Lesehinweis: „Man blamiert sich schneller als erwartet“

SPON-Kolumne von Christian Stöcker

Das Wasser steigt, der Wald leidet: Die zerstörerische Kraft der Erderhitzung setzt die Regierungen der Welt unter Zeitdruck. Viele aber ziehen es vor, nicht die Krise anzugehen – sondern die, die vor ihr warnen“ – so Christian Stöcker in einer Kolumne auf SPIEGEL-Online, die er mit dem Satz beginnt: „Die Wortfolge der Woche lautet: ‚Schneller als erwartet.'“ Als ersten Beleg nennt Stöcker Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner, die gesagt hatte , der Klimawandel habe uns „deutlich schneller getroffen als erwartet“. Dass Klöckner jetzt so tue, als komme das alles überraschend, sei „nicht überraschend, aber trotzdem peinlich“.

– Foto © Solarify

„Schneller als erwartet“ steige auch der Meeresspiegel. Aber man könne „künftige Minister fast schon sagen hören, das sei jetzt alles etwas überraschend gekommen, ’schneller als erwartet'“. Stöcker weist (zu Recht) darauf hin, dass der IPCC bisher mit seinen stets zu optimistischen Prognosen zu einem falschen Erwartungshorizont geführt hat. Ganz im Gegensatz zu dem, was Klimaleugner dem Weltklimarat stets wider besseres Wissen gerne vorwerfen, nämlich Panik schüren oder Hypes befeuern.

Anmerkung: Solarify berichtete am 21.06.2019 über einen Artikel in den Geophysical Research Letters, wonach der nordkanadische Permaforstboden bereits jetzt so stark aufgetaut sei, wie es Experten erst für 2090 erwartet hätten (siehe solarify.eu/permafrost-der-kanadischen-hocharktis-taut-stark).

„Das kranke Mädchen“

„Schneller als erwartet“ (Stöcker) „flog der Regierungskoalition auch ihr Klimapäckchen um die Ohren, sodass schon in der Bundestagsdebatte angedeutet wurde, man könne die Tonne CO2 vielleicht doch noch ein klitzekleines bisschen teurer machen als eine Maß Bier auf dem Oktoberfest“. Doch erstaunlich viele Schreiberlinge fänden es dagegen „viel dringlicher“, auf ein anderes „Problem“ hinzuweisen: Greta Thunberg (siehe ihre UN-Rede in deutscher Übersetzung auf: solarify.eu/wir-haben-achteinhalb-jahre-zeit). „Seit mehr als 30 Jahren ist die Wissenschaft kristallklar“, hatte sie ausgerufen. „Wie können Sie es wagen, weiterhin wegzuschauen und hierher zu kommen und zu sagen, dass Sie genug tun, wenn die notwendige Politik und die notwendigen Lösungen noch nirgendwo in Sicht sind? Bei den heutigen Emissionswerten wird unser verbleibendes CO2-Budget in weniger als achteinhalb Jahren aufgebraucht sein.“ Stöcker nennt das “ absolut korrekt (und zitiert Edenhofers Berliner MCC). (Andere Budgetansätze gehen von noch geringeren Fristen aus – siehe oben: „zu optimistisch“ – agentur-zukunft.eu/co2-preis-und-kampf-gegen-ungleichheit.)

Stöcker zählt bemerkenswerte Entgleisungen auf: So habe das deutsche Magazin Cicero „in einem bemerkenswert herablassenden Text“ gefragt, ob Thunberg nicht das Klima „vergifte“. Die Welt habe sie – auf der Titelseite – eine „Populistin“ genannt und ihr „emotionale Eskalation“ vorgeworfen –  „und brachte all das geschmackssicher mit dem ‚Ende der Pubertät‘ in Zusammenhang“. Und Friedrich Merz – „weiterhin ohne Parteiamt für die CDU schwadronierend“, dessen „Leitkultur“-Vorstellung „offenbar elementare Höflichkeitsregeln ausspart“, habe Greta Thunberg gar „krank“ geheißen. Die Regierungskoalition sei dem gescheiterten CDU-Vorsitzenden zufolge „durch Greta Thunberg und den Uno-Weltklimagipfel unter enormen Zeitdruck geraten“. Stöcker: „Durch das ‚kranke Mädchen‘, wohlgemerkt, nicht durch die drohende Klimakatastrophe“.

Abschließend zitiert Stöcker, Kognitionspsychologe und Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, PIK-Forscher Stefan Rahmstorf – der habe die Attacken auf Thunberg so kommentiert: „Ich kann dafür bürgen, dass sie aus ihrer eigenen authentischen Motivation heraus handelt, und sie kennt die Wissenschaft. Ich würde mir wünschen, mehr Politiker wären so gut über die Klimaforschung informiert. Warum ist das nicht der Fall?“ Lakonisches Fazit des SPON-Kolumnisten: „Auch das ist eine Folge der Klimakrise: Mit peinlichen Ablenkungsmanövern und Ad-Hominem-Attacken statt Argumenten blamiert man sich heute schneller als erwartet.“

->Quelle und vollständige Kolumne: