Klimanotstand in Europa ausgerufen

EU-Parlament mit großer Mehrheit für Antrag

Kurz vor der UN-Klimakonferenz COP25 in Madrid vom 2. bis 13. Dezember hat das Parlament am 28.11.2019 mit mit 429 gegen 225 Stimmen eine Resolution verabschiedet, mit der es den Klima- (siehe solarify.eu/klimanotstand) und Umweltnotstand für die EU ausruft. Es fordert die Kommission zudem auf, dafür zu sorgen, dass alle relevanten Gesetzes- und Haushaltsvorschläge vollständig mit dem Ziel übereinstimmen, die Erderwärmung auf unter 1,5° C zu begrenzen. Zudem soll die EU die CO2-Emissionen bis 2030 um 55% senken, damit Europa bis spätestens 2050 klimaneutral wird. Und: Die weltweiten Emissionen aus Schifffahrt und Luftfahrt müssten verringert werden, fordert das Parlament.

Die EU-Kommission soll sich bei der UN-Konferenz dazu zu verpflichten, die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2050 auf null zu senken, so das Parlament. In einer getrennten Entschließung forderte das Parlament (mit 430 Stimmen Mehrheit) die EU nachdrücklich auf, ihre Strategie zur Klimaneutralität im Rahmen des Übereinkommens der Vereinten Nationen über den Klimawandel vorzulegen, die aufzeigen soll, wie die EU Klimaneutralität so bald wie möglich, spätestens aber bis 2050, erreichen will. Die Abgeordneten fordern die neue Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, auf, in den von ihr angekündigten „Green Deal für Europa“ eine Vorgabe von 55% Emissionsreduzierung bis 2030 aufzunehmen. Die Europäische Kommission hat bereits das Ziel vorgeschlagen, die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2050 auf null zu senken, aber der Europäische Rat hat dies noch immer nicht gebilligt, da Polen, Ungarn und Tschechien dagegen sind.

Schiffsabgase im Hafen von Malaga – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Stärkerer und schnellerer Rückgang der Emissionen im Schiffs- und Luftverkehr

Die derzeitigen Maßnahmen zur Emissionsreduzierung im Schiffs- und Luftverkehr seien nicht ehrgeizig genug, so die Abgeordneten. Alle Länder sollten die Emissionen des internationalen Schiffs- und Luftverkehrs in ihre national festgelegten Beiträge (NDCs – Nationally Determined Contributions, siehe solarify.eu/ndcs-nationally-determined-contributions) aufnehmen, fordern sie, und verlangen von der Kommission, vorzuschlagen, dass der Seeverkehr in das Emissionshandelssystem (ETS) der EU einbezogen werden soll.

Mehr Geld für die Bekämpfung des Klimawandels

Das Parlament hält die Mitgliedstaaten dazu an, ihre Beiträge zum globalen Klimaschutzfonds mindestens zu verdoppeln – dessen Auffüllung sei sehr wichtig. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sind die größten öffentlichen Geber von Finanzmitteln für den Klimaschutz, so der Text der Entschließung, und der Haushalt der EU sollte mit ihren internationalen Verpflichtungen in diesem Bereich im Einklang stehen. Die Abgeordneten stellten weiter fest, dass die tatsächlichen Zusagen der Industrieländer immer noch weit hinter dem gemeinsamen Ziel von 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr ab 2020 zurückbleiben. Schließlich fordern sie alle Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, alle direkten und indirekten Subventionen für fossile Brennstoffe bis 2020 abzuschaffen.

Zitat

„Das Europäische Parlament hat gerade einen ehrgeizigen Standpunkt im Hinblick auf die bevorstehende COP25 in Madrid angenommen. Angesichts der Klima- und Umweltkrise ist es unerlässlich,+ unsere Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 % zu reduzieren. Es ist auch eine klare Botschaft an die Kommission, einige Wochen vor der Veröffentlichung der Mitteilung zum ‚Green Deal‘ für Europa“, sagte Pascal Canfin (RENEW, FR), Vorsitzender des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit, während der Debatte am 25.11.2019.

Parlament auf der COP25

Die COP25 findet vom 2. bis 13. Dezember 2019 in Madrid statt. Der Präsident des Europäischen Parlaments David Maria Sassoli (S&D, IT) wird an der Eröffnung teilnehmen. Eine Delegation des Europäischen Parlaments unter der Leitung von Bas Eickhout (Grüne, NL) wird vom 9. bis 14. Dezember dort sein.

Kontroverse Vorab-Diskussion

Die Ausrufung des Klimanotstandes ist ein symbolischer Akt, der aber Druck machen soll, damit es bald konkrete Gesetzgebung gibt. Das Europaparlament will damit nach eigenen Angaben unterstreichen, dass wegen des Klimawandels dringend gehandelt werden müsse. Der Resolution vorausgegangen war eine kontroverse Diskussion. Den Konservativen geht der Begriff „Notstand“ zu weit, den Grünen nicht weit genug, berichtete tagesschau.de.

