Deutschland kann Dreifaches des heutigen Strombedarfs mit PV und Wind decken

Fell mit Aurora Energy Research-Untersuchung

Noch immer bezweifeln viele, dass eine Umstellung auf 100% Erneuerbare Energien möglich sei. Ein Argument wird hier oftmals ins Feld geführt: Es gebe gar nicht genügend Flächen und ökonomisches Potenzial, um solch große Mengen aus Erneuerbaren Energieträgern zu produzieren. Nun hat – so der Energie-Experte Hans-Josef Fell – der Energie-Think Tank Aurora Energy Research in einer Studie das Potenzial für Solar- und Windenergie in Deutschland ermittelt und am 19.05.2020 veröffentlicht. Demnach könnten Wind- und Solarenergie in Deutschland gut 1.800 Terawattstunden (TWh) Strom pro Jahr liefern, wenn der mögliche technologische Fortschritt ausgenutzt wird. Das entspricht dem Dreifachen des aktuellen deutschen Strombedarfs.

PV und Wind bei Bitterfeld – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

Aurora-Energieforschung sieht in Photovoltaik das größte Potenzial mit etwa 1000 TWh/a, bei wettbewerbsfähigen und je nach Standort kaum unterschiedlichen LCOE. Wind Onshore habe ein Potenzial von ca. 420 TWh/a, mit steilstem LCOE-Anstieg über die Standorte, die Standortqualität gewinne daher zunehmend an Bedeutung. Wind Offshore komme auf etwa 350TWh/a. In Summe verfüge Deutschland also über ein versorgungstechnisches Gesamtpotenzial aus Wind und Sonne von nahezu 1800 TWh im Jahr 2040, etwa das Dreifache des heutigen Strombedarfs. Dabei würden qualitativ hochwertige Onshore-Standorte zu einer knappen Ressource im Zuge des Ausbaus des Handels mit niedrige Kapitalkosten. Externe Studien deuten laut Aurora-Energieforschung darauf hin, dass Abstandsregeln das Potenzial für Wind an Land in einem Extremszenario auf ~10% bis 40% des Versorgungs-Potenzials beschränken könnten. Wenn Onshore-Engpässe bestehen blieben, würde das Erreichen des 65% EE-Ziels bis 2030 einen anspruchsvollen Zubau von 9 bis 11 GW Solarstrom pro Jahr erfordern. Um Netto-Null 2050 zu erreichen, können Onshore-Engpässe durch mehr Wind und PV-Zubau ausgeglichen werden.

Fell kommentiert das Ergebnis: „Die Potenziale für Bioenergien, Wasserkraft und Geothermie ermittelte Aurora nicht. Doch sie dürften noch ein erhebliches zusätzliches Strom- und Wärmeerzeugungspotenzial liefern. Die umfassende hundertprozentige Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien auch in den Sektoren Wärme, Verkehr und Industrie erscheint daher mit diesen großen Ökostrommengen auch in Deutschland durchaus machbar.“

Zurecht habe Aurora allerdings darauf hingewiesen, dass unter den momentanen Marktbedingungen der entsprechende notwendige Ausbau von Solar- und Windenergie nicht stattfinden kann. Denn: Je mehr Ökostrom auf dem Markt ist, desto stärker sinken die Preise an der Strombörse, womit das investierte Kapital nicht über diese Erlöse finanziert werden kann. Rein marktgetrieben wird ein entsprechender Ausbau den Analysten zufolge also nicht funktionieren, da mit steigendem Anteil der Erneuerbaren die Strompreise sinken und dadurch der Bau neuer Anlagen unwirtschaftlich wird. Diese Preis-Kannibalisierung würde einen rein marktbasierten Erneuerbaren-Ausbau so früh ausbremsen, dass weder das 65-Prozent-Ziel noch die Treibhausgasneutralität 2050 erreicht würden. Daher seien zusätzliche politische Maßnahmen notwendig. Aber die insbesondere von der Union oft aufgestellte Forderung, dass die Erneuerbaren Energien sich selbst am Markt behaupten sollten, sei aktuell also nicht erfüllbar, obwohl die Erneuerbaren Energien in Deutschland heute die kostengünstigste Option der Energieerzeugung sind.

Fell weiter: „Aurora schlägt jedoch leider keine anderen Marktinstrumente vor als einen höheren CO2-Preis. Dieser wird nicht wirklich funktionieren, da er indirekt nicht nur die Erneuerbaren, sondern eben auch das klimaschädliche Erdgas und die Atomenergie ökonomisch unterstützt.“

„Wir nutzen heute bei Photovoltaik und Offshore-Wind nur etwa zehn Prozent des geografisch-technologischen Potenzials, bei Onshore-Wind knapp ein Drittel“, sagt Casimir Lorenz von Aurora Energy Research zu Petra Hannen von pv magazine. Mit heutiger Technik könnten Photovoltaik und Windenergie auf den in Deutschland verfügbaren geeigneten Flächen bereits gut 1.200 TWh Strom pro Jahr liefern. Wegen des zu erwartenden technologischen Fortschritt steige dieser Wert bis 2040 auf knapp 1.800 TWh. Eine mögliche politische Stellschraube sehen die Analysten beim CO2-Preis: „Ist dieser höher, steigt das allgemeine Strompreisniveau und damit auch die Einnahmen der Erneuerbaren. Dann lohnt sich wiederum der Neubau von zusätzlichen Anlagen“, so Lorenz.

Die Energy Watch Group (EWG) habe erst vor kurzem den Entwurf für ein neues Sektoren- und Innovationsgesetz für Erneuerbare Energien vorgestellt, das mit einer Kombikraftwerksvergütung von 8 Cent/kWh Investitionen in systemdienliche 100% Erneuerbare Energien ermöglichen würde. Dieses Gesetz würde nicht nur die nötigen ökonomischen Grundlagen für Investitionen bieten, sondern gleichzeitig auch die nötigen Investitionen in die Sektorenkopplung und Speicher schaffen, die eine CO2-Steuer kaum schaffen werde.

Dass entsprechende Investitionen in die Sektorenkopplung bereits auf dem Weg sind, hat gerade die Naturstrom AG zusammen mit der Bürgergenossenschaft EnergieNetz Hamburg eG gezeigt. Für die Wärmeversorgung von 78 Wohneinheiten kommt ein biogasbetriebenes Blockheizkraftwerk zum Einsatz. Der dort erzeugte Strom wird gemeinsam mit dem Solarstrom aus Photovoltaikanlagen auf den Dächern der Häuser als kostengünstiger Mieterstrom angeboten. 80 Prozent der bisher bezogenen Haushalte nutzen dieses Angebot bereits. (naturstrom.de/ueber-uns/presse/news-detail/energie-vor-ort-im-tor-zur-welt-naturstrom-und-energienetz-hamburg-eg-realisieren-lokale-strom-und/).

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