BVerfG: Windenergie-auf-See-Gesetz zum Teil verfassungswidrig

Bundesverfassungsgericht stärkt Vertrauensschutz

Das Bundesverfassungsgericht hat am 20.08.2020 „festgestellt, dass das Windenergie-auf-See-Gesetz insoweit verfassungswidrig ist, wie es das Vertrauen der Beschwerdeführer in ihre Investitionen zur Realisierung von Offshore-Windparks verletzt“, so die Berliner Energie-Fachkanzlei GGSC. Das Wirtschaftsministerium dagegen sieht durch den „Beschluss zu mehreren Verfassungsbeschwerden gegen das Windenergie-auf-See-Gesetz … das Windenergie-auf-See-Gesetz grundsätzlich bestätigt. Die Umstellung beim Ausbau der Windenergie auf See auf das zentrale System ist mit dem Grundgesetz vereinbar und wird durch das Urteil bestätigt.“

Das Bundesverfassungsgericht wiederum sagt in einer Medienmitteilung, „dass das Windenergie-auf-See-Gesetz verfassungswidrig ist, soweit es keinerlei Ausgleich für Planungs- und Untersuchungskosten von Vorhabenträgern vorsieht, deren nach früherem Recht begonnene Projekte infolge des Inkrafttretens des Gesetzes beendet wurden. Ein Ausgleich ist erforderlich, sofern die Unterlagen und Untersuchungsergebnisse für die nach neuem Recht vom Staat durchzuführenden ‚Voruntersuchungen‘ weiter verwertet werden können.“ Im Übrigen seien die Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen worden.

„Energiepolitisch großer Erfolg“ (GGSC)

Im Beschluss geht es um das Windenergie-auf-See-Gesetz aus dem Jahr 2017 aus der vergangenen Legislaturperiode, darin wurde die Umstellung auf eine zentrale staatliche Entwicklung und Voruntersuchung von Flächen für Offshore-Windenergie-Anlagen und deren Netzanbindung beschlossen. Dadurch wurden weit fortgeschrittene Genehmigungsverfahren der Beschwerdeführer beendet, ohne dass ihnen ein finanzieller Ausgleich für die notwendigen Kosten ihrer Planungen und Untersuchungen gewährt werden sollte. Dies ist mit dem allgemeinen Vertrauensschutzgebot aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG nicht vereinbar, insbesondere sofern die Aufwendungen der Projektierer weiter verwertet werden können (BVerfG). Insofern sieht GGSC im BVerf-Urteil „energiepolitisch ein[en] großer Erfolg, weil hierdurch der für die Energiewende so wichtige Investitionsvertrauensschutz gestärkt wird“.

Das BMWi dagegen: „Das Wind-See-Gesetz gilt nach der Entscheidung damit auch weiter fort und ist nicht nichtig. Das bedeutet, dass die ab dem Jahr 2021 geplanten Ausschreibungen im zentralen Modell wie geplant durchgeführt werden. Dies ist für den erfolgreichen weiteren Ausbau der Offshore-Windenergie in Deutschland und zur Erreichung der energie- und klimapolitischen Ziele, ebenso wie zur Sicherung von Wertschöpfung und Beschäftigung in diesem Bereich von zentraler Bedeutung“.

Aus dem Urteil

Ein Ausgleich ist erforderlich, sofern die Unterlagen und Untersuchungsergebnisse für die nach neuem Recht vom Staat durchzuführenden „Voruntersuchungen“ weiter verwertet werden können. Im Übrigen wurden die Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen.

Die Beschwerdeführerinnen hatten noch nach der bis Ende 2016 geltenden Seeanlagenverordnung die Zulassung von Offshore-Windparks in der völkerrechtlich durch das Seerechtsübereinkommen vorgeprägten ausschließlichen Wirtschaftszone in der Nordsee beantragt. Privates Eigentum am Meeresboden konnte und kann in der ausschließlichen Wirtschaftszone nicht begründet werden. Auf Grundlage der alten Rechtslage hatten die Beschwerdeführerinnen dort auf eigene Kosten Planungen und Untersuchungen durchgeführt. Durch das Windenergie-auf-See-Gesetz wurde die Anlagenzulassung in der ausschließlichen Wirtschaftszone grundlegend neu geregelt. Bis zum Inkrafttreten des Windenergie-auf-See-Gesetzes erfolgte die Zulassung von Offshore-Windparks ohne förmliche planerische Grundlage und ohne systematische Koordination mit der Errichtung der Netzanbindung. Durch das Windenergie-auf-See-Gesetz ist die Zulassung detaillierter geregelt worden; ihr gehen jetzt eine staatlich verantwortete Flächenentwicklung und ein zentrales Ausschreibungsverfahren voraus, Anlagenerrichtung und Netzanbindung sind nun aufeinander abgestimmt. Zur Umstellung auf das neue System wurden die laufenden Planfeststellungsverfahren beendet und der schon erteilten Genehmigung einer Beschwerdeführerin die Wirkung genommen. Die gesetzlich vorgesehenen Übergangsregelungen finden auf die Projekte der Beschwerdeführerinnen keine Anwendung.

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat festgestellt, dass das Windenergie-auf-See-Gesetz unechte Rückwirkung entfaltet, die verfassungsrechtlich nicht vollständig gerechtfertigt ist. Die von den Beschwerdeführerinnen angegriffenen Regeln sind nicht uneingeschränkt erforderlich und daher mit dem allgemeinen Vertrauensschutzgebot aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG teilweise unvereinbar, weil dem Gesetzgeber ein milderes, ebenso geeignetes Mittel zur Verfügung steht, um seine Ziele zu erreichen. Den Beschwerdeführerinnen müsste ein finanzieller Ausgleich für die notwendigen Kosten ihrer Planungen und Untersuchungen gewährt werden, sofern diese für die staatliche Voruntersuchung der Flächen nach §§ 9 ff. WindSeeG weiter verwertet werden können. Die Weiterverwertbarkeit setzt in zeitlicher Hinsicht voraus, dass bis zum 31. Dezember 2030 für die betroffenen Flächen ein Zuschlag für die Errichtung eines Offshore-Windparks erfolgt. Die rechtliche Grundlage eines solchen Ausgleichsanspruchs bedarf der näheren Ausgestaltung durch den Gesetzgeber. Hierzu ist er bis spätestens zum 30. Juni 2021 verpflichtet.

Im Übrigen ist das Windenergie-auf-See-Gesetz mit den Anforderungen des allgemeinen Vertrauensschutzgebots vereinbar. Das Gesetz verstößt auch weder gegen das Eigentumsgrundrecht nach Art. 14 Abs. 1 GG noch gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG oder den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG.

Erwartungen der Branche laut GGSC

„In rechtsdogmatischer Hinsicht ist die Entscheidung ebenfalls von großer Bedeutung, weil damit in Fortführung der Atomrechtsentscheidung vom 06.12.2016 erstmals die Grundlagen des Vertrauensschutzes losgelöst von Art. 14 bzw. 12 GG konkret konturiert werden.

Nunmehr ist die Branche gespannt, wie der Bundesgesetzgeber den vom Bundesverfassungsgericht geforderten Ausgleichsanspruch in der bis zum 30.06.2021 gesetzten Frist ausgestaltet. GGSC wird die Entwicklung begleiten.“

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