„Chance für ökologisches Wirtschaftswunder“ oder „viel Tamtam, wenig Substanz“

Reaktionen auf Green New Deal

„Was für ein Tag, was für ein Konzept! Mit dem Europäischen Green Deal hat die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schnell und konsequent erfüllt, was sie im Juli bei ihrer Antrittsrede versprach: Einen umfassenden Plan für den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft in Europa vorzulegen. Das Vorhaben umweht der Nimbus des New Deal von Franklin D. Roosevelt. Mit seinen Wirtschafts- und Sozialreformen boten die USA der Wirtschaftskrise die Stirn, das Land schöpfte angesichts der „Großen Depression“ neue Hoffnung“, so der Tagesspiegel-Background zum Green New Deal der neuen EU-Kommissions-Chefin Ursula von der Leyen. Solarify stellt Reaktionen zusammen.

Blühende Landschaften – © Bild von Tilgnerpictures auf Pixabay

„Die Ankündigung von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist historisch – auch wenn der Green Deal, Stand heute, lediglich ein Plan ist“, kommentiert Andreas Kuhlmann, Vorsitzender der Geschäftsführung der Deutschen Energie-Agentur (dena). „Einer der weltweit größten Wirtschaftsräume würde sich damit an die Spitze der Klimapolitik setzen, zumindest was die Beschreibung der Ziele angeht.“ Die Zielverschärfung sei mit Blick auf die internationalen Vereinbarungen konsequent, aber auch wagemutig. „Es gibt bislang keinerlei belastbare Szenarien, wie der Weg zum Ziel gestaltet werden kann.“

Kuhlmann sieht die Bundesregierung in der Pflicht zu handeln, wenn die EU den Green Deal beschließt. „Die Erhöhung der Klimaziele hätte erhebliche Auswirkungen auf die deutsche Klimapolitik“, sagt der dena-Chef. „Vereinbarungen wie beispielsweise die aus der so genannten Kohlekommission oder im gerade erst verabschiedeten Klimaschutzprogramm 2030 wären hinfällig und überarbeitungsbedürftig. Der im neuen Klimaschutzgesetz vorgesehene Prozess zum Nachsteuern würde dafür nicht ausreichen.“

Helmholtz-UFZ:

„Wenn die EU-Rechtsetzung gelingt, ergibt sich aus dem Vorrang des EU-Rechts die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, ihre Rechtsordnung an das Recht der EU anzupassen. Das gilt dann auch für Deutschland“, erklärt Wolfgang Köck vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). „Da die deutsche Politik mit Blick auf den Klimaschutz unter hohem Druck steht, weil das Klimaschutzthema relevant für Wahlen geworden ist, gehe ich davon aus, dass sich Deutschland bei der Formulierung einer neuen EU-Klimaschutzpolitik konstruktiv zeigen wird.“

DIW: „Klimaziele an die ambitionierteren Ziele anpassen“

„Deutschland muss nun seine Klimaziele weiter schärfen und an die ambitionierteren Ziele anpassen“, ist Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) überzeugt. „Mit dem EU Green Deal kann Europa bei erfolgreicher und ambitionierter Umsetzung eine Vorreiterrolle im internationalen Klimaschutz übernehmen.“ Die ehrgeizigen Emissionsminderungsziele für 2020 und 2030 sowie die vollständige Vermeidung von Emissionen bis 2050 zusammen mit dem Investitionsplan werden die europäische Wirtschaft stärken können, so Kemfert.

BDEW: „Europäisches Emissionshandelssystem auf Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft ausweiten“

Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Deutschen Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), hält es für ein wichtiges Signal, dass die Europäische Kommission die Klima- und Energiepolitik so stark ins Zentrum ihrer künftigen Arbeit stellen wird. „Für die Umsetzung ambitionierter Ziele müssen allerdings dringend die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit ehrgeizige Vorgaben auch erreicht werden können. Das bedeutet konkret: Der Ausbau der Windenergie muss beschleunigt werden, gleiches gilt für die Photovoltaik und den Netzausbau“, sagt Andreae. Erforderlich sei auch eine europäische Wasserstoff-Strategie, um die Potenziale dieses Energieträgers für die Klimapolitik nutzen zu können. „Bei allen geplanten Maßnahmen müssen die Kriterien einer jederzeit sicheren Energieversorgung und die Bezahlbarkeit für die Verbraucher ebenfalls im Mittelpunkt stehen“, betont Andreae.

BEE: „Der European Green Deal sendet ein wichtiges Signal aus Brüssel an die Mitgliedsstaaten: Die EU stellt die sektorübergreifende Energiewende ins Zentrum ihrer Politik und wird dabei nicht auf nationale Regierungen warten“, kommentiert Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE). Dennoch bleibe festzuhalten, dass das Pariser Klimaschutzabkommen mit dem wenig ambitionierten CO2-Reduktionsziel von 50 bis 55 Prozent bis 2030 voraussichtlich verfehlt und damit auch die geplante Nettotreibhausgasneutralität bis 2050 nicht zu schaffen sein werde.

VKU: „Der Vorstoß der neuen EU-Kommission, einen Green Deal auf den Weg zu bringen, ist nur konsequent“, sagt Michael Ebling, Präsident des Stadtwerkeverbandes VKU. „Entscheidend ist, dass die Sektoren Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft stärker und verbindlicher adressiert werden, um CO2 einzusparen. Notwendig dafür ist, das europäische Emissionshandelssystem (ETS) auf diese Sektoren auszuweiten und einen sektorübergreifenden CO2-Preis zeitnah einzuführen.“

Franz Alt schreibt auf seiner Sonnenseite: „Kann Ursula von der Leyens „Mondlandung“ klappen? Der Unterschied zwischen der Mondlandungs-Vision Kennedys 1961 und von der Leyens Klimavision für 2050: An die Mondlandung glaubten von Anfang an alle fast alle Beteiligten, doch in Brüssel gibt es vom ersten Tag an Bedenkenträger. Zum Beispiel osteuropäische Regierungen, deutsche Autobauer, polnische Kohlekumpels oder französische Landwirte. Sie alle warnen reflexartig vor hohen Kosten, vor Arbeitslosigkeit, vor einer möglichen De-Industriealisierung.“

Und Alt dekliniert die vorgebrachten Bedenken durch: Es sei richtig, dass Klimaschutz viel Geld koste. Aber richtig sei auch, „dass kein Klimaschutz noch viel mehr Geld kostet“. Es stimme auch, dass die Energiewende Arbeitsplätze koste – bei den alten Energieträgern; aber im Rahmen der Erneuerbaren Energien entstünden weit mehr neue Arbeitsplätze: Laut Weltagentur für Erneuerbare Energien (IRENA) können wir bis 2030 global 30 Millionen Jobs durch die Energiewende schaffen – 11 Millionen seien es bis 2018gewesen. Ob die hundertprozentige Energiewende  bis 2050 technisch zu schaffen sei:“Von fünf Prozent Ökostrom im Jahr 2000 hat Deutschland bis 2019 46% Ökostrom geschafft. Es geht, wenn der politische Wille da ist.“

Laut Alt ist der grüne New Deal „Voraussetzung für das Erreichen der Pariser Klimaschutzziele, die globale Erwärmung bei unter zwei Grad zu stoppen. Jetzt sind die EU-Mitgliedstaaten gefragt, die neue Vision auch umzusetzen. Immerhin hat das EU-Parlament soeben den Klimanotstand ausgerufen und damit anerkannt, dass dringender Handlungsbedarf besteht.“

Bolsinger: „Es wird sich etwas ändern!“

Der Würzburger Wirtschaftsethiker Harald Bolsinger bezieht den Green New Deal auf die EZB: „Eine Aufhebung der Ethikblindheit der EZB kann Frau Lagarde sofort durch negative Diskriminierung von unethischen Wertpapieren im Sinne der EU-Grundrechtscharta umsetzen. Während für viele Schritte des Green Deal noch Regulierung erforderlich ist, kann und muss die EZB sofort beginnen. Damit wäre das Goldene Kalb eines vermeintlich zwingend ethikblinden Eurosystems ein für alle Mal vom Sockel gestoßen. Sollte die EZB dies nicht umsetzen und die Europäische Kommission die Untätigkeit dulden, besteht die Möglichkeit, den juristischen Weg im Rahmen einer Untätigkeitsklage und/oder Nichtigkeitsklage einzuschlagen. Doch ein derartiges Armutszeugnis wäre Europa unwürdig. Der politische Weg ist allemal besser – zum Beispiel durch Unterstützung der EU-Petition 0429/2017, die ab 1 Mio. Unterstützer*innen das Gewicht einer europäischen Bürgerinitiative bekommen würde.

Es wird sich ändern! Neue Köpfe mit ethischem Sachverstand sind jetzt an der Macht. Eine neue EZB-Präsidentin und eine neue EU-Kommissionspräsidentin, die gemeinsam unsere EU- Grundrechtscharta und die Lissaboner Verträge zu ihrem Antritt in die Kamera halten. Sicher haben sie diese auch gelesen! Jetzt brauchen sie diese nur noch umzusetzen – erinnern wir sie immer wieder daran…“

 FAZ: Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG schreibt zu den Plänen für ein klimaneutrales Europa bis 2050: „EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen hat große Erwartungen geweckt. Mit ehrgeizigen Klimazielen soll die EU – pünktlich zum Ende der Klimakonferenz von Madrid – wieder Vorreiter im Klimaschutz werden. Zugleich soll niemand auf der Strecke bleiben. Ein Übergangsfonds etwa soll besonders ‚geforderte‘ Regionen und Branchen unterstützen. Das klingt gut – auch wenn nicht nur Grüne bemängeln, dass sie mit derselben Botschaft jahrelang auf taube Ohren gestoßen sind. Damit Veränderungen möglich werden, muss sich manchmal der gesamtpolitische Rahmen wandeln – und das ist mit den Erfolgen der Grünen bei der Europawahl und dem nicht abreißenden Zulauf für die Demonstrationen der Fridays-for-Future-Bewegung der Fall“, findet die F.A.Z.

Badische Zeitung

„Viel Tamtam, wenig Substanz“, so fasst es die BADISCHE ZEITUNG zusammen und fragt: „Wie hat es die neue EU-Kommission geschafft, in solchem Tempo ihre Pläne für einen ‚grünen Pakt‘ für Europa vorzulegen? Schließlich ist Ursula von der Leyen keine zwei Wochen im Amt. Betrachtet man sich das Werk, wird schnell klar: Es enthält kaum Neues. Bekannte Klimadaten werden gemischt mit lange auf dem Tisch liegenden Ideen. Hinzu kommen strengere Zielvorgaben zum Klimaschutz und eine Rechnung, wie teuer uns Nichtstun zu stehen käme. Die von der EU-Kommission vor Jahren verlorene Schlacht um strengere CO2-Grenzwerte für Pkw hat gezeigt, wie wenig die Brüsseler Beamten bewirken können, wenn die Mitgliedsstaaten aus Angst um Arbeitsplätze und Wählerstimmen nicht mitziehen“, erinnert die BADISCHE ZEITUNG aus Freiburg.

Die Welt

Aus Sicht der Zeitung DIE WELT scheint es, als hätten sie nur auf Ursula von der Leyen gewartet: Unternehmer, politische Gegner, Umweltschützer – sie alle applaudieren ihrem „Green Deal“: „Es ist ein Vorhaben von historischer Tragweite. Jetzt beginnt die richtige Arbeit, um aus der Vision auch Politik zu machen. Gesetze müssen geschrieben und von den Mitgliedstaaten, die in der EU das letzte Wort haben, abgesegnet werden. Ob und wann sich die nationalen Regierungen auf von der Leyens Vision festlegen lassen, ist aber völlig unklar, denn die neuen Regeln aus Brüssel können enorme Wirkung entfalten und teuer werden“, hält DIE WELT fest.

Mitteldeutsche Zeitung

„Um nachfolgenden Generationen eine Erde zu übergeben, die nicht kollabiert ist, braucht die EU Nachahmer“, unterstreicht die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG aus Halle: „Deshalb muss bei allen berechtigten Zweifeln über die noch ausstehenden Details das Projekt gelingen. Weil sonst die Kosten für die Folgen des Klimawandels die Aufwendungen für deren Vermeidung übersteigen. Ein grünes Europa ist kein Rückfall, sondern ein Fortschritt. Industrie, Verkehr, privates Leben, das Wohnen und Reisen zukunftsfähig zu machen, wird der Schlüssel dafür, dass es künftig überhaupt noch Wohlstand gibt“, hebt die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG hevor.

Neues Deutschland

Die Zeitung NEUES DEUTSCHLAND sieht folgendes Problem bei der Umsetzung der Pläne: „Letztlich entscheiden die Mitgliedstaaten, was in den Gesetzgebungsverfahren von den Plänen übrigbleibt. Doch wie sollen sich Regierungen, die den Klimaschutz vorantreiben, und solche, für die dieser Teufelszeug ist, auf eine gemeinsame Strategie einigen? Die Roadmap zur Klimaneutralität ist daher wie die EU selbst: eine Hülle um hehre europäische Werte, die jetzt auch ergrünen sollen. Umso wichtiger wird der Druck der Bürger und der Klimabewegung sein, damit aus einem guten Ansatz ambitionierte Realpolitik wird.“

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