„Klimaschutz statt Kohleschmutz“: Es hakt beim Kohleausstieg

DIW-Papier: „Bis 2030 aussteigen!“

„Die aktuellen Klimaschutzziele der Bundesregierung sind nicht kompatibel mit europäischen und globalen Zielen zur Senkung der klimaschädlichen Emissionen“, stellt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) in einer im Auftrag des BUND Deutschland erstellten und am am 13.02.2020 publizierten Studie fest. Eine BUND-Medienmitteilung dazu: „Die Kohlepolitik der Bundesregierung ist ein Irrweg. Mit ihrem Kohleausstiegsgesetz reißt die Große Koalition alle europäischen und globalen Emissionsminderungsziele – und ihre eigenen. Ohne Korrekturen und eine deutliche Beschleunigung führt dieser Ausstiegspfad in ein klimapolitisches Desaster.“

LEAG-Tagebau Welzow-Süd - Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

LEAG-Tagebau Welzow-Süd – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Ohne weitere Emissionsminderungsmaßnahmen drohten laut DIW selbst die derzeitigen Ziele verfehlt zu werden. Die Emissionsminderungsziele für Deutschland müssten daher deutlich angehoben werden und durch entsprechende Maßnahmen – wie einen beschleunigten Kohleausstieg umgesetzt werde, so eine BUND-Medienmitteilung: „Der von der Bundesregierung aktuell anvisierte Kohleausstieg weicht in entscheidenden Punkten von den Empfehlungen der Kohlekommission ab. Dies betrifft vor allem die zu späte Abschaltung von Braunkohlekraftwerken und die Inbetriebnahme vom Steinkohlekraftwerk Datteln IV. Ein Kohleausstieg im Einklang mit internationalen Klimaschutzzielen müsste bis zum Jahr 2030 erfolgen. Die Emissionen könnten in diesem Fall um 1,8 Milliarden Tonnen CO2 niedriger sein und so die Pariser Klimaziele einhalten.“

Die Inbetriebnahme von Datteln 4 erhöht laut BUND die Mehremissionen trotz angeblicher Kompensationen drastisch. Das weitere Abbaggern von Dörfern für Kohle ist zwar politisch gewollt, aber energiepolitisch absolut unnötig. DIW-Abteilungsleiterin Energie, Verkehr, Umwelt Claudia Kemfert: „Die Berechnungen belegen, dass bei gleichbleibendem Ausbau der Erneuerbaren Energien und dem vorgelegten Abschaltplan für Braun- und Steinkohlekraftwerke die Klimaziele nicht erreicht werden können, wenn nicht gegengesteuert wird. Ein Großteil des Deutschland zur Verfügung stehenden Emissionsbudgets wäre mit diesem Plan bereits frühzeitig durch die Energiewirtschaft aufgebraucht. Vergleicht man den Gesetzentwurf mit den ursprünglichen Empfehlungen der Kohlekommission, werden bis 2040 circa 134 Millionen Tonnen mehr CO2 ausgestoßen.“

Die aktuellen Pläne der Bergbautreibenden sehen (in Absprache mit der Bundesregierung) die Zerstörung mehrerer Dörfer in NRW sowie von Mühlrose in der Lausitz vor. Die aktuellen Planungen des Tagebaus Hambach gefährden zudem das Überleben des Hambacher Waldes. Im noch förderbaren Teil der Tagebaue Hambach und Garzweiler lagern jedoch ausreichend Kohlemengen (ab Januar 2020 noch insgesamt 736 Millionen Tonnen Braunkohle), um den Weiterbetrieb der umliegenden Kraftwerke (ungefähr 672 Millionen Tonnen Braunkohle bei einem Kohleausstieg in 2038) sicherzustellen ohne weitere Dörfer umsiedeln zu müssen. Darüber hinaus gewährleistet ein Zubau Erneuerbarer Energien die kontinuierliche Energieversorgung der Region. Es besteht somit keine energiewirtschaftliche Notwendigkeit für den Aufschluss der ursprünglich geplanten Tagebauflächen. Somit entfällt auch ein mögliches Allgemeinwohlinteresse an dem Aufschluss des Tagebaus.

Für eine erfolgreiche Energiewende muss der Ausbau Erneuerbarer Energien weiter fortgesetzt und beschleunigt werden. Ohne weitere Maßnahmen steuert die Bundesregierung auf einen Anteil von maximal 49% Erneuerbarer Energien in 2030 zu. Dies wäre eine klare Verfehlung der (bereits zu niedrigen) Ziele von 65%. Der PV-Deckel und diskutierte Mindestabstandsregeln für Windenergie müssen daher überarbeitet werden, um die Transformation nicht aufzuhalten. Für den benötigten beschleunigten Ausbau auf 75% in 2030 würden dagegen jährlich 9,8 GW Photovoltaik und 5,9 GW Wind Onshore zugebaut werden müssen.

Doch der Deckel für Photovoltaik und die umstrittenen Mindestabstandsregeln für Windenergie verhindern den notwendigen Ausbau der Erneuerbaren. Für eine erfolgreiche Energiewende müssten erneuerbare Energien laut der Studie bis 2030 einen Anteil von 75 Prozent betragen. Dies entspricht einem Zubau von jährlich 9,8 Gigawatt (GW) Photovoltaik und 5,9 GW Wind Onshore.

„Das Kohleausstiegsgesetz ist ein gezielter Plan, den Kohleausstieg dauerhaft zu verzögern, und mit inakzeptabel hohen Entschädigungen verbunden. So würde es zum Hemmschuh für den kurzfristig notwendigen Klimaschutz und läutet eine neue Phase der klimapolitischen Konflikte in Deutschland ein, statt sie zu lösen“, sagt Olaf Bandt, Vorsitzender des BUND. „Das Gesetz spricht dem Ergebnis der Kohlekommission, das ohnehin nur ein Minimalkonsens war, Hohn. Es ist ebenso das Versagen der Führungen der Kohle-Bundesländer Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Nordrhein-Westfalen. Anstatt den Lebensraum und die Gesundheit ihrer Bürgerinnen und Bürger, haben sie in den Verhandlungen allein die Interessen der Kohleindustrie vertreten und sich so auch vom Kompromiss verabschiedet“, so Bandt. In der Kohlekommission hatte erstmals Politik, Wissenschaft, Industrie, Umweltverbände und Gewerkschaften in einem echten Dialog diese entscheidende klimapolitische Frage diskutiert und Vorschläge gemacht.

„Der aktuelle Gesetzentwurf der Regierung macht diesen Konsens kaputt“, so Bandt. „Das Gros der Braunkohlekraftwerke wird erst nach 2034 abgeschaltet. Und als wäre das nicht schlimm genug, erhalten die Betreiber der Dreckschleudern dafür auch noch hohe Entschädigungen aus der Steuerkasse. Und das alles für ein Auslaufmodell wie die Braunkohle!“ Bandt appelliert an den Bundestag und die betroffenen Bundesländer, diesen Entwurf zu stoppen und zum gesellschaftlichen Kompromiss der Kohlekommission zurückzukehren.

Aber diese Politik geht den Menschen nicht nur an den Geldbeutel, sondern bedroht zudem real Existenzen, wie die Studie an der von der Regierung geplanten Festschreibung der Auskohlung des Tagebaues Garzweiler zeigt. „Die weitere Auskohlung in Garzweiler ist absolut unnötig“, sagt Dirk Jansen, Geschäftsleiter des BUND Nordrhein-Westfalen. „Es ist absurd, dass heutzutage noch Dörfer für klimaschädliche Braunkohle geopfert werden sollen.“

Die ganze klimapolitische Absurdität dieser Politik wird am Steinkohlekraftwerk Datteln 4 deutlich. „Den Kohleausstieg ausgerechnet mit der Inbetriebnahme eines neuen Kohlemeilers zu beginnen, ist absurd und ein eklatanter Verstoß gegen die Empfehlungen der Kohlekommission. Datteln 4 hat nicht einmal eine rechtskräftige Genehmigung“, so Jansen.

Das Kraftwerk steht nur etwa 450 Meter von einer Siedlung und kaum weiter von einem Kinderkrankenhaus entfernt. Es stößt gesundheitsschädliche Feinstäube und Schwermetalle wie Quecksilber aus. Über die Abluft aus dem Kühlturm werden die europarechtlich geschützten FFH-Gebiete der Cappenberger Wälder belastet. „Das Kraftwerk schädigt Mensch, Natur und Klima. Wir haben den Hambacher Wald gerettet, jetzt müssen wir Datteln 4 verhindern“, so Jansen.

Aufgrund der Klage des BUND kippten Gerichte schon einmal die Genehmigungen zum Bau und Betrieb des Kraftwerks. Doch obwohl die Probleme die gleichen blieben, erteilte das Land NRW eine neue immissionsschutzrechtliche Genehmigung. Gegen beide Verwaltungsentscheidungen sind Klagen des BUND anhängig. Genauso wie gegen den Bau des Kohlehafens.

DIW: Deutsches CO2-Budget in neun Jahren aufgebraucht

Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass es sofortiger zusätzlicher Klimaschutzmaßnahmen bedarf, um die verheerenden Schäden und Kosten der drohenden Klimakatastrophe zumindest zu beschränken (IPCC 2018). Ausschlaggebend für das Ausmaß der globalen Erhitzung ist die Gesamtmenge an emittierten Treibhausgasen und vor allem von CO2. Das verbleibende weltweite Budget für CO2-Emissionen wurde vom UN-Weltklimarat IPCC auf 800 Milliarden Tonnen CO2 ab 2018 beziffert (für einen Temperaturanstieg von maximal 1,75° C und einer Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung von 67 %) (SRU 2019). Daraus ergibt sich für Deutschland unter Vernachlässigung der historischen Verantwortung als Industriestaat und bei gleichmäßiger pro-Kopf Aufteilung auf die Weltbevölkerung, ein verbleibendes nationales Kohlenstoffbudget von 6.600 Millionen Tonnen CO2 ab 2020. Dieses Budget wäre in weniger als 9 Jahren, d.h. bis 2028, verbraucht, wenn die Emissionen in Deutschland auf gleichbleibendem Niveau bleiben. Bei einer jährlichen linearen Reduktion wäre es nach etwas mehr als 17 Jahren (2037) aufgebraucht.

Die DIW-Kurzstudie analysiert Fehlentwicklungen bei der Erreichung der Klimaschutzziele in Deutschland mit einem Fokus auf dem Kohleausstieg. Die bisherigen deutschen Klimaschutzziele, die Emissionen bis 2020 um 40% und bis 2030 um 55% im Vergleich zu 1990 zu senken, ist – verglichen mit den beschriebenen Reduktionsbedarfen, die das Pariser Abkommen verlangt – nicht ausreichend und müssen angepasst werden (SRU 2019). Doch selbst die am Maßstab von Paris gemessenen zu geringen Klimaschutzziele für 2020 und 2030 werden in Deutschland ohne zusätzliche Maßnahmen nicht eingehalten (Kalkuhl u. a. 2019; Kemfert 2019; Oei, Kemfert, u. a. 2019). Da für die Einhaltung der globalen maximalen Erhitzung die Gesamtmenge an emittierten Emissionen entscheidend ist, müssen diese Zielverfehlungen durch zusätzliche Reduktionen in Folgejahren ausgeglichen werden. Im folgenden Abschnitt wird genauer untersucht, inwiefern die aktuellen Kohleausstiegsplanungen der Bundesregierung mit den Empfehlungen der Kohlekommission übereinstimmen. Im Anschluss daran wird die erwartete Entwicklung des Stromsektors von 2020 bis 2040 in Abhängigkeit verschiedener Kohleausstiegspfade modelliert und die Potenziale zur CO2-Emissionsreduktion und dem Ausbau Erneuerbarer Energien diskutiert. Abschließend werden die Auswirkungen auf die Tagebaunutzung in NRW analysiert sowie der notwendige politische Handlungsbedarf angesprochen.

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