Einige deutsche Abgeordnete hatten gefordert, dass statt von „Notstand“ von „Notfall“ gesprochen wird. Der umweltpolitische Sprecher der EVP-Fraktion, der CDU-Politiker Peter Liese hielt die Resolution generell für unnötig. „Wir brauchen sie nicht. Wir sollten uns auf konkrete Punkte konzentrieren.“ Die umweltpolitische Sprecherin der SPD-Abgeordneten im Europäischen Parlament, Delara Burkhardt, erklärte, die Fraktion der Sozialdemokraten stehe hinter der Formulierung „Notstand“.

 

Michael Bloss, Sprecher für Klimapolitik der Grünen-Fraktion, betonte die Symbolik der Resolution. „Für uns ist es wichtig, dass wir die Klimakrise als das anerkennen, was sie ist“, sagte er. Die Politik müsse aber auch Handlungsfähigkeit beweisen und in der Entschließung konkrete Konsequenzen einfordern, beispielsweise die Erhöhung der Klimaziele.

„Von Notstand zu faseln, ist verantwortungslos“ – Presseschau im DLF

Die Neue Osnabrücker Zeitung reagiert auf den Beschluss mit Unverständnis: „Bei allem Respekt vor der europäischen Idee, die Frage muss erlaubt sein: Hat eine Mehrheit des Europäischen Parlaments die Nerven verloren? Oder warum ruft Europa den Klimanotstand aus, als drohe in Kürze die Apokalypse? In der Menschheitsgeschichte gab es schon viele Untergangsszenarien. Wir werden auch diese düsteren Prophezeiungen überleben. Doch es ist beängstigend, wie immer größere Teile Europas von einer gewissen Hysterie ergriffen werden“.

Die Rheinpfalz aus Ludwigshafen befürchtet: „Das Straßburger Parlament ist Ko-Gesetzgeber in der EU. Wenn dieses Parlament den Klimanotstand ausruft, erwarten die Menschen kurzfristig einschneidende Maßnahmen, um den Notstand abzuwenden. Hier kann das Parlament nichts liefern. Politiker jedoch, die nur die Alarmglocken schrillen lassen, aber nichts liefern, sorgen für Frust beim Wähler“.

Für die Welt bleibt offen, was die Ausrufung des Klimanotstands genau bedeutet: „Wird es weiter Agrarsubventionen für Rinderzüchter geben? Wird man Airbus im Duell mit Boeing finanziell hängen lassen? Wird die EU die Zahl ihrer parlamentarischen Arbeitsorte konsequenterweise von drei auf einen verringern, um den bizarren und noch dazu klimaschädlichen Pendelverkehr der Abgeordneten und ihrer Entourage zu beenden? Oder wird alles dann wieder doch nicht so ernst gemeint sein?“.

Nach Ansicht der Mitteldeutschen Zeitung haben die Menschen „genug von solcher Symbolpolitik. Sie wollen Ergebnisse, konkrete Beschlüsse, verbindliche Absprachen. Wer das nicht liefern kann, wird das Defizit nicht mit großen Worten füllen können. Es ist nämlich tatsächlich egal, mit welchem Begriff die ökologische Situation dieses Planeten belegt wird. Entscheidend sind die Vereinbarungen, die machbar, wirkungsvoll und nachhaltig sein müssen. Aktionismus rettet die Erde nicht“.

„Auch wenn es gerade junge Menschen voller Idealismus ungern hören mögen“, so die  Badische Zeitung, „Panik und Hysterie waren noch nie gute Ratgeber. Und Politiker, die sich als Verstärker von Stimmungen hervortun, ist meist mehr an öffentlichen Lorbeeren gelegen denn an Lösungen. Letzteres hat wohl damit zu tun, dass Lösungen schwer zu erreichen sind in unserer globalisierten Welt voller widerstreitender Interessen. Deshalb aber von Notstand zu faseln, ist verantwortungslos“.

Die Zeit: Das ist eher eine Art Nervenzusammenbruch, als dass es die Klimapolitik konkret weiterbrächte. Notstand, das ist Ausnahmezustand, das verlangt nach außergewöhnlichen Maßnahmen. Ab morgen früh also werden grün uniformierte Freiwillige Straßensperren errichten und alle CO2-Sünder aus dem Verkehr ziehen. Die Fahrer werden – nach entsprechender Belehrung – nach Hause entlassen, wohin sie sich zu Fuß begeben müssen, denn die Dreckschleuder namens Auto wird eingezogen und umweltschonend verschrottet. Natürlich wird nichts davon geschehen. Aber warum hat das Europarlament den Klimanotstand ausgerufen? „Um Druck auszuüben“, sagen die Parlamentarier. Ganz so, als wüssten die Europäer nicht, dass der Kampf gegen die Erderwärmung die dringlichste aller Aufgaben ist, ganz so, als würde in diesem Bereich nichts geschehen. Was die Europaparlamentarier bedenken sollten: Ihre Notstandsresolution eröffnet den Blick auf einen düsteren Horizont. Maßnahmen wie die weiter oben geschilderten erscheinen nicht mehr völlig verrückt, sie erscheinen jetzt möglich, ja sogar gerechtfertigt.“

->Quellen: