Matterhorn für Bergsteiger immer gefährlicher

Klimawandel: Permafrost taut in immer höheren Lagen

Nicht nur in der Arktis taut es mit verheerenden Folgen – auch die Alpen spüren den Klimawandel. Ergebnis: Tauender Permafrost, bröckelnde Felsen. Das Matterhorn – von den Einheimischen „Horu“ genannt – hält einen traurigen Rekord bei den Abstürzen: Seit seiner Erstbesteigung 1865 starben über 550 Menschen, beim Versuch, den Gipfel zu erklimmen. Jahr um Jahr steigt die Zahl der Opfer rasant. Allein sechs Menschen kamen in den vergangenen Wochen am Matterhorn ums Leben, vergangene Saison waren es elf. „Matterhorn soll gesperrt werden“ titelten daraufhin einige schweizerische Zeitungen auf die Forderung einzelner Bergführer hin.

Der Geologe und Experte für Naturgefahren beim Schweizer Alpen-Club (SAC) sagte der SonntagsZeitung: „In immer höheren Lagen taut der Permafrost“. Dementsprechend verlangten ungenannte Bergführer: „Der Berg ist inzwischen zu instabil und deshalb zu gefährlich, um als Touristenattraktion herzuhalten, an der täglich zig Menschen hochsteigen.“ Im Sommer 2003 war der Aufstieg auf das Matterhorn nach einem mächtigen Felssturz aus Sicherheitsgründen bereits einmal verboten worden.

Jüngsten Messungen von Wissenschaftlern der ETH Zürich zufolge tauen Gesteinsschichten auf, die einst ständig vereist waren. Tatsächlich war diese sogenannte Auftauschicht noch nie so dick wie 2018. „Deshalb kommt es über 2.500 Metern Höhe und vor allem in nördlich exponierten Felswänden immer häufiger zu Steinschlag und Felsstürzen“, sagt SAC-Experte Keusen. Diese Entwicklung beobachtet er längst nicht nur am Horu, sondern auch auf klassischen Routen am Eiger oder am Schreckhorn. Keusen weiß von Bergführern, die risikoreiche Touren an diesen Orten nur noch im Winter anbieten. Im Sommer ist es ihnen schlicht zu gefährlich“, sagt er.

Die Boulevardzeitung Blick erklärte daraufhin, dass der Berg nicht gesperrt werden könne. Grund: Zu viele Wege führten auf den Gipfel. Zermatt Tourismus bestätigte das: „Eine Sperrung wäre absurd“, sagte Bergführer Benedikt Perren vom Outdooranbieter Zermatters. „Bergsteigen ist eine Risikosportart – dessen sind sich alle, die sich professionell im Hochgebirge bewegen, bewusst. Natürlich sind wir bestrebt, Risiken abzuschätzen und zu minimalisieren.“

Das Matterhorn neigt sich Richtung Zermatt – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Das Matterhorn neigt sich Richtung Zermatt

Nach sieben tödlichen Unfällen am „Horu“ schlagen einige Berg-Experten Alarm. Eine Datenauswertung zeigt, wie der berühmteste Berg der Schweiz wirklich unter dem Klimawandel leidet. Die Züricher Forscher beobachten unter dem Projektnamen PermaSense seit über zehn Jahren jede Regung der Gesteinsmassen am berühmtesten Berg der Schweiz. An 29 verschiedenen Stellen montierte Sensoren übermitteln Daten ins ETH-Rechenzentrum. Ziel der Forscher ist, Felsabbrüche besser voraussehen zu können.

PermaSense ist ein Konsortium von Forschenden und Forschungsprojekten, das verschiedene Ingenieur- und Umweltforschungsdisziplinen aus mehreren Schweizer Forschungseinrichtungen und Unternehmen zusammenführt. Wir entwickeln, implementieren und betreiben drahtlose Sensorsysteme, die auf den langfristigen autonomen Betrieb im Hochgebirge zugeschnitten sind. Um dieses zentrale Element herum entwickeln wir Konzepte, Methoden und Werkzeuge, um den Zusammenhang zwischen Klima, Kryosphäre (Permafrost, Gletscher, Schnee) und Geomorphodynamik zu untersuchen und zu quantifizieren. Sowohl das bessere Verständnis als auch die zuverlässige Beobachtung von Phänomenen wie Hanginstabilität sind von praktischer Relevanz und motivieren zu einer engen Zusammenarbeit mit den Behörden. Die langjährige Zusammenarbeit in diesem Konsortium entwickelt solides interdisziplinäres Know-how, Erfahrung und Netzwerke in den beteiligten Institutionen sowie in deren nationalen und internationalen Partnern.

Einzigartige Messkampagne und Naturgefahrenforschung

Im Hitzesommer 2003 ereignete sich am Matterhorn ein Felssturz, der Öffentlichkeit wie Forschung aufschreckte: Am Hörnligrat brachen 1500 Kubikmeter Fels ab – das entspricht etwa dem Volumen von zwei Einfamilienhäusern. Im steilen Fels klaffte eine Lücke, die mit Eis bedeckt war. Rasch wurde Fachleuten klar: Die Rekordhitze hatte den Fels bis in grosse Tiefen erwärmt und das Eis, das in Poren und Rissen enthalten war, geschmolzen. Dadurch fehlte plötzlich der Kitt, welche die Felsmassen zusammenhielt.

Dieser Felssturz war Auftakt für das Projekt PermaSense, ein ungewöhnliches, interdisziplinär ausgerichtetes Forschungsvorhaben von Geo- und Ingenieurwissenschaftlern der ETH Zürich und weiterer Institutionen, darunter die Universitäten Zürich und Basel. Seit 10 Jahren liefert das Drahtlos-Sensornetzwerk auf dem Hörnligrat am Matterhorn ununterbrochen Messdaten über den Zustand der Felsen, des Permafrosts und des herrschenden Klimas.

Das Projekt startete 2006 mit dem Ziel, Messungen und Beobachtungen zu erlauben, die bis zum damaligen Zeitpunkt nicht möglich waren. Die Forschenden wollten mithilfe modernster Geräte und Technologie in steilem Permafrost Messdaten in bisher unerreichter Menge und Qualität erheben.

Das ist ihnen nicht nur gelungen, die Forschenden haben das Ziel weit übertroffen, wie sie nun in der Fachzeitschrift Earth System Science Data berichten. Die Studie beschreibt einen einmaligen 10 Jahre umfassenden hochaufgelösten Datensatz, den die Wissenschaftler im Hochgebirge am Hörnligrat des Matterhorns in 3.500 m Höhe erhoben haben. 17 verschiedenen Sensortypen an 29 Stellen am Grat und an der Abbruchstelle verteilt lieferten 115 Millionen einzelne Datenpunkte.

Folgt: Einer der längsten, dichtesten und diversesten Datensätze in der Geschichte der Permafrostforschung