Viel hilft nicht viel

Clemens Scheer/KIT: Klimaschädliches Lachgas – mögliche Lösungen für Landwirtschaft und Politik

Lachgas (N2O – s. auch: solarify.eu/lachgas) ist als Treibhausgas etwa 300-mal so wirksam wie Kohlendioxid (CO2). Neben dem Ausstoß von CO2 und Methan sind Lachgasemissionen wichtigste Ursache für den Klimawandel und tragen aktuell etwa sechs Prozent zur Erderwärmung bei. Verantwortlich dafür ist vor allem der übermäßige Einsatz von Stickstoffdüngern in der Landwirtschaft. Nur etwa 40 Prozent des heute weltweit mittels Kunstdünger in die Natur eingebrachten Stickstoffs wird tatsächlich von Nutzpflanzen aufgenommen. KIT-Forscher haben Handlungsempfehlungen erarbeitet.

„Die Beziehung zwischen dem Einsatz von Stickstoff und der Steigerung von Ernteerträgen ist nicht linear. Es gibt einen optimalen Bereich für die Düngung. Ein zusätzlicher Eintrag von Stickstoff führt keinesfalls zu einer größeren Ernte“, sagt der Klimaforscher Clemens Scheer vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung – Atmosphärische Umweltforschung, dem Campus Alpin des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) in Garmisch-Partenkirchen. Er gehört einer internationalen Expertengruppe an, die am 15. und 16.04,2019 (KIT-Medienmitteilung vom 29.07.2019) mit Unterstützung der OECD Handlungsempfehlungen für Regierungen und den Agrarsektor*) ausgearbeitet hat, um das Stickstoffproblem in den Griff zu bekommen. Neben der Bildung von klimaschädlichem Lachgas sei ein übermäßiger Eintrag von Stickstoff nämlich auch für Luftverschmutzung, den zunehmenden Sauerstoffmangel in Küstengewässern sowie für den Verlust von Biodiversität durch Überdüngung von Biotopen mitverantwortlich. „Eine bedarfsorientierte Düngung und neue Technologien wie stabilisierte Langzeitdünger schonen nicht nur die Umwelt, sondern können gleichzeitig die Wirtschaftlichkeit erhöhen“, so Scheer, der am 27.06.2018 von der australischen Queensland-University nach Garmisch kam (siehe: solarify.eu/klimaschutz-weniger-lachgas-aus-der-landwirtschaft).

Bereits 2015 startete Deutschland (das damals so genannte BUMB) eine Initiative zur weltweiten Vermeidung von Lachgas-Emissionen – die bei der Gewinnung von Salpetersäure anfallenden Lachgas-Emissionen sollten bis 2020 weltweit gestoppt werden. Salpetersäure ist eine Stickstoffverbindung, die auf der ganzen Welt zur Produktion von Düngemitteln verwendet wird. Die Initiative „Nitric Acid Climate Action Group“ wurde am Rand der Weltklimakonferenz COP21 vorgestellt. Neun Monate später trat der Verband der Chemischen Industrie (VCI) der Initiative bei. Lachgas entsteht vor allem bei der Herstellung von Salpetersäure, die wiederum ein Grundbaustein vieler Düngemittel ist. Der VCI wollte von da an „Unternehmen bei der Verringerung der Lachgasemissionen beraten“.

Als weitere Maßnahmen in der Landwirtschaft empfehlen die Wissenschaftler, den synthetischen Stickstoff zumindest teilweise durch Stickstoff aus natürlichen Quellen zu ersetzen. Beispielsweise durch organische Düngemittel oder durch den Anbau von stickstofffixierenden Pflanzen wie Hülsenfrüchtlern. Außerdem könnten eine angemessene Fruchtfolge sowie Zwischenfrüchte die Bodenqualität verbessern. Schließlich könnten aber auch die Endverbraucher durch verantwortungsvollen Konsum ihren Beitrag leisten, betont Scheer: „Wer den Fleischkonsum reduziert, kann dazu beitragen, dass weniger Futterpflanzen angebaut und gedüngt werden müssen. Und wer weniger Lebensmittel wegwirft, hilft insgesamt, den Bedarf an landwirtschaftlich genutzten Flächen zu reduzieren.“

*) Die Handlungsempfehlungen in Kurzform:

  • Stark davon abraten, N über den Pflanzenbedarf hinaus zu verwenden. Es besteht ein klarer nichtlinearer Zusammenhang zwischen Düngemitteleinsatz und N2O-Emissionen, wobei die Emissionen exponentiell ansteigen, wenn die Ausbringungsmengen den Bedarf der Pflanzen an N überschreiten.
  • Verbesserung der NUE (nitrogen use efficiency – Stickstoffverbrauchseffizienz – Verhältnis von N, das auf die Pflanze aufgebracht wird, zu dem während der Ernte entnommenen N) von mineralischen und organischen Düngemitteln. Es stehen Technologien und Praktiken zur Verfügung, um Düngemittel zur richtigen Zeit, am richtigen Ort, in der richtigen Art und in der richtigen Menge einzusetzen (z.B. Technologien mit variabler Rate oder Düngemittel mit erhöhter Effizienz).
  • Förderung der verstärkten Verwendung von Zwischenfrüchten und mehrjährigen Futtermitteln in Fruchtfolgen, da dies dazu beiträgt, N im Agrarökosystem zu halten und so die NUE zu verbessern.
  • Förderung neuartiger Technologien, wie die Entwicklung neuer Pflanzensorten, die N-Freisetzung durch biologische Nitrifikationshemmung (Salpeterentstehung -biological nitrification inhibition – BNI) durch Pflanzenwurzelexsudate reduzieren. Neue mikrobiologische Forschung zeigt das Potenzial, N2O-reduzierende Bakterien zu züchten, die die N2O-Emissionen bei der Anwendung auf den Boden signifikant reduzieren können.
  • Verbesserung des Recyclings von N-haltigen landwirtschaftlichen Produkten, die typischerweise als Abfall betrachtet werden (Kreislaufwirtschaft). Dazu gehören die Optimierung der Tierdüngung und die Reduzierung von Lebensmittelabfällen (sowohl auf Industrie- als auch auf Haushaltsebene).
  • Anreize für einen geringeren menschlichen Verzehr von tierischem Eiweiß (Fleisch, Milch, Eier) schaffen. Denn die NUE des tierischen Proteins beträgt etwa ein Zehntel der NUE des pflanzlichen Proteins. Der Trend in einigen OECD-Ländern, den Verbrauch von tierischen Proteinen zu reduzieren, kommt nicht nur der Umwelt zugute, sondern ist auch der menschlichen Gesundheit förderlich.
  • Förderung des verstärkten Einsatzes von biologischem oder mikrobiellem N (z.B. Leguminosen) in der Nahrungsmittelkette, da dies der Bodengesundheit zugute kommt und den Einsatz von synthetischen Düngemitteln reduzieren kann, ohne die Erträge zu beeinträchtigen.

->Quellen: