Studie: „Beispielloser“ Rückgang der Kohlenutzung in Westeuropa

Ausgekohlt? Zumindest geht der Anteil der Kohle an der Energieproduktion in Europa zurück – aber auch Indien ist rückläufig

Die weltweite Energieproduktion per Kohle wird 2019 voraussichtlich um drei Prozent fallen. Das ist die  bisher größte Kohlekraft-Reduzierung. Westeuropa entpuppt sich dabei als führend, wie eine am 25.11.2019 veröffentlichte Studie zeigt. Frédéric Simon hat sie sich für EURACTIV.com angesehen.

Kohlekraftwerk Niederaußem, RWE – Foto © Franziska Vogt für Solarify

Die Europäische Union hat in der ersten Jahreshälfte 2019 einen „beispiellosen“ Rückgang der Kohleverstromung von 19 Prozent gegenüber dem Vorjahr verzeichnet, so die Daten von Carbon Brief, einer Website für Klimaanalysen und -nachrichten.

Dabei treten vor allem die westeuropäischen Staaten als Vorreiter auf: In Irland ist die Kohlenutzung um bis zu 79 Prozent gegenüber dem Vorjahr gefallen; in Deutschland immerhin um 22 Prozent.

Kohle machte im ersten Halbjahr 2019 in Irland, Frankreich und dem Vereinigten Königreich weniger als zwei Prozent des Strommixes aus, in Spanien und Italien ebenfalls nur sechs Prozent. Im Mai stellte das Vereinigte Königreich sogar alle seine Kohlekraftwerke für zwei Wochen ab – das erste Mal seit Beginn der industriellen Revolution.

Dieser Trend dürfte sich in der zweiten Jahreshälfte noch beschleunigen, so dass es EU-weit zu einem geschätzten Rückgang von 23 Prozent für das Gesamtjahr 2019 kommen wird, heißt es im Bericht von Carbon Brief.

Erneuerbare und Gas

In Europa ist der Rückgang vor allem auf das Emissionshandelssystem (ETS) der EU zurückzuführen: Die Preise auf dem EU-Kohlenstoffmarkt sind von fünf Euro im Jahr 2017 auf aktuell rund 25 Euro pro Tonne CO2-Emission gestiegen. Dies habe dazu geführt, dass Kohlekraftwerke die Produktion einstellen oder zumindest drosseln müssen.

„Das Gesamtergebnis hängt im Wesentlichen vom EU-ETS ab,“ glaubt auch Simon Evans, stellvertretender Redakteur bei Carbon Brief. „Das ist der Hauptgrund dafür, dass die Kohlekraftwerke nicht mehr mit voller Leistung betrieben werden,“ sagte er gegenüber EURACTIV. Andere Faktoren seien der deutliche Ausbau von Wind- und Solarenergiekapazitäten, neue Energieeffizienzmaßnahmen sowie die Energieerzeugung per Gas als Ersatz für Kohle, so Evans.

In Europa sei „rund die Hälfte des Rückgangs der Kohle eine Auswirkung neuer Wind- und Sonnenenergiekapazitäten,“ heißt es im Carbon Brief Bericht. Die andere Hälfte sei „auf die Umstellung von Kohle auf Gas zurückzuführen“.

Weniger Fortschritt in Mittel- und Osteuropa

In Mittel- und Osteuropa ist der Rückgang der Energieproduktion durch Kohle jedoch deutlich geringer. Dies sei auf die „auf nahezu null beschränkte Installationen von Wind- und Solaranlagen“ sowie auf „recht begrenzte“ Gaskapazitäten als Kohle-Ersatz zurückzuführen, heißt es in der Studie.

Man könne zwar europaweit feststellen: „Der Kohle-Gas-Wechsel ist erfolgt, als der CO2-Preis im EU-Emissionshandelssystem über 20 Euro pro Tonne CO2 stieg und die Gaspreise sanken. Das führte dazu, dass die Gasproduktion im ganzen Jahr 2019 billiger war als Kohle.“ Da aber in Europa nur wenige neue Gaskraftwerke gebaut werden, dürfte „die weitere Umstellung von Kohle auf Gas in den kommenden Jahren eingeschränkt sein“, so Carbon Brief.

Der für den Bericht verantwortlich zeichnende Evans warnt außerdem: „Der Wechsel von Kohle auf Gas spart CO2 ein; aber das ist eine einmalige Verbesserung.“ Länder, die Klimaneutralität anstreben, müssten daher „darüber hinausgehen“. Notwendig sei dabei eine Kombination aus Energieeffizienzmaßnahmen zur Senkung des Verbrauchs und ein weiterer Ausbau der erneuerbaren Energien.

In Zukunft dürfte Energie aus Wind und Sonne „der treibende Faktor sein, der nicht nur die Kohleerzeugung, sondern auch die Gasproduktion verdrängt“, erwartet Carbon Brief. Voraussetzung dafür sei aber auch, dass das Nachfragewachstum begrenzt bleibt oder negativ wird.

Die globale Perspektive: China, Indien und die USA

Auch für andere Teile der Welt stellte die Studie einen Rückgang der Kohleenergieproduktion fest: So habe es eine Abflachung des Kohlewachstums in China gegeben sowie eine „scharfe Trendwende in Indien, wo die Kohleproduktion zum ersten Mal seit über drei Jahrzehnten wieder zurückgehen wird“. In Indien geraten die Betreiber von Kohlekraftwerken zunehmend unter Druck. Wie eine neue Studie von KPMG India feststellt, könnte ein Großteil der fossilen Kraftwerke ab 2022 eher eine Rolle ähnlich eines Energiespeichers erhalten. Sie könnten dann mögliche Stromreserven bereitstellen, um die Netzvariabilität bei Bedarf auszugleichen. Denn ca. ab diesem Zeitpunkt könnte die Anlagenauslastung von vielen Kohlekraftwerken auf 35-40% fallen. Kohlekraftwerke wären also nicht mehr die „Bollwerke der [Energie-]Versorgung“, sondern würden zunehmend an- und abgeschaltet, je nach Energiebedarf. Damit dies geschieht müssten bis zum Jahr 2022 in Indien insgesamt 120GW an Erneuerbaren Energien installiert werden. Und dies ist ein mehr als wahrscheinliches Szenario. „Die Nachricht vom aufkommenden Szenario eines Anlagenauslastungsfaktors von 40% in konventionellen Kohlekraftwerken ist in der Tat [für indische Verhältnisse] eine positive Disruption und ein Indikator für eine schnelle Energiewende“, sagt auch Pranav R. Mehta, der Vorsitzende des Global Solar Council und Präsident des indischen Solarverbandes National Solar Energy Federation of India.

Die Gründe für den Rückgang sind von Land zu Land unterschiedlich, umfassen aber nahezu immer eine verstärkte Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen, Atomenergie und Gas sowie eine verlangsamte oder negative Entwicklung der Energienachfrage.

[aus dem Englischen von Tim Steins, bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]  

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