Matterhorn für Bergsteiger immer gefährlicher

Einer der längsten, dichtesten und diversesten Datensätze in der Geschichte der Permafrostforschung

„Dieser Datensatz ist wohl einer der längsten, dichtesten und diversesten Datensätze in der Geschichte der Permafrostforschung überhaupt“, sagt Jan Beutel, Senior Researcher am Institut für Technische Informatik und Kommunikationsnetze der ETH Zürich, nicht ohne Stolz. Beutel war und ist die treibende Kraft hinter dem Vorhaben. Mit modernster drahtloser Sensorik ist es gelungen, viele Daten in nahezu Echtzeit verfügbar zu machen und die laufenden Experimente genau zu steuern.

Zum Sensornetzwerk zählt unter anderem eine automatische Spiegelreflexkamera, die alle zwei Minuten Bilder von der Abbruchstelle aufnimmt; Abstandsmessungen in Felsspalten (Crackmeter) gehören dazu, welche die Weitung von Klüften und den Versatz von Felsbrocken zueinander messen. In verschiedenen Felstiefen, aber auch an der Oberfläche werden Temperaturen gemessen. Permanent messen Neigungsmesser und GPS-Sensoren, wie sich einzelne Felsköpfe und auch der ganze Grat talwärts neigen. In den letzten Jahren ergänzten die Forscher ihre Sensorenfamilie um Seismik- und Akustik-Messgeräte. Vom Hörnligrat gelangen die Messdaten über Funk zum Kleinen Matterhorn und von dort über das Internet in Echtzeit in ein Rechenzentrum der ETH Zürich.

„Vor allem die Seismik hat es uns in den letzten drei Jahren der Messkampagne erlaubt, das zu messen, was wir von Anfang an wollten: Steinschlag und Felsstürze. Wir konnten damit in den Signalen vom Berg Muster erkennen, die solche Ereignisse quantitativ erfassbar machen“, sagt Beutel. Mithilfe der seismischen Sensoren ist es ihnen gelungen, sehr viele Ereignisse – etwa die anfänglich unsichtbare Rissbildung in Felsen – zu registrieren, welche die bisherigen Sensoren nicht erfassen konnten. „Seismische Sensoren registrieren viel mehr und bieten Informationsdichten und Analysemöglichkeiten, die wir uns zuvor nicht vorstellen konnten“, sagt der Elektroingenieur. Der Nachteil dieser Sensoren: Sie brauchen Kabel, mehr Strom und tiefere Bohrlöcher, die erst gebohrt werden mussten. Und sie zeichnen auch Signale auf, die gar nicht vom Berg stammen, etwa die Schritte der Bergsteiger auf ihrem Weg zum Gipfel.

Analysen der von den Nebengeräuschen gesäuberten Seismik-Daten zeigten Beutel ein interessantes Bild: „Die Resonanzschwingungen, die in Felsen auftreten, variieren über das Jahr hinweg stark.“ Das hängt mit dem Tauen und Gefrieren am Berg zusammen. Viele Klüfte und Risse sind mit Eis und Sedimenten gefüllt. Dieses Gemisch ist im Winter steinhart gefroren. Im Sommer taut es auf, der Verbund in den Rissen verändert sich. Dadurch wird der freistehende Teil des Felsens größer, der Felsen schwingt mit einer tieferen Frequenz. Umgekehrt im Winter: Hier schwingt er mit einer höheren Frequenz.

Sehr schnelle abrupte Veränderungen solcher Schwingungsmuster dauten laut Beutel darauf hin, dass sich die Stabilität einer Felspartie rasch verändert habe. Sinken die Frequenzen rasch, kann dies bedeuten, dass sich ein bestehendes Risssystem stark vertieft oder geöffnet hat. Und das bedeutet dann ein steigendes Risiko in Bezug auf einen größeren Felssturz oder Abbruch. „Wir können also mit seismischen und akustischen Messungen, gekoppelt mit Messungen von Spaltenweiten und Fotografien der Untersuchungsstelle, ziemlich genau abbilden, wie sich der Permafrost verändert und Voraussagen machen, wo sich etwas anbahnen könnte“, so Beutel, „ich halte dies für eines der besten Resultate, die wir im Rahmen von PermaSense erzielten“.

„Horu“ neigt sich nach Zermatt

Abgeschlossen ist die Messkampagne am Matterhorn nicht. Sie läuft vorerst weiter. Das Knowhow vom „Horu“ möchte Beutel gerne auch auf andere Projekte übertragen. Das erworbene technische und geologische Wissen könnte für die Naturkatastrophenvorhersage an kritischen Orten im steilen Gelände oder an Bergen genutzt werden. Die Datenauswertung hat weiter ergeben, dass sich der Hörnligrat – eine der Hauptkletterrouten – jährlich um 2 cm talwärts Richtung Zermatt neigt. Warum sich der Grat bewegt, ist aber noch unklar. Die Klimaerwärmung sorge dafür, dass immer mehr Felsen zu Tal donnern. „Der Permafrost wird dadurch langsam, aber stetig zurückgedrängt. Zuerst an den Südflanken und dann später an den Nordseiten“, so Beutel weiter. Bröckelt bald die Spitze des Matterhorns ab? Der Berg werde seine einzigartige Form irgendwann verlieren. „Das dauert aber noch lange“, so der ETH-Forscher. Doch schon in 100 Jahren würden die Gletscher an den Flanken des Matterhorns größtenteils verschwunden sein.

Quellen und Literaturhinweise