes, der derzeit in Europa stattfindet. Aktuell gibt es deutschlandweit 69 Stück davon. Hier kann der glückliche Besitzer von einem der rund 300 Brennstoffzellenautos auf unseren Straßen innerhalb von drei Minuten seinen Tank füllen und erreicht dann mit seinem Wagen eine Reichweite von bis zu 600 Kilometern.

Was aber macht die Politik, vorneweg unsere ‚Klimakanzlerin‘ Angela Merkel? – Sie hält die Lüge von der Grundlast aufrecht, weswegen wir ja nach wie vor Kohle verstromen wie verrückt und versucht, das Supermolekül auszubremsen. Wer heutzutage erneuerbare Energie in Wasserstoff umwandelt und so speicherfähig macht, zahlt denselben Preis, als hätte er den Strom verbraucht. Die einseitige Fixierung auf Akku-Autos schlägt in dieselbe Kerbe. Bei einer Sache kann man sich nämlich ganz sicher sein: Mit Batterietechnik wird die Sonnenernte in der Sahara nicht gelingen.

Zum Schluss möchte ich nochmal auf die friedlichere Zukunft zurückkommen, die uns die Wasserstoffgesellschaft bieten könnte. Immerhin wäre durch den zivilisatorischen Schritt einer Abkehr vom Kohlenstofffeuer das Energieproblem der Menschheit gelöst und Rohstoffkriege somit überflüssig. In diesem Zusammenhang hatte ich ein sehr interessantes Gespräch mit Axel Rücker, dem Wasserstoff-Experten von BMW. Ich verlieh folgendem Gedanken Ausdruck: ‚Wenn wir den Saudis wegen Wasserstoff nicht mehr ihr Öl abkaufen, dann kaufen die nicht mehr unsere Panzer.‘ Rücker entgegnete: „Dann kaufen die nicht mehr unsere Autos.’“

->Quelle:  westendverlag.de/buch/das-supermolekuel